»Das Zeug schmeckt nicht recht«, sagte ich blasiert, »wenn ich aber Herrn Kammerherrn ein Glas anbieten –«
Er wehrte ab.
Einmal morgens sah ich ihn aufgeregt vorm Spiegel stehen und seinen Anzug ordnen. Er trug seinen Staatsfrack mit dem Kammerherrnschlüssel am rechten Rockschoß und um den Hals einen Orden mit leuchtendem Band. Ich war grausam genug, das völlig zu übersehen und gar nichts zu fragen. Bis er von selbst erzählte, warum er so offiziell gekleidet war. Er hatte im Namen des Herzogs einen Kranz am Grabe eines verstorbenen Adligen niederzulegen.
Ich ließ mich für ein paar Wochen beurlauben, weil mein Vater schwer erkrankt war. Ich fand Papa im Bett liegend, mager, blaß und elend. Meine Mutter und meine Schwester, die ihn seit Tagen pflegten, hatten ihn bereits aufgegeben und waren selbst durch die aufreibenden Tag- und Nachtwachen ganz apathisch geworden. Vater erkannte mich für kurze Zeit. Ich beugte mich nieder, um ihn zu küssen, aber er winkte mir ab mit einer Gebärde des Ekels vor sich selbst, weil er unrasiert war. Dann verfiel er wieder in Fieberträume und redete unaufhörlich verworren vor sich hin.
So wachte ich oft an seinem Lager und lauschte seinen verschlungenen Phantasien. Mitunter sprach ich selber sanft und langsam etwas hinzu, was der Kranke auch manchmal auffing und in seinen Reden weiterspann. »Glaubst du an Gott?« fragte ich einmal.
»Ach, das ist ja alles dummes Zeug«, sagte er. Aber so, wie er das sagte, klangen seine Worte durchaus nicht überzeugt, sondern nur rührend hilflos. Dann ging er gleich auf anderes über, und von Zeit zu Zeit klang der gutmeinende Oppositionsgeist heraus, den er gerade mir gegenüber so oft gezeigt hatte.
Einmal zeichnete ich meinen Vater, da er schlief. Eine kleine Skizze, die ich selber liebgewann.
Ich bat den langjährigen Arzt und Freund meiner Eltern, den Doktor Riemer, um offene Meinung. Er sagte, das Schlimme wäre, daß der Patient jede Nahrung verweigere und sogar den stärkenden Wein sei nes geliebten und verehrten Freundes Johannes Trojan zurückweise. Wenn man ihn dazu bringen könnte, wieder Speise und Trank anzunehmen, würde er sich vielleicht noch einmal erholen.
Als ich wieder allein am Krankenlager saß und Vater gerade einen lichten Moment hatte, schenkte ich ein Glas von Trojans Wein ein und sagte: »Willst du den? Ich glaube, der taugt nichts, der ist von Johannes Trojan.«
»Trojan? – – Trojan! Oh, der ist ein Weinkenner!« flüsterte Vater lächelnd, griff nach dem Glas und trank etwas. Dann ging ich auf die Straße und grub unter dem schmutzigen Stadtschnee eine Handvoll sauberen Schnees heraus. Den hielt ich meinem Vater an die Lippen, und er bewegte diese Lippen und schlürfte von dem Schnee. Von da an war er wieder zum Essen zu bewegen.
Ich mußte abreisen. Aber Mutter, Ottilie und die Freunde brachten Vater mit aufopferungsvoller Pflege und Liebe wieder zur Genesung.
Während meines Urlaubs war die Frau des Barons von Münchhausen gestorben. Dadurch war die Situation in trauriger Weise so verändert, daß ich nun auch nicht mehr lange bei dem Baron blieb, sondern sein Haus am 1. April 1913 verließ. Er gab mir beim Scheiden ein vornehmes Geldgeschenk und, was noch rührender war: Er hatte in stundenlanger Arbeit die verschlungenen Initialen meines Namens nach eigenem Entwurf säuberlich gezeichnet und aufgemalt, als Dedikation für mich.
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