»Ach, Onkel, nur ein kleines bißchen noch.«
So bettelte Pommerle immer wieder, und schließlich wurde es tatsächlich zwölf Uhr, ehe beide den Schießplatz verließen.
Am Nachmittag war es mit dem Kinde nicht mehr auszuhalten. Es wollte heute nicht vier Uhr werden. Um drei Uhr stand Pommerle fertig angekleidet vor Onkel und Tante und fragte unermüdlich, ob man nicht bald gehen wollte.
»Was sollen wir denn so lange in dem Zelte sitzen?«
»In der Schule muß ich auch so lange sitzen – ich werde auch ganz still sein.«
Aber Benders gaben diesmal nicht nach, und erst nach halb vier Uhr holte man Herbert ab, um gemeinsam nach dem Zirkus zu gehen.
Zum ersten Male in seinem Leben sah Pommerle ein solches Zelt, in dem in der Mitte die Manege war, ringsherum erhoben sich die Bänke für die Zuschauer. Es waren nur Bretter, über die zum Teil rote Decken gelegt waren, doch Pommerle kam der ganze Raum so bezaubernd schön vor, daß es kaum zu atmen wagte. Ganz rätselhafte Dinge waren hier angebracht. Von oben herunter hing an roten Seilen eine silberne Stange, außerdem liefen noch Drähte und Stricke hin und her.
»Turnen sie dort oben?« fragte Pommerle mit angehaltenem Atem.
»Jawohl, mein Kind.«
»Und sie fallen niemals herunter?«
»Nein.«
»Ach – muß das fein sein!«
Langsam füllte sich der kleine Zirkus mit Zuschauern. Da zur Zeit in Neuendorf zahlreiche Badegäste weilten, hatte sich eine größere Anzahl Kinder eingestellt. Pommerle fragte hundertmal, ob es nicht bald losgehe, denn dieses Warten war schrecklich.
Nun begann ein Leierkasten Musik zu machen, eine Trompete vervollständigte das Orchester.
»Ist das nicht schön?« flüsterte Pommerle.
»Na freilich,« pflichtete Herr Bender bei. Er kannte zwar bessere Musik, aber dieser kleine Wanderzirkus konnte sich eben keine größere Kapelle leisten.
Da öffnete sich eine Zeltwand, ein Herr in schwarzem Anzug trat ein, der eine lange Peitsche in der Hand trug. Er knallte mehrere Male damit, und dann kam das weiße Pferd.
Pommerle krallte die Hände entzückt in den Arm des Onkels. Das weiße Pferd hatte wieder den Federpuschel auf dem Kopf, ließ sich auf die Vorderbeine nieder und nickte mit dem Kopfe.
Pommerle klatschte wie rasend, und alle anderen Kinder taten dasselbe. Dann gab es noch allerlei Wunderbares. Das Pferd sprang durch einen Reifen, der mit Papier beklebt war; es stand auf den Hinterbeinen, es begann sogar ein wenig zu tanzen, es legte sich auf die Erde, und immer wieder klatschte Pommerle, daß ihm die kleinen Hände weh taten.
Dann rollten sich zwei buntbemalte Männer in die Manege, die sahen so sehr zum Lachen aus, daß Pommerle vor Entzücken laut aufschrie. Sie begrüßten die Kinder, warfen die spitzen Mützen in die Luft und fingen sie mit dem Kopfe wieder auf. Dann begannen sie allerlei zu erzählen. Es war nichts als dummes Zeug, worüber die Kinder vor Freuden laut jauchzten. Einer der Clowns stellte verschiedene Fragen an die Zuschauer, die lachend beantwortet wurden.
»Nun sagt 'mal, liebe Kinder, welche Vögel können nicht hören?«
»Alle Vögel können hören,« tönte es zurück.
»Ach – seid ihr dumm!« lachte der Clown, »die Tauben können nicht hören. – Und wißt ihr auch, wie die Frau von einem Portier heißt?«
»Frau Müller,« rief Pommerle, denn die Nachbarsleute in Hirschberg hatten in ihrem Hause einen Portier, der den Namen Müller trug.
»Falsch geraten!« sagte der Clown, indem er zu Pommerle die spitze Mütze schwenkte, »die Frau vom Portier heißt Portiere!«
So ging es weiter, und immer belohnte lautes Gelächter die beiden Spaßmacher.
Aber dann kam das Schönste von allem – die rosa Fee ritt auf dem weißen Pferd in die Manege. Pommerle winkte ihr zu. Das Pferd begann herumzulaufen, die kleine Reiterin erhob sich, stand auf dem Sattel, nahm ein Seil und begann zu springen. Dann ließ sie sich vom Rücken des Pferdes herunter, sprang wieder hinauf, stand im nächsten Augenblick aufrecht auf dem Rücken des Tieres, und jetzt – – das Kind faltete angstvoll die Hände – jetzt sprang sie durch einen vorgehaltenen Reifen und stand wieder auf dem Rücken des Pferdes. Es war Pommerle, als ob es träume. Und als die Reiterin die Manege verließ, da verlangte Pommerle stürmisch, daß sie noch einmal kommen möge.
Es gab noch allerlei wunderbare Sachen anzustaunen. An der silbernen Stange schaukelte ein Mann in seinem blauen, silbernen Anzug, und dann kam noch einer, der lief auf einem gespannten Drahtseil hin und her.
Pommerle erwachte wie aus einem Traum, als die Tante das Kind anrief und ihm sagte, es sei nun alles zu Ende, man wolle heimgehen.
Aber man wanderte noch nicht heim. Man ging erst in den Stall zu den Pferden, zu dem weißen und dem braunen, das ebenfalls in der Manege seine Kunststücke gezeigt hatte, und jedes bekam seinen Zucker, Pommerle war noch voller Aufregung, und auf dem Heimwege machte es die merkwürdigsten Sprünge, es wollte es der schönen Reiterin gleichtun, die auf dem Rücken des weißen Pferdes herumgehüpft war.
Daheim fiel es bald dem Onkel, bald der Tante um den Hals.
»Oh,« sagte es begeistert, »das war heute der allerschönste Tag in meinem langen Leben, so etwas werde ich wohl nicht wieder erleben!«
»Wenn du auch weiter unser liebes, folgsames Kind bleibst, darfst du im nächsten Jahre wieder in einen Zirkus gehen.«
»Ach, wenn es doch erst im nächsten Jahre wäre!« seufzte die Kleine. »Tante, hast du gesehen, wie schön sie war?«
»Freilich, mein liebes Pommerle, sie war sehr schön.«
Den ganzen Abend über sprach das Kind nichts weiter als von den herrlichen Darbietungen des kleinen Wanderzirkus. Zunächst war sogar die kleine Kochmaschine vergessen, die auf das Kind einen so tiefen Eindruck gemacht hatte.
Als Pommerle am Abend in seinem Bettchen lag, als die Tante ihm den Gutenachtkuß gab, sagte es ernsthaft:
»Liebe, liebe Tante, nun weiß ich endlich, ich werde auch mal so 'ne rosa Reiterin, dann ziehe ich durch die ganze Welt und mache allen Leuten große Freude.«
Pommerle macht von sich reden
Die See zeigte heute ein böses Gesicht. Weit auf den Strand hinauf liefen die Wellen, nahmen den weißen Sand mit sich und rissen ihn zurück in die brodelnde Flut. Dort, wo das Wasser gegen die Steine des Ufers schlug, zischte es hoch auf, ein Sprühregen ergoß sich, neue Wellen lösten die alten ab, es schien, als sei das Meer von unsichtbaren Händen aufgewühlt.
Pommerle saß andächtig im Sande und betrachtete das wunderbare Schauspiel. Es war dem Kinde nichts Neues, aber es freute sich immer wieder daran, wenn sich das Wasser mit weißen Schaumköpfen krönte.
»Das Meer kocht über,« sagte Pommerle dazu und wünschte, daß es immer so bleiben möge. Freilich, an solchen Sturmtagen durfte es nicht ins Wasser hinein. Das hatten Onkel und Tante streng verboten. Trotzdem gab es vorwitzige Kinder, die nach den heranstürmenden Wellen haschten, die sich laut schreiend und lachend umwerfen ließen, um dann vollkommen durchnäßt wieder an den Strand zu klettern.
Seit einigen Tagen hatte Pommerle eine neue Spielgefährtin gefunden. Hella Wangler war eine Berlinerin, die mit den Eltern in Neuendorf während der Ferien weilte. Pommerle hatte das kleine Mädchen zuerst vor dem Zirkus gesehen, man hatte sich am nächsten Tage am Strande getroffen und noch viel von der Vorstellung erzählt. Hella meinte zwar, sie habe schon 'mal einen viel schöneren Zirkus gesehen, aber sie ließ es gelten, daß das weiße Pferd