»Ich wollte, ich wäre ein Fischer,« sagte Hella, »dann könnte ich mit dem Schiffe in das wilde Wasser hineinfahren. Die Jungen haben es doch viel besser als wir Mädchen.«
»Aber wenn du ein Junge bist, kannst du keine Zirkusreiterin werden, und das ist das Schönste,« meinte Pommerle.
»Ach, dann werde ich ein Clown, der immerzu Späße macht. – Ich möchte doch lieber ein Junge sein.«
Gegen Mittag flaute die See ein wenig ab, das Wasser wurde ruhiger, und am Nachmittag gestattete man dem Kinde, wieder an den Strand zu gehen.
Pommerle tat sehr geheimnisvoll. Es hatte schon vor Tisch aus dem Stanniolpapier seiner Schokolade allerlei Sterne ausgeschnitten, dann war das Kind zu Frau Jäger gegangen, hatte leise mit ihr verhandelt, und nach dem Essen ging die Kleine, einen Besen in der Hand, ein kleines Bündel unter dem Arm, hin zu dem aus dem Wasser aufragenden Steine.
Heute wollte man besonders schön spielen, denn auch Hella hatte sich bereit erklärt, Zirkus mitzumachen.
Die beiden Kleinen trafen sich. Der Besen wurde nun in den Sand gesteckt, der Bindfaden daran befestigt, dann begann die Toilette der beiden Mädchen. Sie wollten sich schön machen, um jener Zirkusreiterin zu gleichen. Hella hatte ein Sprungseil mitgebracht, wie man es bei dem rosa Fräulein gesehen hatte, Pommerle wickelte die Decke seines Puppenwagens aus, die aus Tüll angefertigt war. Mit Hilfe eines bunten Bandes band es die Decke am Kopfe fest, daß sie wie ein Schleier nach rückwärts herunterhing. Dann kam ein Stück alte Gardine hervor, das legte sich Pommerle um die Schultern, und daran befestigte das Kind mit Hilfe von Stecknadeln die silbernen Sterne, die es ausgeschnitten hatte. Auch Hella putzte sich mit einigen Bändern und einer Küchenschürze, so gut es ging, heraus, dann watete Pommerle durch das Wasser und bestieg den Stein.
Nun begann das Spiel. Hella war der Stallmeister, der das edle Roß mit lautem Hü und Hott anfeuerte, Pommerle aber sprang auf dem schlüpfrigen Steine umher. Bald hüpfte es auf einem Bein, streckte einen Arm hoch in die Luft, dann kauerte es sich zusammen, sprang auf, winkte und nickte dem nicht vorhandenen Publikum freundlich zu; und als Hella schließlich laut klatschte, verneigte sich Pommerle nach allen Seiten.
»Jetzt das Springseil,« rief Hella und schleuderte der Spielkameradin das Seil zu.
Pommerle ergriff das Seil, schwang es, sprang darüber, noch einmal, während Hella immer eifriger Hü und Hott schrie.
Da – ein lauter Aufschrei, Pommerle war ausgeglitten, fiel auf den feuchten Stein und schlug so unglücklich auf, daß ihm gleich zwei Zähne aus dem Munde flogen und die kleine Nase heftig zu bluten begann.
»Ein Zirkusunglück,« sagte Hella, »komm rasch 'mal 'rüber und halte den Kopf zurück, dann wird es gleich wieder gut.«
Und nun sah die Freundin, was geschehen war.
Pommerle hatte sich recht kräftig aufgeschlagen. Sogar die linke Wange war zerschrammt und schmerzte tüchtig. Das Kind verbiß sich aber tapfer den Schmerz und meinte nach einer Weile, es würde schon besser werden. So legte sich Pommerle in den Sand, um das Nasenbluten zu stillen, während Hella nun auch ihrerseits ihre Zirkuskünste zeigen wollte.
Der Stein war bald erreicht. Aber Hella war nicht so an die schlüpfrige Unterlage gewöhnt wie Pommerle, schon im nächsten Augenblick glitt die Kleine rücklings herab und fiel kopfüber ins Wasser.
Die wilde See hatte am Vormittag auf der einen Seite den Stein stark unterwühlt, den Sand fortgewaschen, so daß an der Stelle, an der Hella ins Wasser glitt, ein tiefes Loch entstanden war. Hella hatte somit keinen Grund unter den Füßen, sank sogleich unter, wurde aber von einer Welle wieder aufwärts gerissen und ein beträchtliches Stück mit hinaus in die See geworfen.
Ein wilder Schrei kam von den Lippen der Verunglückten. Pommerle, das die Augen geschlossen hatte, richtete sich bei dem Schrei sofort auf, sah den leeren Stein, hörte den lauten Schrei und bemerkte, wie die Freundin mit den Wellen rang.
Ein jäher Schreck erfaßte die Kleine. Pommerle wußte, daß Hella nicht schwimmen konnte, das Kind selbst vermochte es auch nicht. Hella war aber schon so weit vom Strande abgetrieben, daß Pommerle die Spielgefährtin nicht mehr erreichen konnte, auch wenn es sich mit den Füßen ins Wasser wagte.
»Ich ertrinke – ich ertrinke!« schrie Hella in größter Angst.
Pommerle sah, daß sich eine neue Welle heranwälzte – sie trieb Hella glücklicherweise weiter nach vorn. – Pommerle lief ins Wasser, streckte die Hand aus; aber schon wieder hatte die Welle die Verunglückte fortgerissen.
Obwohl das Blut dem kleinen Pommerle noch immer aus der Nase tropfte, suchte das kleine Mädchen nach einem rettenden Ausweg.
»Leute – Leute, wir ertrinken!« rief Pommerle ganz laut. So ertönte das Rufen der beiden Kinder zusammen. »Kommt doch, Leute!« Pommerle ließ nicht nach mit Schreien. Aber nur in weiterer Entfernung sah es einige Spaziergänger.
Was jetzt tun? Mit den Händen wischte sich die Kleine das rinnende Blut ab, die Augen glitten suchend umher. Da stand der Besen – dort lag das Sprungseil. Pommerle ergriff beides. Den Besenstiel in der einen Hand, das Ende des Seiles in der anderen, wagte es sich erneut ins Wasser hinein.
»Greif doch!« rief das verängstigte Kind der mit den Wellen kämpfenden Hella zu.
Hella streckte die Hände aus, fast hätte sie den Besen ergriffen, aber es gelang doch nicht.
»Leute – Leute, wir ertrinken!«
Die Wellen kamen und gingen, Hella war bald näher, bald weiter. Wenn man den Besen verlängern könnte – aber wie? Pommerle nahm das Seil und band es um den Besenstiel, dann warf es erneut den Besen aus. Jetzt – jetzt hatte Hella den Stiel erfaßt.
Es brauste in Pommerles Ohren – Hella hatte den Besen; aber als Pommerle diesen jetzt mit dem Strick ans Ufer ziehen wollte, glitt das Seil von dem Besenstiel ab. – Da lief Pommerle, ohne noch lange zu überlegen, tief ins Wasser hinein, es wollte den Besenstiel erfassen, es mußte Hella damit ans Land ziehen. – Das Wasser ging ihm plötzlich bis zu den Schultern, es war ihm, als schwinde ihm der Boden unter den Füßen – da – jetzt hatte es den Stiel ergriffen.
Die Spaziergänger hatten die lauten Rufe des Kindes vernommen. Sie waren aufmerksam geworden. Ein Herr und eine Dame hatten das gefährliche Rettungswerk erschaut und eilten nun in raschem Laufe über den Strand.
»Wir kommen schon!«
Aber Pommerle hatte in seiner übergroßen Angst den Ruf nicht gehört, es vernahm auch nicht mehr die herankommenden schnellen Schritte der beiden, es galt jetzt, den Besen festzuhalten – doch das Wasser reichte schon bis zum Kinn.
Der Herr warf die Jacke und die Weste ab, beides flog in den Sand, riß die Schuhe von den Füßen und sprang ins Wasser.
»Halt den Besenstiel fest –« das war das letzte, was aus Pommerles Munde kam, dann war es selbst versunken.
Für einen Erwachsenen war das Rettungswerk hier nicht schwer, zumal dann nicht, wenn man schwimmen konnte. Außerdem war verschiedentlich noch Grund vorhanden, es gab hier nur vereinzelte tiefere Stellen im Meeresgrunde. Der Herr, der sich so mutig hineinstürzte, hatte zuerst Hella ergriffen, die ihn begleitende Dame holte das Kind vollends heraus, dann tauchte der Retter unter und brachte auch Pommerle ans Land.
Während Hella vor Aufregung und Angst ohnmächtig wurde, hatte Pommerle seine Besinnung behalten. Ganz schuldbewußt schaute es drein, denn wieder einmal war das Kleid vollkommen naß. Dazu kam, daß auch jetzt wieder das Blut aus der Nase floß und alles beschmutzte.
Pommerle zog die Schultern zusammen und sagte gar nichts. Es fiel ihm schwer aufs Herz, daß Onkel und Tante heute mittag warnende Worte zu ihm gesprochen hatten.
»Sei recht vorsichtig, Kind, wenn du am Strande bist, und spiele nicht immer so wild, du wirst dir noch einmal das Gesicht zerschlagen.«
Und Pommerle hatte darauf geantwortet,