Mittags ein Gang, Steckrüben oder dergleichen, an glücklichen Tagen Erbsen. Dann Zeugwäsche, ordnen, die einzelnen Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände mit Stempeln versehen oder Namenläppchen hineinnähen usw. Zum Abendbrot Tee mit trockenem Brot. Mit dem Zapfenstreich neun Uhr zu Bett. Und dazwischen immer wieder Appell, Musterungen, Abzählen usw.
Für Geld erhielt man in der Kantine besondere Lebensmittel. Für Geld übernahmen die Feldwebelsfrauen das Einnähen der Namenläppchen. Wer Geld hatte, gab seine Wäsche an Waschfrauen, denn sonst mußten wir sie in kaltem Wasser waschen. Wir bekamen alle Dekaden ein paar Pfennig Löhnung. Damit war nicht auszukommen, obwohl wir weder eine Extra-Uniform tragen, noch eine Privatwohnung halten durften. Vater zahlte mir monatlich fünfzehn Mark, und Mutter sandte Freßkisten. Zivilschuhe wurden erlaubt, wenn ihre Bauart gewissen Vorschriften entsprach. Wir lernten eine Million Vorschriften auswendig.
Ich lag mit elf Einjährigen in einer Stube. Hinter einer Schrankwand hausten ein Obermatrose und ein Obermaat. Die erzogen uns und sammelten Geld von uns zum Einkauf von Gardinen, Spindtapeten u. dgl. Denn die Stuben wetteiferten miteinander in bezug auf Sauberkeit und Schmuck.
Mit der Zeit wurden wir geimpft, erhielten Gewehre, dann fand die feierliche Vereidigung statt. Wir durften nun abends allein die Kaserne verlassen.
Im militärischen Gewimmel in den Straßen Kiels gab's dann zunächst die komischen oder folgenschweren Verwechslungen beim Grüßen der Vorgesetzten. Wir hielten einen betreßten Hotelportier für einen Admiral und umgekehrt und ähnliches.
Zu Kaisers Geburtstag war großer Trubel. Man gab uns Kuchen und Schokolade und zu Mittag pro Mann ein Streifchen Renntierbraten sowie eine Flasche Bier. Die Hauptfeier fand abends in einem großen Etablissement statt, wozu der höchste Admiral und die Offiziere mit ihren Damen erschienen. Die Mannschaften durften sich Köchinnen und andere Mädchen mitbringen. Theatervorstellung, lebende Bilder. Dann großer Ball. Alles in Gala, wir Matrosen in Paradeuniform. Ich fühlte mich aber sehr einsam. Weil ich nicht tanzen konnte, kehrte ich schon um elf Uhr in die Kaserne zurück.
Unsere Freude an unseren Uniformen war natürlich anfangs eine sehr stolze gewesen. Wir alle hatten uns bei der ersten, sich bietenden Gelegenheit photographieren lassen, mit fürchterlicher Seeschlacht im Hintergrund. Da aber in Kiel nur wenig Zivilisten, hingegen Tausende von Marinern waren, merkten wir bald, daß ein Matrose dort keine Rolle spielte. Die Mädchen nannten uns verächtlich »Kulis« und sahen nur nach den Offizieren. Und die Kaufleute, die doch von uns lebten, wußten, daß wir auf sie angewiesen waren und behandelten uns hochmütig. Andererseits war auch ein unbeschreiblich rohes Pack unter uns. Eine Dame durfte sich nachts nicht auf die Straße wagen, wo die Urlaubsboote anlegten.
Mir fiel der Dienst nicht schwer, zumal wir einen sehr netten Sergeanten hatten. Er redete uns zwar nur mit »dämliches Roß«, »Schwammnase« oder »Besoffene Lerche« an, aber das kam nicht von Herzen. Ich hoffte im stillen, nach meiner Ausbildung nach Südwestafrika abkommandiert zu werden, wo damals die Hereros aufständisch waren.
Meta Seidler sandte mir folgende Zeitungsnotiz zu:
»Einem Schiffsjungen namens (mein Name war entstellt) scheint das Seefahren im letzten Augenblick leid geworden zu sein. Er war im Oktober 1902 für das Schiff ›Ramses‹ angenommen worden, hatte auch seine Effekten bereits an Bord gebracht, trat aber die Reise nicht mit an, ließ seine Sachen im Stich und kümmerte sich auch später nicht darum, trotzdem er einige Zeit nach der Ausreise des Schiffes hier noch gesehen worden ist. Wer über ihn, der ein Süddeutscher sein soll, Auskunft geben kann, wird gebeten, dies im Stadthause, Zimmer 27, zu tun.«
Ich wußte, daß ich eine recht gute Ausrüstung an Kleidern und Wäsche, außerdem einen See-Atlas und sonstige praktische Gegenstände auf der »Ramses« zurückgelassen hatte. Das sollte ich nun wiederbekommen. Ich schrieb der Polizei meinen Aufenthalt und bat, meinen Kleidersack dem Heuerbas Krahl in Hamburg auszuliefern. Der bewahrte ihn dann ein paar Wochen auf und sandte ihn meiner Mutter zu. Die schrieb: Was ist mir da für ein abscheulicher Sack zugesandt, für den ich viel Geld zahlen mußte und der nur entsetzliche Lumpen und stinkende Abfälle enthält?
Dienst – Appell – Musterungen. Jede Nähnadel hatte ihren bestimmten Platz. Jedes Wäschestück mußte zusammengerollt und mit einem blauen, manchmal mit einem weißen Läppchen umwickelt werden.
Heimlich mietete ich mir nun doch ein Privatzimmer im Christlichen Hospiz, wo ich abends dichtend meine Urlaubsstunden verbrachte oder mit dem netten Wirt Schach spielte.
Ich wurde auf den Kreuzer S.M.S. »Nymphe« kommandiert. Zu meiner infanteristischen Ausbildung kam nun noch die artilleristische und die bootsdienstliche. Da ich außerdem Signalgast wurde, mußte ich viele Signalsprachen nach geheimen oder internationalen Systemen erlernen. Meinen Augen wurden verantwortungsvolle Aufgaben gestellt. Doch standen mir die besten Fernrohre und Doppelgläser zur Verfügung.
Der Drill an Bord war noch weit strenger als an Land. Das Schlimmste war allen das Kohlen. In rasender Eile anstrengendste Arbeit. Schweiß gemischt mit Kohlendreck. Hinterher Belohnung: »Antreten zum Schnapsempfang.« »Nymphe« war ein Torpedoversuchsschiff. Und auch für funkentelegraphische Versuche bestimmt. Kommandant war der Korvettenkapitän Stahmer. Unsere Übungen in der Nordsee und in der Ostsee führten uns nach den meisten deutschen Häfen. Dann fuhren wir für eine Zeit nach Norwegen. In Arendal empfingen uns die Bewohner mit großer Begeisterung. Schöne Damen und Mädchen kamen an Bord. Man tanzte. An Land wurde abends weitergefeiert. Die Nationalhymnen stiegen. Beim Abschied winkten zarte Tücher.
Wir hatten einen Ersten Offizier, der nicht ganz richtig im Kopf war und uns arg zusetzte. Er gab Befehle wie: »Alle Mann antreten zum Durchfrieren auf der Back.« Dann mußten wir regungslos in der Kälte strammstehen. Zur Abhärtung. Es hagelte Strafen. Ich kam aber zunächst gut davon. Obwohl ich eines Abends, da ich angeheitert die Barbarossabrücke betrat, beinahe Prinz Heinrich umgerannt hätte.
Einmal fuhren wir den Prinzen Ludwig von Bayern von Bremen nach Helgoland. Ein Graf Zeppelin war unter seinen Begleitern. Der hat mir in späteren Jahren erzählt, daß es auf der »Nymphe« eine große Wuling gegeben hätte, weil der Prinz darauf bestand, daß die bayrische Standarte gehißt würde. Der Kommandant aber wollte diese teure Flagge nicht extra für diese Fahrt anschaffen. Ich merkte damals davon nichts. Ich hatte nur die Ehre, als Signalgast dicht neben dem hohen Herrn zu stehen und ihm einmal eine Hanf matte unter die Füße zu schieben, wobei er mich »sehr ungeschickt« nannte. Von Helgoland fuhren wir nach Hamburg. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich, als der Kommandant uns Stadturlaub verweigerte. Daraufhin erhielt ein Teil der Mannschaft Urlaub. Von dem andern Teil entfernten sich viele heimlich, indem sie an der Ankerkette herunter in ein Zivilboot kletterten. Da sich sogar die Fälle von Desertionen mehrten, verließ das Schiff nach zwei Tagen Hamburg und fuhr nach Kiel.
Als Signalgast mußte ich auf der Brücke alles beobachten, was ringsum auf dem Wasser und an Land vorging. Das war sehr abwechslungsreich und spannend. Da sah ich morgens das Bäckerboot, das den vielen verankerten Schiffen die Semmeln brachte. Das Boot kenterte, und nun schwamm der Bäcker zwischen Hunderten von Semmeln. Andermal passierte ein Boot, das mit Huren besetzt war. Als es dicht an uns vorbeiruderte, hoben die Weiber ihre Röcke hoch und zeigten uns ihren Hintern.
Wenn sich nachts unser Routineboot von Land zurückkommend näherte, mußte ich es durchs Megaphon anrufen: »Boot ahoi!« Der Bootsführer rief dann zurück: »Nein! Nein!« Das hieß: Ich bringe nur Mannschaften. Oder er rief: »Ja! Ja!« Das hieß: Es ist ein Offizier im Boot. Oder: »Nymphe!« Das hieß: Wir bringen den Kommandanten. Wäre der Kaiser auf dem Boot gewesen, so hätte die Antwort »Standart« gelautet. Solche und hundert andere Dinge mußte ich beherrschen.
War die »Nymphe« Wachschiff im Hafen, so hatte sie mittags um zwölf Uhr einen blinden Schuß abzufeuern, nach dem sich alle Schiffsuhren richteten. Das mußte äußerst pünktlich geschehen. Manchmal verzögerten aber die Geschützführer den Schuß ein wenig, um ein ahnungslos vorbeifahrendes Zivilboot mit dem Knall zu erschrecken. Denn die Schnelladekanonen tönten gewaltig. Wenn die Kriegsschiffe im Hafen bei feierlichen Anlässen Salut schossen, bebten in ganz