»Wollen wir die Puppe 'mal ins Wasser werfen,« riet Herbert, »wollen hören, ob sie dann schreit.«
Erschreckt riß Pommerle das Puppenkind an sich.
»Das ist doch meine Puppe, die brauchst du gar nicht zu nehmen.«
»Ich brauch' auch deine dumme Puppe nicht, ich habe viel schöneres Spielzeug.«
»Ich habe auch eine Puppe,« sagte Grete Bauer, »ich will sie holen!« Weg war sie, um schon nach wenigen Minuten mit ihrem Puppenkinde zurückzukehren. Das war allerdings kein Vergleich mit dem niedlichen Puppenkinde, aber Pommerles Hände ließen doch das hübsche Geschenk fallen, und mit großen Augen schaute es auf jene Puppe, die Grete Bauer angebracht hatte.
Das war ein Kartoffelkopf, der auf einem Holz steckte; um das Holz war ein rotes Taschentuch geschlungen, das geschickt derart verknotet war, daß diese Puppe Arme und Beine hatte.
Riesengroß stieg vor Pommerle wieder die Erinnerung auf. Es hatte auf den Knien des Vaters gesessen und zugesehen, wie der Fischer in eine große Kartoffel ein Gesicht schnitt, wie er ein rotes Taschentuch verknotete und das Puppenkind damit anzog. Lange, lange hatte Pommerle mit diesem Puppenkinde gespielt, dann war es ihm etwas aus dem Gedächtnis gekommen. Nun sah es das Werk des Vaters erneut vor sich und glaubte im Augenblick nichts anderes, als daß der Vater auch diese Puppe angefertigt hatte und daß Grete Bauer in Besitz dieses Schatzes war.
»Meine Puppe,« sagte Pommerle mit verschleierter Stimme.
»Nein, meine Puppe,« erwiderte Grete Bauer, »ich habe sie vom Vater.«
»Gib mir die Puppe,« ein Flehen ging durch Pommerles Stimme.
Doch die Freundin widersprach.
»Du hast ja deine Puppe.«
»Schenk mir die Puppe!« Pommerles Augen füllten sich mit Tränen.
Aber Grete Bauer drückte ihr Puppenkind fest an sich und lief aus Angst, daß man ihr diese Kostbarkeit nehmen könnte, davon.
Eine Viertelstunde später kam die Tante an den Strand und holte Pommerle ins Haus. Sie sah den Schatten auf dem Kindergesicht, sah auch, daß Pommerle das Geburtstagsgeschenk still aus der Hand legte und in sichtlich gedrückter Stimmung zum Mittagessen kam.
Zuerst wollte sie nicht nach der Ursache dieses heimlichen Kummers fragen, weil Frau Bender glaubte, daß die Kleine durch den Anblick der See und das Wiedersehen mit den Gespielen ergriffen war. Als aber Pommerle nicht einmal die Nachspeise munden wollte, die heute zur Feier des Geburtstages bereitet worden war, als es den Löffel artig hinlegte und dankte, nahm Professor Bender die Kleine nach Schluß der Mahlzeit auf seine Knie, streichelte den Blondkopf und fragte herzlich: »Nun, Pommerle, gefällt es dir hier?«
Die Gefragte nickte.
»Aber die Augen sind gar nicht froh, mein Kleines, sie sollen leuchten wie die Sterne. – Jetzt schau mich 'mal an, mein Kleines, – du hast doch heute deinen Geburtstag; freuen dich die Sachen nicht, die wir dir geschenkt haben?«
»Ach ja, sie freuen mich schrecklich!«
»Oder hast du noch einen Wunsch, den wir dir nicht erfüllt haben?«
Herr Bender sah, wie das Kind mit sich kämpfte, dann schlang es plötzlich seine Ärmchen fest um den Hals des Mannes, drückte sein Gesicht an des Onkels Brust und stammelte:
»Eine Puppe möchte ich haben.«
»Du hast doch eine Puppe bekommen, und daheim sind noch drei.«
»Das sind keine richtigen Puppen, ich möchte eine andere Puppe.«
»Was soll denn das für eine Puppe sein, Pommerle?«
»Ich möchte die Puppe vom Vater,« stammelte die Kleine schluchzend.
Zärtlich strich der Professor über das tränenüberströmte Gesicht der Kleinen.
»Ich habe die Puppe vom Vater nicht gesehen, Pommerle, aber vielleicht bekommen wir hier auch so etwas. – Wie sieht denn diese Puppe aus?«
»Die hat der Vater selbst gemacht.«
»Wie hat er das denn gemacht?«
»Ach, Onkel,« rief Pommerle leidenschaftlich, »schenk mir so eine Puppe, aber genau so, wie sie der Vater gemacht hat.«
Professor Bender war ratlos. Er fragte weiter und erfuhr von dem Kinde, daß Grete Bauer genau dieselbe Puppe habe.
»Nun weine nicht länger, mein Kleines, wir wollen 'mal zusehen, ob wir solch eine Puppe nicht auch beschaffen können. Nun sollst du deine Tränen trocknen. Du machst ja die Tante traurig, wenn du weinst. Schau hinaus, wie hell die Sonne lacht, und jetzt lachen wir beide 'mal um die Wette. Deine Puppe sollst du bekommen.«
Als Frau Bender in Gemeinschaft mit Pommerle die Vorbereitungen für die heutige Kindergesellschaft traf, machte sich der gutherzige Professor auf den Weg, um beim Fischer Bauer die Puppe anzusehen, die Pommerles Sehnsucht erweckt hatte. Da Grete daheim war, denn man putzte sie für die Gesellschaft heraus, war das Rätsel gar bald gelöst. Herr Bender unterdrückte mit Mühe das Lachen, als er dieses Gebilde sah. Solch eine Puppe konnte er seinem Pommerle auch herstellen.
Er kam heim. Pommerle trug gerade die Tassen nach der Veranda, Frau Bender stand in der Küche und schlug die Sahne.
»Nun gib mir 'mal eine recht große Kartoffel, liebe Frau.«
»Dort drüben im Korbe.«
Der Professor suchte lange, es mußte eine längliche Kartoffel sein, die rechts und links je einen kleinen Auswuchs hatte, der die Ohren darstellte.
»Das Richtige ist nicht darunter,« meinte er schließlich, »aber diese hier kann vielleicht gehen.«
Dann setzte er sich in den Garten und begann in die Kartoffel ein Gesicht zu schneiden.
Pommerle hatte mit seinen scharfen Augen das Tun des Onkel gar bald bemerkt. Gespannt kam das Kind näher und stellte sich vor Herrn Bender hin.
»Wird das die Puppe?«
»Ja, kleines Pommerle.«
»O Onkel, Onkel – –« die Kinderarme erdrückten ihn fast.
Aber die Tante rief, Pommerle mußte den Tisch weiter decken, lief aber zwischendurch immer wieder zum Onkel hin und betrachtete entzückt das entstehende Werk.
Der Kopf war fertig, aber ein rotes Taschentuch befand sich nicht im Besitz des Professors.
»Wir ziehen der Puppe ein weißes Kleid an, meinst du nicht auch, mein Kleines?«
Zwei Kinderaugen flehten: »Ein rotes, Onkel!«
Wieder gab er nach. Er ging in den kleinen Laden des Dorfes, um dort das rote Taschentuch zu erstehen.
Eine Viertelstunde später hielt Pommerle beglückt und strahlend die Kartoffelpuppe im Arm.
»Vaters Puppe!« Damit lief sie zur Tante und zeigte ihr glücklich das kostbare Geschenk. Vergessen war das neue Puppenkind, die Schwimmente, ja selbst die Schokolade, Pommerle ließ das Kartoffelkind nicht mehr aus den Armen.
Nun nahte die Stunde der Geburtstagsfeier.
Man hatte die Kinder für vier Uhr eingeladen; aber schon lange vor dieser Zeit gingen sie vor dem kleinen Fischerhause auf und ab, versteckten sich kichernd, wenn jemand in den Vorgarten kam. Nur Herbert Affmann blieb dreist stehen, besah sich den Kaffeetisch und flüsterte den Spielgefährten zu, daß es einen großen Napfkuchen mit Rosinen gäbe, den man aufessen werde.
Frau Professor Bender, die die Kinder bemerkte, rief sie schließlich herein.
»Kommt nur, Pommerle wartet schon.«
»Die Hanna Ströde wartet doch,« sagte Herbert.
Frau Bender lachte.