»Ja«, versicherte Moko, »… ein Land … dort im Osten!«
Er wies dabei nach einem Punkt am Horizont, den jetzt schon wieder wallende Nebelmassen verhüllten.
»Bist du deiner Sache sicher …?« fragte Doniphan.
»Ja …! Ja …! Ganz sicher«, behauptete der kleine Neger. »Wenn der Nebel wieder einmal zerreißt, so seht nur scharf dorthin, etwas nach rechts vom Fockmast … da … Achtung … da unten …!«
Die sich eben öffnenden Nebelmassen lösten sich allmählich von der Meeresfläche, um nach höheren Zonen aufzusteigen. Einige Augenblicke später war der Ozean auf die Strecke von mehreren Seemeilen vor der Yacht klar zu übersehen.
»Ja … Land …! Das ist Land …!« rief Briant.
»Und ein sehr niedriges Land!« setzte Gordon hinzu, der die gemeldete Küste schärfer ins Auge gefasst hatte.
Jetzt konnte kein Zweifel mehr aufkommen. Auf einer breiten Strecke des Horizontes zeichnete sich Land, ein Kontinent oder eine Insel, in deutlicher Linie ab. Dasselbe mochte fünf bis sechs Seemeilen von hier entfernt sein. Bei der Richtung, der er folgte und aus der abzuweichen der Sturm ihm gar nicht erlaubte, musste der »Sloughi« binnen einer Stunde unbedingt auf dasselbe geworfen werden. Dabei war freilich zu befürchten, dass er zertrümmert wurde, vorzüglich wenn ihn Klippen aufhielten, bevor er den eigentlichen Strand erreichte.
Hieran dachten die Knaben jedoch gar nicht. In dem Lande, welches so unerwartet sich ihren Blicken darbot, sahen sie nur das Heil, die winkende Rettung.
In diesem Augenblick begann der Wind wieder stärker zu wehen. Wie eine Feder davongetragen, stürmte der »Sloughi« auf die Küste zu, welche sich scharf wie ein Tintenstrich vom weißlichen Grund des Himmels abhob. Hinter dem Strand erhob sich nämlich ein höheres Uferland, das aber nicht mehr als hundertfünfzig bis zweihundert Fuß aufsteigen mochte. Vor ihm dehnte sich ein gelblicher Strand aus, zur Rechten eingerahmt von abgerundeten Massen, welche einem Wald im Innern anzugehören schienen.
Oh, wenn der »Sloughi« dieses sandige Vorland erreichen konnte, ohne auf eine Klippenreihe zu stoßen, wenn die Mündung eines Flusses ihm Zuflucht bot — dann, ja dann konnten seine jungen Passagiere noch heil und gesund davonkommen!
Während Doniphan, Gordon und Moko am Steuer blieben, hatte Briant sich nach dem Vorderdeck begeben und betrachtete das sich sichtlich nähernde Land; so schnell schossen sie dahin. Vergebens suchte er aber eine Stelle, wo die Yacht hätte unter günstigen Bedingungen anlaufen können. Hier zeigte sich weder die Mündung eines Flusses oder Baches, noch selbst ein flach ins Meer abfallender sandiger Strand, auf dem man mit einem Stoße festfahren konnte. Vor dem Strand hin nämlich streckte sich eine Reihe von Klippen, deren schwärzliche Häupter bei den auf und ab schwankenden Wogen auftauchten und wieder verschwanden und an welchen das Wasser fortwährend schäumend brandete. Hier musste der »Sloughi« beim ersten Stoß in Stücke gehen.
Briant sagte sich da, dass es besser sei, im Augenblick der Strandung alle seine Kameraden auf dem Deck zu haben. Er öffnete also die Tür der Kappe und rief hinunter:
»Alle, alle herauf!«
Sofort kam ein Hund herausgesprungen und ihm folgten zehn Kinder, die sich nach dem Hinterteil der Yacht drängten. Die kleinsten stießen beim Anblick der bergehohen Wellen ein entsetzliches Angstgeschrei aus.
Kurz vor sechs Uhr morgens war der »Sloughi« bis an den Rand des Klippengürtels herangekommen.
»Jetzt festhalten!« rief Briant. »Tüchtig festhalten!«
Die Kleider halb abgelegt, hielt er sich bereit, denen zu Hilfe zu springen, welche der Wogenschlag etwa fortriss, denn sicherlich wurde die Yacht über die Klippen hingewälzt.
Da machte sich ein erster Stoß fühlbar. Der »Sloughi« stampfte mit seinem Hinterteil auf einen Felsen, aber trotz der gewaltigen Erschütterung des ganzen Schiffsrumpfes drang doch kein Wasser durch dessen Plankenwand.
Von einer zweiten Welle gehoben, wurde er gegen fünfzig Fuß weiter getragen, diesmal ohne die Klippen zu streifen, welche an unzähligen Stellen emporstarrten. Endlich blieb er, nach Backbord geneigt, inmitten der kochenden Brandung liegen.
Wenn auch nicht im offenen Meer, so befand er sich doch noch eine Viertelmeile vom Strand entfernt.
1 Schoner-Segelschiff mit zwei Masten, von denen der hintere höher als der vordere ist. <<<
2 Die Takelage eines Schiffes umfasst alles für die Bemastung sowie die Besegelung erforderliche Tauwerk nebst Befestigungen. <<<
3 Der erste Steuermann auf großen Segelschiffen, in der Marine ein Deckoffizier. <<<
4 machtlos <<<
5 waagerechte Stangen am Mast, an denen die Segel befestigt sind <<<
6 Spill mit senkrechter Welle, in dessen Kopf Speichen eingesetzt werden, die von den Matrosen im Rundgang herumgedreht werden, um (Anker)ketten auf- und abzuwinden <<<
Zweites Kapitel
In der Brandung. — Briant und Doniphan. — Die Küste. — Vorbereitungen zur Rettung. — Das umstrittene Boot. — Von der Höhe des Fockmastes. — Ein mutiges Unternehmen Briants. — Eine Folge der Springflut.
———
Die von der Nebelwand befreite Atmosphäre gestattete jetzt einen weiten Ausblick rings um den Schoner. Die Wolken flogen noch immer mit rasender Schnelligkeit am Himmel hin, der Sturm hatte noch immer nicht ausgewütet. Vielleicht peitschte er dieses unbekannte Gebiet des Stillen Ozeans aber doch nur mit seinen letzten Ausläufern.
Das war mindestens höchst wünschenswert, denn die Lage des »Sloughi« war jetzt nicht minder beängstigend als in der Nacht, wo er gegen das empörte Meer ankämpfte. Eines sich an das andere schmiegend, mussten diese Kinder sich verloren glauben, wenn eine Woge über