Wie gefährlich dieser Versuch auch sein mochte, so wollte Briant doch niemand gestatten, für ihn einzutreten, und er traf demgemäß seine Vorbereitungen.
An Bord befanden sich mehrere schwächere Taue von etwa hundert Fuß Länge, welche gelegentlich als Trossen gedient hatten. Briant wählte eines von mittlerer Dicke, das ihm am geeignetsten erschien, und befestigte dasselbe, nachdem er sich halb entkleidet, am Gürtel.
»Jetzt, Achtung, ihr anderen!« rief Gordon. »Seid bei der Hand, das Tau nachgleiten zu lassen. Hierher aufs Vorderdeck!«
Doniphan, Wilcox, Cross und Webb konnten ihre Mithilfe bei einem Unternehmen nicht verweigern, dessen Wichtigkeit sie einsahen. Trotz ihrer Misslaune ließen sie sich dazu herbei, an dem Tau mit anzufassen und dieses je nach Bedarf nachschießen zu lassen, um Briants Kräfte möglichst zu schonen.
In dem Augenblick, wo dieser bereitstand, über Bord zu springen, näherte sich ihm sein Bruder und rief:
»Ach, Briant, was wagst du?«
»Keine Furcht, Jacques! Ängstige dich nicht um mich!« antwortete der mutige Knabe.
Gleich darauf sah man ihn schon im Wasser auftauchen und mit kräftiger Bewegung fortschwimmen, während das Tau ihm nachrollte.
Selbst bei ruhigem Meere wäre dieses Unternehmen sehr schwierig gewesen, denn die Brandung schlug stets heftig gegen das Felsengewirr. Strömungen und Gegenströmungen hinderten den unerschrockenen Knaben oft, eine gerade Richtung einzuhalten, und wenn sie ihn packten, hatte er große Mühe, sich wieder herauszuarbeiten.
Immerhin kam Briant dem Strand allmählich näher, während seine Kameraden das Tau nach Bedarf ablaufen ließen. Offenbar aber nahmen seine Kräfte ab, obwohl er sich fünfzig Fuß weit vom Schoner befand. Vor ihm tobte jetzt ein heftiger Wirbel, erzeugt durch verschieden aufeinandertreffende Wellen. Gelang es ihm, um diesen herumzukommen, so durfte er hoffen, sein Ziel zu erreichen, denn hinter demselben war das Wasser bedeutend ruhiger. Er versuchte also sich mit aller Anstrengung nach links zu werfen. Vergeblich! Auch der beste Schwimmer im kräftigsten Mannesalter wäre hieran gescheitert. Von der durcheinanderschießenden Wellenbewegung erfasst, wurde Briant unwiderstehlich nach der Mitte des Wirbels gezogen.
»Zu Hilfe …! Zieht an …! Holt ein!« hatte er noch die Kraft zu rufen, bevor er verschwand.
An Bord der Yacht verbreitete sich ein unbeschreiblicher Schrecken.
»Holt ein …!« rief Gordon kaltblütig.
Seine Kameraden beeilten sich, das Tau schnell einzuziehen, um Briant wieder an Bord zu holen, ehe er durch zu langes Verweilen unter Wasser erstickte.
Binnen weniger als einer Minute war Briant — freilich bewusstlos — an Bord geholt; er kam jedoch in den Armen seines Bruders bald wieder zu sich.
Der Versuch, ein Tau irgendwo an der Klippenreihe zu befestigen, war missglückt und keiner hätte ihn mit Aussicht auf Erfolg wiederholen können. Die unglücklichen Kinder waren also darauf angewiesen, ruhig zu warten … Auf was denn zu warten …? Auf Unterstützung …? Doch von welcher Seite und von wem hätte eine solche kommen können?
Jetzt war schon Mittag vorüber; die Flut machte sich bereits bemerkbar und die Brandung wurde stärker. Da gleichzeitig Neumond war, musste die Flut sogar höher steigen als am vergangenen Tage. Wenn dazu der Wind wieder mehr nach der Seite des hohen Meeres zurückging, lief der Schoner Gefahr, von seinem Felsenbett noch einmal abgehoben zu werden … Er streifte dann von Neuem den Grund, er musste an den Klippen kentern! — Diesen endlichen Ausgang des Schiffbruchs hätte keiner überlebt. Und jetzt war nichts zu tun … nichts!
Auf dem Achterdeck versammelt, die Kleinen in der Mitte der Großen, betrachteten alle das Wiederanschwellen des Meeres, das sich durch die nacheinander verschwindenden Klippenhäupter verriet. Leider war der Wind wieder nach Westen umgeschlagen, und wie in vergangener Nacht peitschte er das Land mit voller Wucht. Mit dem sich vertiefenden Wasser wuchsen auch die Wellen wieder an, hüllten den »Sloughi« in feuchte Dünste und mussten bald über denselben hinwegbranden. Gott allein konnte den jungen Schiffbrüchigen zu Hilfe kommen, und ihre Gebete vermischten sich mit ihren Angstrufen.
Kurz vor zwei Uhr hatte der Schoner sich wieder aufgerichtet und lag jetzt nicht mehr nach Backbord geneigt. Infolge seines Stampfens stieß er aber mit dem Vorderteil auf den Grund, obwohl sein Hintersteven noch auf dem Felsen festsaß. Bald wiederholten sich die Stöße ohne Unterlass, und der »Sloughi« rollte dabei von einer Seite zur anderen. Die Kinder mussten sich fest aneinanderhalten, um nicht über Bord geschleudert zu werden.
In diesem Augenblick kam ein schaumgekrönter Berg von der offenen See her angestürmt und türmte sich zwei Kabellängen von der Yacht noch höher auf. Man hätte ihn für die ungeheure Woge einer Springflut, wie diese in einige große Ströme sich eindrängt, halten können. In einer Höhe von über zwanzig Fuß kam er herangedonnert, brauste über den Klippengürtel hinweg und hob den »Sloughi« auf, den er über die Felsen wegtrug, ohne dass sein Kiel die Felsen nur streifte.
Binnen weniger als einer Minute wurde der »Sloughi«, umhüllt von der gurgelnden Wassermasse, bis mitten auf den Strand und hier auf einen Sandhügel geworfen, sodass er kaum zweihundert Schritte von den Bäumen des hohen Uferrandes entfernt lag. Hier blieb er, diesmal auf dem festen Land, unbeweglich sitzen, während das wieder abflutende Meer den Strand trocken zurückließ.
1 zweitoberste Verlängerung eines Mastes <<<
Drittes Kapitel
Die Pension Chairman in Auckland. — Große und Kleine. — Ferien auf dem