»Sie suchen Ihre Kleine, gnädige Frau? Sie ist vor einer Viertelstunde hier gewesen und hat gefragt, ob sie nicht einen Gang für mich machen könne, ich möge ihr dafür zwei Stücke Zucker schenken.«
»Mein Pommerle?«
»Ja, ich kenne die Kleine recht genau.«
»Um Zucker hat sie gebeten?«
»Jawohl, Frau Professor, sie wollte sich den Zucker verdienen und fragte mehrfach, ob ich keine Arbeit für sie habe. Da habe ich der kleinen Naschkatze die verlangten Stückchen gegeben. Dann ist das Kind schnell davongelaufen.«
Frau Bender schüttelte den Kopf. Daß ihr Pommerle gern Zucker aß, war ihr ganz etwas Neues. Und daß es gar bei der Kaufmannsfrau um Zucker bat, wollte ihr nicht recht in den Sinn. Sie ging die Straße weiter hinab, weil sie allmählich unruhig über das Ausbleiben der Kleinen wurde. Es war sonst nicht Hannas Art, so lange von Hause fortzubleiben. Es mußte etwas ganz Besonderes vorgekommen sein, daß Pommerle das Heimkommen vergaß.
Frau Bender traf endlich einen ihr bekannten Badegast, der, ebenso wie Benders, alljährlich nach Neuendorf kam.
»Sie suchen Ihre Kleine, gnädige Frau? Die ist ganz bestimmt auf dem Schießplatz. Dort sind alle Kinder Neuendorfs; es sind zwei Wagen mit Zirkusleuten angekommen.«
Frau Bender atmete auf. Das erschien ihr durchaus glaubhaft. Sie ging beruhigt heim und bat den Gatten, er möge doch hinaus zum Schießplatz gehen, um nachzusehen, ob Pommerle dort sei.
Herr Professor Bender machte sich sogleich auf den Weg. Der Schießplatz von Neuendorf lag etwa zehn Minuten nach dem Walde hin vom Orte entfernt; eine breite Fahrstraße führte geradeswegs darauf zu.
Schon von weitem hörte Herr Bender lautes Schreien und Rufen der Kinder, und als er herankam, sah er das rege Leben und Treiben, das hier herrschte.
Da standen zwei grüne Wohnwagen. In einem schienen die Zirkusleute zu wohnen, von einem zweiten wurden Bretter und Leinenballen abgeladen. Man baute mitten auf dem Platze ein Zelt auf; wahrscheinlich sollte in Kürze hier in Neuendorf eine Vorstellung stattfinden.
Professor Bender schritt näher heran. Hinter einem Baume blieb er stehen. Dort drüben sah er zwei kleine Mädchen stehen, das eine im dunklen Badeanzug, das andere in einem beschmutzten Kleidchen. Beide schleppten unter größter Anstrengung jetzt Stricke und Bretter, die vom Wagen heruntergeworfen wurden, nach einem Platze, wo zwei Männer beschäftigt waren, Pfähle in die Erde zu rammen.
Der Professor nahm die goldene Brille von der Nase, putzte sie nochmals, schaute dann wieder hinüber. – Richtig, die Kleine im Badeanzug war sein Pommerle.
Er mußte lachen. Wie das kleine Ding emsig tätig war, wie es mit aller Kraftanstrengung und mit Hilfe von Grete Bauer die Bretter heranholte. Pommerle hatte sich das Kleidchen ausgezogen, aus Furcht, daß es schmutzig werden könnte, und sich dafür in den Badeanzug gesteckt. Aufgeregt lief die Kleine, wenn sie ihrer Last ledig war, wieder zum Wagen zurück, um neue Bretter in Empfang zu nehmen.
Aber auch die anderen Kinder waren zum größten Teil nicht untätig. Mitunter hörte Bender lautes Lachen, wenn die beiden Männer, die das Zelt errichteten, ihre Späße mit der kleinen Schar machten. Als der Professor näher trat, hörte er gerade, daß einer der beiden Männer die Kinder fragte:
»Wißt ihr auch, welcher Ring nicht rund ist?«
Ein kurzes Schweigen folgte.
»Nun, – der Hering!«
Da brach lautes Gelächter aus, und Pommerle lachte wohl am herzlichsten mit.
Professor Bender trat noch näher heran und stellte sich gerade vor seine eifrige Pflegetochter hin.
»Nanu, Pommerle, was machst du denn hier?«
»Ach, Onkel, – ist das schön! Ein weißes Pferdchen haben sie, und dreißig Pfennige kostete es. Und sie hat ein feines rosa Kleid mit lauter kleinen Sternchen. –Gerade wie eine Fee! Und morgen nachmittag geht es los! –«
»Wer – – was? – – Das weiße Pferd kostete dreißig Pfennige und hat ein rosa Kleid?«
»Komm schnell 'mal mit, Onkel!« Pommerle keuchte vor Erregung und versuchte den Onkel mit sich fortzuziehen. »Guck 'mal schnell in den Wagen 'rein, – eine ganz kleine Stube, und eine Küche ist drin. Und auch noch ein Baby, das schreit. – Und ein ganz kleiner Kochherd. – Das mußt du sehen, Onkel!«
»Es geht nicht, mein Kleines, daß wir den fremden Leuten in die Wohnung schauen.«
»Ach, komm doch, – und dann gehen wir zu dem kleinen, weißen Pferd. – Onkel, ich weiß was, was du nicht weißt. – Was für Haare hat ein einjähriger Dackel, und was für Haare hat ein fünfjähriger Dackel?«
Pommerle konnte vor Lachen kaum weiterreden.
»Welche Farbe hat denn der einjährige Dackel? Braun oder schwarz?«
»Ach, Onkel!« Pommerle hüpfte um den Professor herum, »Hundehaare haben sie beide! – Nun komm rasch zu dem weißen Pferdchen!«
»Sag 'mal, mein Pommerle, was machst du denn hier?«
»Ich bau' das Zelt auf,« erwiderte das Kind stolz, »ich und die Grete Bauer, und morgen kommt das weiße Pferdchen und läuft auf den Hinterpfötchen. Auf dem Kopfe hat es einen Staubwedel, damit nickt es. Dann ist eine kleine, schöne Fee da, die reitet auf dem Pferd. – Ach, Onkel, so etwas hast du noch gar nicht gesehen! – Ich darf doch hin und das alles sehen? Wenn ich noch fleißig helfe, kostet es gar nichts.«
»Aber, Pommerle!«
»Und noch viel was Schöneres ist da. – – Die beiden Männer dort wollen uns so viel erzählen, daß uns vor Lachen der Bauch platzt! Du mußt mit hinkommen, Onkel, und die Tante auch. – Aber nu komm doch!«
Der gutmütige Professor ließ sich von dem Kinde hin zu dem Wohnwagen führen, dessen Tür weit offen stand. Eine kleine Stiege führte hinauf in den Wagen.
»Da – steig fix mal 'rauf und guck 'rein!«
»Das darf man nicht machen, mein Kind.«
Aber da war das Kind schon oben auf der obersten Stufe, schaute in den Wagen hinein und fragte freundlich:
»Darf der Onkel auch 'mal 'reinsehen? Er möchte so gern den kleinen Kochherd sehen.«
Eine jüngere Frau schaute heraus. Professor Bender trat lachend näher.
»Lassen Sie sich nicht stören, für meine Kleine ist das alles ganz etwas Neues.«
»Ach, Onkel,« rief Pommerle laut aus dem Innern des Wagens heraus »komm doch nur 'mal her, – in so 'ner kleinen Küche möchte ich auch kochen. Und hier ist noch ein kleiner Junge!«
»Komme heraus, Pommerle,« befahl Bender, »man darf fremden Leuten nicht in die Wohnung gehen, das gehört sich nicht.«
»Aber zum weißen Pferdchen dürfen wir doch gehen?«
»Ja, zum Pferd wollen wir gehen.«
»He – holla, Kleine,« rief es vom anderen Wagen herüber, »nur immer tüchtig arbeiten!«
»Ich muß wieder was tun, Onkel, das Zelt muß fertiggemacht werden. Wenn es morgen regnet, werden die Leute naß. Lieber, lieber Onkel, nicht wahr, du hilfst mir ein bißchen?«
»Wo hast du denn dein Kleid gelassen?«
Pommerle wies auf ein Häufchen, das auf der Wiese lag. »Da – ausgezogen, Onkel, weil die ollen Bretter gar so dreckig sind.«
»So zieh dich jetzt wieder an, Kleines, die Tante wartet auf uns.«
»Ach – Onkel, – nur noch ein bißchen zum weißen Pferdchen. – Zucker hab' ich ihm gebracht, dann hat es mir auf die Hand einen Kuß gegeben. – Onkel, kannst du mir nicht noch ein Stück Zucker schenken? Das Pferdchen freut sich