Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ringelnatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027203697
Скачать книгу
boten uns kleine Äffchen und Papageien an. Sie trugen sich romantisch, zum Teil sehr komisch romantisch.

      Wir hatten eine Musikkapelle gebildet. Auf selbst hergestellten und selbst entdeckten Instrumenten spielten wir abends an Deck und sangen dazu »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«. Auch ein Lied, zu dem ich den Text gedichtet hatte. Es behandelte plump satirisch die Menschen und Zustände auf der »Numidia«. Denn es waren viele Sonderlinge unter uns, zum Beispiel ein Kochsmaat, dem wir mit unserem Spott so zusetzten, daß er sich zu ertränken versuchte.

      Auch mit scherzhaften Zeichnungen hatte ich Erfolg. – Vorübergehend übertrug man mir das Amt eines Küpers. Ich hatte den Proviantraum mit seinen Wundern an Speck, Würsten und Käsen zu verwalten. Da schwelgte ich heimlich und ließ heimlich andere schwelgen. Als man mich aber einmal zwischen einem Faß Kümmel und einem Faß Rotwein schlafend fand, wahrend die aufgedrehten Faßhähne links und rechts von mir Kümmel und Rotwein ausströmten, da war meine Küperschaft vorüber.

      In Argentinien imponierte mir die Hauptstadt Buenos Aires. Aber ich sah mir auch hier keine Museen, keine öffentlichen Gebäude oder charakteristischen Statten an, sondern trieb mich als Eigenbrötler in möglichst entlegenen Winkeln umher. Dabei geriet ich einmal in eine Auktion und machte mir den Spaß mitzubieten, indem ich aufs Geratewohl Zahlen dazwischenrief, die ich aus aufgefangenen portugiesischen Brocken und lateinischen Schulreminiszenzen bildete. Ganz verblüfft war ich, als mir auf einmal ein Bündel Damenschirme und seidene Tücher gereicht wurden. Ich nahm das natürlich nicht an, sondern entfernte mich eiligst, und man schimpfte mir nach.

      Einmal unternahmen wir als Gäste der Deutschen Gesellschaft einen Ausflug in die Umgebung der Stadt. Im Busch wurde biwakiert, wurden Hammel am Spieß gebraten und Wettspiele veranstaltet. Der deutsche Pastor leitete diese harmlose Fröhlichkeit.

      Auf der Rückreise nach Deutschland erlebten wir starke Stürme, besonders in der spanischen See. Als das Schiff seinen Kurs änderte, fing es an, dermaßen zu schaukeln, daß ich beinahe über Bord gefallen wäre. Als ich mich zur Kombüse hinarbeitete, bot sich dort ein tolles Bild. In Dampfwolken eingehüllt stand der Koch zwischen zwei hohen Töpfen mit heißem Wasser. Und Koch und Töpfe rutschten auf den nassen Steinfliesen zwischen Backbord und Steuerbord hin und her. Ich kam dem Koch zu Hilfe, wir wurden beide leicht verbrüht.

      Auf der Insel Madeira erstand ich Korallen und gewann im Boxkampf mit einem Neger auf catch as catch can eine Tasche aus Fruchtkernen. Außerdem kaufte ich zwei Bunsch Bananen und stahl ein drittes. Da diese Fruchtbündel hängend aufbewahrt werden mußten und ich dafür keinen anderen Platz als meine Koje fand, so schlief ich fortan an Deck, wo es nachts schon recht kalt war. Aber es gab ja nichts Befriedigenderes, als den Angehörigen und Freunden etwas von weither mitzubringen.

      Am 6. März 1903 wurde ich in Hamburg mit 58 Mark abgelohnt. Davon zahlte ich Krahl im voraus Miete.

      In der Wirtschaft von Seidlers ging es hoch her. Erstens waren zufällig lauter nette und altvertraute Kumpane beisammen, und zweitens lagen viele Schiffe im Hafen. Fast jede Nacht konnte ein Angemusterter ein Faß Bier spendieren. Ich schenkte der Witwe Seidler ein Bunsch Bananen. Die anderen Geschenke sandte ich nach Hause.

      Ich fand schlechte Nachricht vor. Meine Schwester lag schwer krank in einer Klinik.

      Erfind, ein junger, lieber Freund von mir, wurde gleichzeitig mit mir auf der »Nauplia« angemustert, einem Dampfer, der über Genua nach San Francisco bestimmt war. Wir feierten bei Seidlers ergiebig Abschied, sangen immer wieder das Lied »Blue boys blue, of Californiu«. Noch weithin klangen uns die Rufe der Zurückbleibenden nach »Nauplia ahoi«.

      Es war das erstemal, daß ich mit einem Freund auf gleichem Schiffe war. Und nun gar mit einem von besserer Erziehung. Die Freude darüber stieg uns aber zu Kopf. So daß wir bald mit unseren Vorgesetzten in Streit gerieten. Weil in Stettin sowieso eine sogenannte Ummusterung stattfand, so verließen wir dort das Schiff Knall und Fall mit nur ein paar Mark in der Tasche, dennoch höchst unternehmungslustig. Wir wollten zu Fuß von Stettin nach Hamburg wandern. Unsere Zeugsäcke sandten wir unfrankiert voraus.

      Aber der Weg nach Hamburg ist weit. Und der zart gebaute Erfind besaß nicht meine Zähigkeit. Bald hatte er sich eine Blutblase gelaufen und hinkte seufzend neben mir her. Spät nachts erreichten wir Strasburg in der Uckermark. Wir wollten ein Hotel aufsuchen und am nächsten Tage an Erfinds Verwandte um Geld schreiben. Aber die Hotels waren schon geschlossen. Der Nachtwächter, den wir nach Unterkunft befragten, sperrte uns kurzerhand in eine unbeleuchtete Arrestzelle ein, wo wir auf einer Pritsche schlafend sehr froren. Erfind tastete durstig nach einem Wassergefäß. Was er dann aber trank, war Urin. Erst morgens entließ man uns. Wir bezogen einen Gasthof und ließen lange Briefe an Erfinds Verwandte los. Einen rührenden an das Pflegemütterchen, einen jammernden an Tante A. und einen burschikosen an Onkel B. Alle mit der Tendenz: Sendet sofort telegraphisch Geld. Wir aßen und tranken uns nun auf Borg wieder in eine köstliche Zuversicht hinein und fragten am übernächsten Tage am Postschalter so vielmals nach postlagernden Geldsendungen, daß der Beamte uns durch einen gewaltigen Wutausbruch ganz einschüchterte. Nur noch alle zwei Stunden wagten wir uns dorthin und schielten auch nur flüchtig durchs Fenster. Bis der Beamte uns lächelnd winkte. Pflegemütterchen hatte süß reagiert. Wir fuhren per Eisenbahn nach Hamburg. Bei Seidlers entstand ein großes Hallo, als wir nachts mit dem Rufe: »Nauplia ahoi!« eintraten. Nach zehn Tagen aus Frisco zurück! Nur Mutter Seidler machte uns in ihrer sanften Weise gelinde Vorwürfe.

      Im nächsten Monat kam ich auf den Hapag-Dampfer »Dortmund«. Eine Reise über Emden nach dem eisfreien Hafen Narvik im nördlichen Norwegen. Und wieder zurück nach Hamburg.

      Schön war's in Narvik. Die Nächte so hell, daß man lesen konnte, und erfüllt von dem lauten Donner der Erzmassen, die in den Schiffsraum polterten. Einmal sah ich in diesem kleinen, entlegenen Orte einen Trupp Soldaten der Heilsarmee. Die machten nach ihrer Weise Musik und sangen dazu. Für wen? Es stimmte mich weich.

      Ich durfte den Kapitän zur Schwanenjagd begleiten, vielmehr ich mußte es. Wenn irgend möglich ging ich lieber allein aus. Es gab so herrliche Ausflüge in den Buchten und auf den Bergen.

      Die Reise mit der »Dortmund« war zauberhaft. Aber die Menschen an Bord verachtete ich, einige haßte ich.

      Lange schon beschäftigte ich mich mit dem Gedanken, die Seemannslaufbahn aufzugeben. So schön es gerade mir erschien, Fernes, Wildes und Konträres zu erleben, was hatte ich davon, wenn ich es allein erlebte. Es gab so wenig gebildete oder zartfühlende Seeleute, Nur der Zufall konnte mich gelegentlich und doch nur für kurz mit diesen zusammenführen.

      Auf der Elbe ereignete sich ein katastrophaler Zusammenstoß von zwei Dampfern. Ein paar hundert Passagiere ertranken. Es gab einen Prozeß um die Schuldfrage. Eines der Resultate war ein neues Gesetz: Jeder Seemann sollte künftig einen gewissen, sehr streng begrenzten Grad von Augensehschärfe nachweisen und mußte sich zu diesem Zweck einer ärztlichen Untersuchung unterwerfen. Dieses harte, übertriebene Gesetz machte auf einmal altbefahrene und altbewährte Seeleute, Matrosen wie Kapitäne, brotlos. Für mich schien der neue Paragraph ein Wink des Schicksals. Die Berufsgenossenschaft zwang mir im Juli 1903 eine Bescheinigung auf, daß ich für den Dienst als Seemann, das heißt für den rein maritimen Dienst, nicht mehr in Frage käme, weil meine Augen nicht die vorgeschriebene Sehschärfe besäßen.

      Ich gedachte nun, Kaufmann zu werden. Mein Vater sandte mir eine Empfehlung an seinen Freund, den Kaufmann August Ristelhüber in Hamburg. Der hatte ein Speditions- und Kommissionsgeschäft. Er war ein großzügiger, energischer und bedachtsamer Herr, auch äußerlich groß und imponierend. Ich stellte mich zaghaft, weil dürftig gekleidet, in seinem Büro vor. Er machte mir sanfte Vorwürfe darüber, daß ich meine Stellungen so oft leichtsinnig aufgegeben hätte. Man zöge doch ein Hemd nicht aus, ehe man ein neues besäße. Er wollte mich aber eine Zeitlang als Lehrling einstellen und mir ein Salär von 20 Mark pro Woche zahlen. Eigentlich bekämen Lehrlinge drei Jahre lang überhaupt nichts. Aber meine Stellung bei ihm wäre ja nur ein Provisorium, bis sich die Frage entschiede, ob ich demnächst Soldat werden müßte. Er stellte mich seinen Prokuristen und Kommis vor. Die belächelten verstohlen meinen ungewöhnlichen Anzug. Ich begann meinen Dienst.

      Man