»Du mußt nicht so aufgeregt sein, mein Kind, schließlich wirst du noch krank, und wir können nicht fahren. Du darfst dich freuen, mußt aber nicht gar so wild dabei sein.«
»Ach, Tante,« rief das kleine Mädchen, »mir ist es, als ob in mir alles entzwei ist. Es knackst und kracht an allen Stellen, und dann wird mit heiß und kalt, so, als ob ich glühendes Wasser getrunken habe. Das kommt immer so, wenn ich nur an die Ostsee denke!«
Da die Erregung von dem Kinde nicht weichen wollte, da jede neue Vorbereitung zur Reise dem kleinen Mädchen das Blut glühend heiß ins Gesicht trieb, beschloß die Professorenfrau, noch vor Antritt der Reise einen Arzt zu befragen. Der gute Hausarzt Dr. Klauß wurde gerufen, um Pommerle einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen.
»Die Kleine sieht frisch und munter aus,« sagte der Arzt, »aber trotzdem werde ich ihr die Lunge abklopfen und das Herz behorchen, damit Sie vollkommen beruhigt sind.«
Frau Bender holte ihr Pflegetöchterchen, das sich entkleiden mußte, und dann begann Dr. Klauß mit der Untersuchung.
»Tut es dir irgendwo weh, Pommerle?« fragte der freundliche Herr.
»Nein, Onkel Doktor, aber in mir ist alles so voll, wenn ich an die Reise an die Ostsee denke.«
Dr. Klauß untersuchte die Kleine eingehend.
»Warum klopfst du denn an mir herum? Ich kann dich doch nicht hereinlassen?«
»Ich will doch nur hören, ob da drinnen alles in Ordnung ist.«
Darauf zog der Arzt das Horchrohr aus der Tasche und legte es an die Stelle, an der das kleine Herzchen saß. Erstaunt betrachtete das Kind das eigenartige Ding, dann sagte es lebhaft:
»Onkel Doktor, du telephonierst wohl jetzt mit meinem Herzen?« Das Horchrohr erinnerte Pommerle stark an den Telephonhörer, der auch heute noch einen tiefen Eindruck auf die Kleine machte.
»Jawohl, mein Kind, ich telephoniere mit deinem Herzen.«
»Was hat dir denn das Herz gesagt, Onkel Doktor?«
»Es freut sich, daß es verreisen darf.«
»Ja, lieber Onkel Doktor, manchmal hopst es ganz hoch, und dann fühle ich, wie es mir im Bauche herumspringt. Horch doch gleich noch mal, Onkel Doktor, es will dir noch etwas sagen.«
Er legte das Horchrohr nochmals an und sagte: »So, nun habe ich alles verstanden. Aber das Herz darf nicht so toll umherhüpfen, kleines Pommerle, das muß ganz artig in seinem Bettchen liegen. Wenn du an die See kommst, wird es wieder ganz ruhig werden.«
Darauf mußte das Kind noch den Mund öffnen. »Jetzt strecke mal die kleine Zunge hervor, Pommerle.«
Das kleine Mädchen wandte sich fragend an die Tante. »Darf ich denn dem Onkel Doktor die Zunge herausstrecken?«
»Ja, mein Schäfchen, aber nur, weil er sehen will, ob auf der Zunge etwas Schlimmes ist.«
»Ach so, ob ich gelogen habe. Nicht wahr?«
»Ja, das sehe ich auch.«
Dann steckte Pommerle die kleine Zunge heraus. »Du hast nicht gelogen, bist ein kleines aufrichtiges Mädchen, und das ist sehr brav.«
»Sitzt sonst noch etwas auf der Zunge?«
»Wollen mal sehen, ob etwas im Halse sitzt. Steck die Zunge noch einmal recht weit heraus.«
Pommerle tat es, aber es schien dem Arzt noch nicht zu genügen.
»Bringe doch die Zunge ganz heraus, kleines Pommerle.«
Einen Augenblick schaute die Kleine den Arzt an, dann sagte sie traurig: »Das kann ich nicht, Onkel Doktor.«
»Warum denn nicht?«
»Weil mir die Zunge am Rücken festgewachsen ist.«
»So meine ich es auch nicht,« erwiderte der Doktor lachend, »du sollst sie nur ganz weit herausstrecken, sie reißt ja nicht los.«
Da versuchte es Pommerle denn noch einmal, und der Arzt war zufrieden.
»Siehst du, so ist es schön, – du bist ein ganz gesundes Mädchen, und in vierzehn Tagen fährst du bereits an die Ostsee.«
»Nein, Onkel Doktor, in zwölf Tagen.«
»Also gut. Freust du dich wirklich so sehr?«
»Ach, Onkel Doktor, ich freue mich furchtbar toll!«
Frau Bender war durch die Untersuchung beruhigt. Der Arzt hatte gemeint, daß das kleine Mädchen durch die Seeluft gekräftigt würde, dann aber sollte sich endlich die Sehnsucht erfüllen, und gerade das würde der Kleinen neue Kräfte geben.
Pommerle packte alltäglich seine Sachen ein, wieder aus und wieder ein. Es hatte unendliche Freude daran. Immer näher kam der Tag der Reise, und immer lauter jubelte das Kind, immer heller glänzten die blauen Augen.
Endlich war es soweit, daß man morgen in aller Frühe abfahren konnte. Pommerle stand vor seinem Zettel und küßte zärtlich den letzten Strich.
»So, nun ist alles weg, nun kann's losgehen!«
Am Vormittage kam Jule. Er brachte einen Pappkasten und stellte ihn vor Pommerle nieder.
»Ich bringe dir noch ein Geschenk zum Abschied.«
Das kleine Mädchen machte behutsam den Deckel auf. Ein prachtvoller Salamander saß in dem Kasten. Das schlanke Tier mit seiner schwarzen Haut, auf der grellgelbe Flecken leuchteten, schaute die Kleine mit klugen Aeuglein ängstlich an.
»Was ist denn das!« jauchzte Pommerle.
»Ein Salamander. So was gibt's im Gebirge.«
»O wie schön, – den nehme ich mit. Mit dem Salamander spiele ich im Sande.«
Das kleine Mädchen eilte zum Onkel, um ihm sein neuestes Spielzeug zu zeigen.
»Sieh einmal, mein liebes Kind,« sagte der Professor ernst, »das Tierchen ist hier in den Bergen aufgewachsen. Es würde sehr traurig sein, wenn du es mit an die See nehmen würdest. Außerdem hat es hier seine Eltern und Geschwister, da wollen wir es doch lieber zurücklassen.«
»Wenn's nicht mit an die See mag, soll es schon hierbleiben, Onkel. Denn das Tier ist vielleicht auch so traurig, wenn es nicht mehr die Berge sehen kann.«
»Aber wir können es in den Garten setzen.«
»Freut sich dann der Salamander?«
»Ja, er freut sich.«
»Dann wollen wir schnell gehen und ihn in den Garten tragen. Die Tiere müssen sich doch auch freuen, nicht wahr, lieber Onkel?«
»Freilich, mein Kind, mit Tieren muß man ganz besonders lieb umgehen. Es sind kleine Wesen, die sich nicht wehren können gegen uns große Menschen. Und so glauben die kleinen Tiere immer, daß der große Mensch ihnen etwas Böses antun will. Da muß man sehr, sehr lieb zu ihnen sein, darf ihnen nicht wehe tun, denn du weißt ja, daß die Tiere alle sehr nützlich sind.«
Pommerle nickte, nahm die Schachtel und trug sie behutsam hinaus in den Garten.
»Du brauchst keine Angst zu haben, lieber Salamander, ich tue dir gar nichts. Ich setze dich jetzt in den Garten, dann darfst du an allen Blumen riechen und deine Eltern und Geschwister besuchen gehen.«
Mit diesen Worten ließ Pommerle den Salamander aus dem Kasten schlüpfen und schaute ihm voller Freude nach, als das Tier unter der Hecke verschwand.
Während des Nachmittags wußte die Kleine nichts mehr anzufangen; sie lief hin und her, jubelte und jauchzte und wartete auf den Abend. Und als sie dann endlich in ihrem Bettchen lag, wollte der Schlaf nicht kommen. Sie drückte beide Hände fest aufs Herz.
»Du sollst doch nicht so sehr hüpfen, wir sollen doch beide ruhig und artig sein. – Lieber Gott, nun mache recht