Wir fuhren durch die Straßen. Die Menge stob hinter uns davon, um uns an einer anderen Ecke nochmals zu sehen. Gar zu gern wären wir in einem Restaurant abgestiegen. Aber es war ein sehr heißer Tag, meine Vaseline kam ins Rinnen, und mein Indianerbraun griff schon auf den Stehkragen über. So fuhren wir ans Ende des Städtchens, wo Telschow bei lustigen Damen wohnte. Mit denen feierten wir das Erlebnis mit Müller Extra, nachdem ich mich wohl zwanzigmal abgewischt und gewaschen hatte. Aber ich mußte mich häufig verstecken, denn nun pilgerten viele neugierige Leute herbei. Die Reporter der beiden Lokalblätter fanden sich ein. Der Briefträger brachte das Schreiben an den Kalifen, und der Bahnhofskellner entschuldigte sich, weil er die zehn Glas Bier nicht überreicht hatte. Krämer und Telschow erklärten, der Kalif wäre bereits per Auto weitergereist. Sie unternahmen Streifen durch die Lokale des Ortes und berichteten dann, was man über mich sagte. Es war interessant festzustellen, wieviel in solchen Fällen erlogen wird. Da war z.B. jemand, der behauptete, in meinem Coupé mit mir zusammen gefahren zu sein. Und er schilderte seine Unterhaltung mit mir.
In der Dunkelheit begleiteten mich die Freunde zum nächsten Ort. Ich fuhr nach Frankfurt zurück.
Eine der Eltviller Zeitungen brachte eine verärgerte Notiz: Es hätten sich junge Burschen einen dummen Spaß erlaubt, einer braun angepinselt. – – Dann brachte die Rheinisch-Westfälische Zeitung unter dem Stichwort »Eine Köpenickiade« eine ausführliche, humoristische Schilderung des Vorfalls. Die war etwas entstellt oder ausgeschmückt. Zum Beispiel hieß es da u.a.: »Seine Hoheit, der Emir, beabsichtigte die benachbarte Virchowquelle zu besichtigen.«
Dann veröffentlichte ich folgendes Poemchen:
An die Eltviller
Habt Dank, ihr Bürger von Eltville.
Ihr kamt so höflich mir entgegen.
Es war schon längst mein hoher Wille,
Euch einmal etwas aufzuregen.
Ihr habt so freundlich mich gepriesen.
Und wenn die Stadt auch nicht geflaggt hat,
Hat sie doch ohnedies bewiesen,
Wie hoch man schätzt den Herrn von Bagdad.
Habt Dank! Aus eurem Wortgemunkel
Zieh' ich die Konsequenz mit Lachen:
Man braucht sich nur ein wenig dunkel,
Um euch mal etwas weiszumachen.
Einige Tage später saß ich mittags in meinem hochgelegenen Zimmer. Da rief meine Wirtin hinauf: Es wolle mich ein Herr sprechen. Ich trat aus der Tür und beugte mich über den Schacht der Wendeltreppe. Da sah ich unten einen vollbärtigen alten Herrn. Der hielt das Tau umklammert, war von den Stufen abgeglitten und pendelte nun an dem Tau. Ich eilte ihm zur Hilfe, geleitete ihn nach oben und fragte, was mir die Ehre verschaffe. Als er zu Atem kam, berichtete er, daß er schon bei Herrn Telschow gewesen wäre, der aber noch im Bette lag und nicht aufzuwecken war. Es handelte sich um folgendes. Der vollbärtige Herr war der Direktor der Virchowquelle. Er meinte, unser Kalifenstreich und der Artikel in der Rheinisch-Westfälischen Zeitung wären von einer Konkurrenzfirma aufgezogen und gegen seine Quelle gerichtet. Ich schwur, daß ich von der Existenz einer Virchowquelle erst durch jenen Zeitungsartikel mir unbekannten Verfassers erfahren hätte. Aber er glaubte mir nicht recht. Es rührte mich, daß ein alter Herr sich so erregt zu mir bemühte, und es schmeichelte mir, daß man unseren Scherz so ernst nahm. Deshalb versprach ich, eine berichtigende Erklärung in verschiedenen Zeitungen zu publizieren. Das tat ich dann auch, sehr ungern.
Das Leben war lustig, aber mein Frankfurter Chef war kein Hamburger, und ich wünschte mich fort.
(Ich nehme jetzt an gegebener Stelle wieder den Faden der Erzählung auf »Das Abenteuer um Wilberforce«.)
»Das Abenteuer um Wilberforce«
(Schluß)
Ich wog die Freuden und Sorgen meiner Seefahrten gegeneinander ab, dachte an die wechselvollen Erlebnisse in fremden Orten, auch an Hull, an Blooms cook und an das Abenteuer mit dem geschminkten, nach Himbeeren duftenden Girl, das ich am Wilberforce – ich wußte inzwischen, wer Wilberforce war –, das ich am Wilberforcedenkmal angesprochen hatte.
Eine unbändige Sehnsucht nach Hull erfaßte mich. Ich kündigte plötzlich meine Stellung, und fünfzehn Tage später war ich reisebereit.
Meine Eltern sollten nichts davon erfahren. Weil mir aber nach Begleichung der Miete und verteilter anderer Schulden nur noch ein paar Mark verblieben, wandte ich mich telegraphisch an meinen besten, eigentlich einzigen Freund Martin Fischer mit der Bitte, mir zehn Mark zu leihen. Ihm wäre das leicht gefallen. Auch war es das erstemal, daß ich ihn um eine solche Gefälligkeit anging.
Aber ich erhielt weder Geld noch Antwort und schrieb dem Freund nie wieder und sah und hörte von ihm nichts mehr.
Nun suchte ich zunächst Telschow in Eltville auf, der mir zwar auch nicht zu Geld verhalf, aber sich sonst sehr freundschaftlich zeigte und von meinem Vorsatz, nach England zu reisen, begeistert war. Noch einmal ließen wir unsere Freundschaft und unsere Begeisterung in unserem Leibsekt »M.M.« treiben.
Ich hatte mir ausgesonnen, mich zu Fuß mit meiner Mandoline als fahrender Musikant bis nach Holland durchzuschlagen und dann per Dampfer nach Hull zu fahren. Dieser Plan war insofern phantastisch und frech, als ich von Natur aus durchaus unmusikalisch war, niemals Mandolinenunterricht genossen hatte und auf diesem Instrument mit Mühe und Not nur fünf Lieder ganz dilettantisch und kindlich spielen konnte. Von Noten, von Akkorden wußte ich nichts.
Dennoch machte ich mich auf den Weg, an einem Abend, da Hunderte von Nachtigallen am Ufer sangen, und mein Freund gab mir ein Stück das Geleit.
Ich trug einen grünen Lodenanzug, ein Jägerhütlein, in einem Wachstuchfutteral meine Mandoline und in einem dürftigen Köfferchen aus Segeltuch einen überlangen Gehrock sowie etwas Wäsche. Den Rhein abwärts von Dorfkneipe zu Dorfkneipe.
Ich spielte »Wie die Tage so selig verfließen«, dann »Hans und die Ella saßen im Keller«, dann »Santa Lucia«, dann »Daß ich so klein und niedlich bin, das hab' ich von meiner Mama«, und bevor ich das fünfte, das letzte Lied, mein Lieblingslied »La Paloma« zugab, sammelte ich ein.
Die Bauern, mehr oder weniger von der Musik gerührt – es kam vor, daß dem einen oder anderen Tränen in den Augen standen –, gaben mir Kupferpfennige und Wein, und in den Gasthöfen, wo ich übernachtete, forderten die Wirte keine oder höchstens geringe Bezahlung. In größeren Orten, in vornehmen Restaurants, eleganten Gartenlokalen, setzte ich mich bescheiden in einen Winkel, holte mir auch zuvor beim Wirt die Erlaubnis zum Spielen ein. Die Gäste dort, gerührt oder belustigt durch mein klägliches Geklimper, legten Fünfer oder Zehner in meinen Teller und spendeten mir im Übermaß Essen und Trinken. Solcherweise geriet ich auch in Hochzeiten und sonstige Festlichkeiten, da ich denn noch freigebiger beschenkt wurde.
Meine Hosentaschen waren voll und schwer von Münzen. Es gewährte einen wundersamen Reiz, mit beiden Händen darin zu wühlen. Ich war meines Glückes voll bewußt. So reich, so frei und dabei ein Landstreicher zu sein, den niemand beneidete noch ausnutzte, dem alle Wohlwollen oder Mitleid entgegenbrachten, dem schlimmstenfalls mißtrauende Menschen auswichen.
Nur wenige Male ereignete es sich, daß ein Landgendarm mir bedeutete, es wäre nun an der Zeit, mich weiterzuscheren.