»Was tun wir nun …?« fragte da Doniphan.
»Alles, was uns mit Gottes Hilfe möglich sein wird, uns zu retten«, antwortete Briant.
In der Tat verdoppelte der Sturm jetzt seine Gewalt. Der Wind wehte »fuderweise«, wie die (französischen) Seeleute zu sagen pflegen, und wiederholt schien es, als müsse der »Sloughi« bei dem schauerlichen Unwetter in Trümmer gehen. Seit achtundvierzig Stunden redelos,4 der Großmast vier Fuß über den Deckbalken abgebrochen, hatte man kein Schönfahrsegel hissen können, um das Schiff sicherer zu regieren. Der nur seiner Oberbramstange beraubte Fockmast stand zwar vorläufig noch fest, doch war jede Minute zu befürchten, dass er, wenn die Wanten (Schiffsleitern) desselben rissen, sich auf das Deck herabsenken würde. Vorn flatterten und klatschten die Fetzen des kleinen Klüversegels so laut wie der Knall einer Feuerwaffe. Als einziges Segelwerk war nur das Focksegel übrig, welches aber ebenfalls zu zerreißen drohte, da die Knaben nicht Kraft genug hatten, durch ein eingezogenes Reff seine Oberfläche zu verkleinern. Kam es auch noch dazu, so konnte der Schoner nicht mehr im Strich des Windes gehalten werden; die Wogen rollten dann von der Seite her über ihn herein, brachten ihn zum Kentern und zum Sinken, und damit verschwanden seine Passagiere im schauerlichen Abgrund.
Und bisher war nach der offenen See zu keine Insel entdeckt worden, keine Linie festen Landes im Osten aufgetaucht! Sich mit einem Schiff auf den Strand zu setzen, ist ein entsetzliches Rettungsmittel, und doch würden diese Kinder es weniger gefürchtet haben als das Wüten des grenzenlosen Meeres. Jedes beliebige Ufer hätten sie trotz etwaiger Untiefen, Klippen, trotz des darauf stürmenden Wogenschwalles und der Brandung, welche unaufhörlich gegen die Felsmauern donnert, als winkende Rettung begrüßt, als festes Land unter den Füßen anstelle des Ozeans, der sie jeden Augenblick zu verschlingen drohte.
Auch nach einem Lichte, auf das sie hätten zusteuern können, spähten sie vergebens …
Kein freundlicher Schein durchdrang das tiefe Dunkel der Nacht.
»Der Fockmast ist gebrochen!« rief Doniphan.
»Nein; nur das Segeltuch hat sich von den Saumtauen losgerissen«, erklärte der Schiffsjunge.
»Wir müssen uns desselben entledigen«, meinte Briant. »Gordon, bleib du mit Doniphan am Rad, und du, Moko, hilfst mir!«
Wenn Moko als Schiffsjunge einige nautische Kenntnisse besitzen musste, so gingen diese auch Briant nicht vollständig ab. Da er auf seiner Fahrt von Europa nach Ozeanien den Atlantischen und den Stillen Ozean durchschifft, hatte er sich mit der Führung eines Schiffes einigermaßen vertraut gemacht. Das erklärt es, weshalb die anderen Knaben, welche davon gar nichts verstanden, Moko und ihm die Sorge, den Schoner zu führen, hatten überlassen müssen.
In einem Augenblick waren Briant und der Schiffsjunge unerschrocken nach dem Vorderteil der Yacht geeilt. Um deren Drehung zu verhüten, mussten sie dieselbe von dem Focksegel befreien, dessen unterer Teil eine Art Tasche bildete und durch Abfangen des Windes den Schoner so bedenklich nach seitwärts neigte, dass dieser fast die Wellenkämme berührte. Kam es aber erst soweit, so konnte dieser sich nicht wieder aufrichten, wenn nicht der Fockmast nach Sprengung seiner metallenen Puttings gekappt wurde; wie hätten Kinder das indes ausführen können?
Unter diesen schwierigen Umständen bewiesen Briant und Moko eine wirklich erstaunliche Geschicklichkeit. In der Absicht, an Leinwand so viel wie möglich zu behalten, um den »Sloughi« während der Dauer des Sturmes vor dem Winde zu erhalten, bemühten sie sich — und zwar mit Erfolg — das Hisstau der Rah zu lösen, welche sich nun bis auf vier bis fünf Fuß über dem Deck herabsenkte. Nach Lostrennung einzelner Fetzen des Focksegels mittels Messer, wurden dessen untere Ecken durch einige Hilfsbrassen an den Pflöcken der Schanzkleidung befestigt, wobei die zwei mutigen Knaben freilich zwanzigmal in Gefahr kamen, von Sturzseen weggespült zu werden.
Unter dieser bis aufs äußerste verminderten Segelfläche konnte dem Schoner wenigstens die Richtung gesichert werden, die er jetzt schon lange Zeit einhielt. Schon der Druck des Windes an seinem Rumpf allein genügte übrigens, ihn mit der Schnelligkeit eines Torpedobootes dahinzujagen. Das war von Wichtigkeit, weil es darauf ankam, schneller als die nachrollenden Wogen fortzutreiben, um von zu schweren Sturzseen über Backbord frei zu bleiben.
Nach Durchführung ihrer Aufgabe kehrten Briant und Moko wieder zu Gordon und Doniphan zurück, um diese beim Steuern zu unterstützen.
Eben jetzt öffnete sich die Tür der Treppenkappe zum zweiten Mal. Ein Kind steckte den Kopf heraus. Es war Jacques, der um drei Jahre jüngere Bruder Briants.
»Was willst du, Jacques?« fragte ihn sein Bruder.
»Komm! Komm schnell!« erwiderte Jacques. »Im Salon steht Wasser!«
»Ist das möglich?« rief Briant erschreckt.
Eilenden Schrittes lief er nach der Kappe und sprang die Treppe hinunter.
Den Salon erleuchtete nur ganz notdürftig eine Hängelampe, welche bei dem Stampfen des Schiffes heftig schwankte. Beim Schein derselben erblickte man etwa zehn Kinder auf den Polsterbänken oder den Lagerstätten des »Sloughi«. Die kleinsten derselben — und es waren solche von acht bis neun Jahren darunter — hatten sich in ihrer Todesangst dicht aneinandergedrängt.
»Es ist keine Gefahr vorhanden!« rief ihnen Briant, der sie zunächst beruhigen wollte, zu. »Wir sind ja da! Fürchtet euch nicht!«
Darauf mit einer Signallaterne den Fußboden des Salons ableuchtend, musste er sich überzeugen, dass eine gewisse Menge Wasser in der Yacht von einem Bord zum anderen hin und wieder flutete.
Jetzt galt es festzustellen, woher dieses Wasser kam und ob es wohl gar durch einen Sprung in der Seitenwand eingedrungen war.
Vor dem Salon befand sich das große Zimmer und weiterhin der Speisesaal, dann die Wohnung und darüber das Wachhaus der Mannschaft.
Briant durchsuchte alle diese Räumlichkeiten und erkannte, dass das Wasser weder ober-