Wir beschossen zu Versuchszwecken alte, ausrangierte Torpedoboote, die man mit Kork gefüllt hatte. Andermal war ein großes Scheibenfloß das Ziel. Der Sturm zerbrach es. Wir zimmerten die Balken am Strande der dänischen Insel Aroe wieder zurecht. In dem dänischen Ort Gjedser entfernte ich mich heimlich und unbemerkt und brachte meine Bluse voll schöner Äpfel zurück, die mir ein hübsches Landmädchen geschenkt hatte.
Zwischen den normalen Arbeiten auf »Nymphe« wurden immer wieder und ganz plötzlich die wichtigsten Bordmanöver geübt. »Feuerrolle«, »Klar zum Gefecht«, »Schotten dicht«. In der Kieler Bucht gewahrte ich weit draußen einen Menschen, der ganz unerklärlich hoch aus dem tiefen Wasser ragte. Ich rief sofort »Mann über Bord«. In wenigen Minuten wurde der Mann an Deck gebracht. Es war ein Student, der sich aus einem gekenterten Segelboot auf eine Life-Boje gerettet hatte. Er war sehr lange im Wasser herumgetrieben.
Zur Kieler Woche hatten wir Signalgäste heiße Stunden auf der Brücke. Der Hafen lag voll von Kriegsschiffen, die über die Toppen geflaggt hatten. Denn der Kaiser war anwesend, und man erwartete ein englisches Geschwader mit dem König von England. Jedes Schiff wollte die englische Königsjacht zuerst entdecken. Auch ein dänisches Geschwader hatte Kiel besucht. Die glaubten die englische Jacht zu sehen und schossen Salut, und einige von unseren Schiffen fielen ein. Aber die Meldung stimmte nicht, und so wurde ein halber Salut umsonst verpufft. Abends war ein Bankett im Jachthaus. Als der Kaiser seinen Toast auf den König von England ausbrachte, wurde der ganze Hafen und wurden sämtliche Schiffe durch einen einzigen Knips märchenhaft illuminiert. Ich hatte Wache auf der Brücke und öffnete in diesem Moment eine halbe Flasche Sekt. Die trank ich feierlich ohne Glas, nicht auf das Wohl des kings.
An den nächsten Tagen fanden die großen Ruderregatten statt, für die wir monatelang trainiert hatten.
Es war stets ein Fest für mich, wenn ich einmal mit studierten oder künstlerisch orientierten Leuten zusammenkam. So besuchte mich Vaters Freund, Herr Gerlach, der Spezialzeichner der Leipziger Illustrierten Zeitung. Er traf mich an Bord, als ich gerade meine Hose ausgezogen hatte, um eine diskrete Stelle daran zu flicken. Komischerweise war mir das vor dem Gast sehr peinlich.
Andermal wurde »Nymphe« zur Verfügung des Flottenvereins nach dem Seebad Warnemünde kommandiert. Abends trieben sich die Matrosen zwischen den Strandkörben herum. Sie trugen weiße Paradehemden und siegten damit. Nur ich wanderte lange allein herum. Bis mich zwei Rostocker Studenten ansprachen und zum Bier einluden. Einer von ihnen schenkte mir beim Abschied eine Rose. Dieses Erlebnis erfüllte mich sehr.
Es fanden die großen Manöver statt. Weil der Kaiser zugegen war, herrschte eine fieberhafte Nervosität. Die wellte von den hohen Instanzen anschwellend nach den tieferen und brandete bei uns einfachen Soldaten.
Es folgte ein Landungsmanöver bei Wismar. Die Schiffe näherten sich, soweit es die Meerestiefe erlaubte, dem Lande. Dann fuhren die Boote, soweit sie konnten, und dann mußten wir durchs Wasser waten, zum erstenmal infanteristisch und feldmarschmäßig ausgerüstet, mit Tornister, Gewehr und leichten Geschützen. Die Offiziere ließen sich von Matrosen auf den Schultern an Land tragen. Ich bot mich einem Oberleutnant an, den ich nicht leiden konnte, weil er so liebedienerisch nach oben war. Wenn der Kronprinz in Kiel im Segelboot zehnmal an unserer Nymphe vorbeikreuzte, brüllte dieser Leutnant sich die Lunge aus dem Hals: »Oberdeck stillgestanden! Front nach Backbord!« Nur um beim Kronprinzen angenehm aufzufallen. Diesen Oberleutnant nahm ich auf die Schultern und ließ es sich ereignen, daß ich stolperte und wir beide der Länge nach ins Wasser fielen.
Nach Schluß der Manöver verlas man uns eine Kaiserliche Order, die Allerhöchste Anerkennung aussprach und jedem Unteroffizier eine Mark, jedem Matrosen fünfzig Pfennige bewilligte. Unser Kommandant hatte einen Orden mehr.
Im September stellte »Nymphe« außer Dienst. Nach siebenmonatigem Borddienst war ich froh, wieder einmal in die Kompanie zu kommen. Dort hauste ich gemütlich mit alten Soldaten zusammen. Dem langweiligen Kasernendienst entzogen wir uns mit allen Schikanen der Drückebergerei.
Mein Vater schrieb mir, daß er sein Atelier aufgebe und daß er sich überhaupt künftig mehr der Schriftstellerei widmen wolle.
Nach wenigen Tagen wurde ich wieder an Bord kommandiert. Auf das Artillerie-Schulschiff »Carola«. Es war dasselbe Leben wie auf der »Nymphe«, in manchem besser, in manchem schlechter.
Ich erhielt meine erste Strafe, weil ich einen Befehl nicht schnell genug ausgeführt hatte. Dafür mußte ich nach dem Gutenacht-Kommando »Hängematten weg!« noch eine Stunde im Mondschein an Deck strammstehen und dabei meine zusammengezurrte Hängematte halten, die wie eine Riesenwurst aussah.
»Nur noch achtundvierzig Tage bis zur Entlassung!« sagten wir, wenn wir aufwachten, und am nächsten Morgen: »Nur noch siebenundvierzig Tage!« Reservistenlieder erklangen in der Kantine. »Reserve hat Ruhe!« und »Ach, wie wohl ist dem zumut, der die letzte Wache tut.«
Ich wurde zum Obermatrosen befördert, mußte mir noch einen gelben Winkel zu meinem schwarzweißroten Einjährigenwinkel auf den Oberärmel nähen. Aber jede solche Kleinigkeit schmeichelte einem doch.
Mir wurden ein Paar Schuhe gestohlen. Ich erwischte den Dieb und verprügelte ihn, verstauchte mir aber dabei den Daumen. Nachts brach die Leine am Kopfende meiner Hängematte. Ich fiel mit dem Ellbogen sehr hart auf die Ankerkette.
Einmal entdeckte ich erwachend eine tote Flunder, auf der ich geschlafen hatte. Ich ließ mir nichts anmerken, sondern packte den Fisch in eine andere Hängematte. Acht Tage später gab es einen Skandal. Ein Matrose hatte diese schon halb verweste Wanderflunder in seiner Hängematte entdeckt und stellte nun einen Verdächtigen zur Rede.
Aus dem eisernen Schiffsraum, wo unsere Schlafschaukeln hingen, wurde manchmal nachts mit Kanonen geschossen. Das kolossale Dröhnen vermochte mich nicht im Schlafe zu stören. Wenn aber ein leichtes Pfeifensignal ertönte, das mir galt, so war ich im Nu hoch. Derart müde waren wir, und derart dressiert.
Sturm und Kälte bei Übungsfahrten bei Helgoland. Zu Weihnachten auf Urlaub daheim, in der schmucken Uniform im Binnenland sehr angesehen.
Am 3. Januar 1905 wurde ich entlassen mit der Beförderung zum Bootsmannsmaat.
Kaufmannslehrling und Kommis
Ruberoid G.m.b.H., Hamburg, Dovenhof. Von dieser Firma wurde ich als Lehrling aufgenommen. Weil ich schon zweiundzwanzig Jahre alt war, schenkte man mir das übliche dritte Lehrjahr. Ich lernte also zwei Jahre lang praktisch den Kaufmannsberuf. Das begann mit Botengängen und Adressenschreiben. Nach und nach wurde ich in höhere Büroarbeiten eingeführt. Schreibmaschine schreiben, Briefe ablegen, Führung des Kartenregisters, Buchhaltung, Spedition usw. Meine Schrift war außergewöhnlich schlecht und unsicher, obwohl ich schon zweimal Nachhilfestunden in Schreibinstituten genommen hatte. Das war mir recht hinderlich. Aber Herr Meyer, mein Chef, und meine anderen Vorgesetzten übten Nachsicht. Der erste Direktor der Firma hieß Alfeis. Ich bewunderte ihn als einen genialen und großzügigen Geschäftsmann und als gerechten Vorgesetzten. Von den jüngeren Angestellten war Freudling der Tüchtigste, ein siebzehnjähriger Kommis, mit dem ich eng befreundet wurde. Unter den weiblichen Angestellten tat sich das sprachkundige Fräulein Benecke hervor.
Es waren viele Angestellte in den einzelnen Abteilungen beschäftigt. In den weiten und bequemen Geschäftsräumen herrschte während der Arbeitsstunden emsige und ernste Betriebsamkeit. Waren