»Sind sie hier auch gewesen?«
»Nein, nur in der Küche und in der Speisekammer.«
»Ist gerade genug! – Ach, der schöne Schinken! Nein, Pommerle, was du doch alles für Sachen machst!«
Das kleine Mädchen war gänzlich geknickt. Aus reinem Mitleid hatte es gehandelt, hatte sich nur nach den Worten der guten Tante gerichtet, wollte Hungernden etwas geben und hatte nun alles verkehrt gemacht.
»Ich habe ihnen meine zwei Mark geschenkt,« sagte das Kind kleinlaut.
»Auch das noch! Es ist gut, daß sie nicht noch mehr mitgenommen haben! – Der schöne Schinken!«
Als eine Stunde später Frau Bender heimkehrte, eilte ihr das Kind erregt entgegen.
»Ach, Tante, ich glaube, ich war wieder sehr unartig. Bitte, bitte, sei mir nicht böse. Aber sie haben mir doch von der Trude und dem Otto erzählt, und der liebe Gott sagt doch, daß man hungrige Leute nicht fortschicken soll.«
Frau Bender verstand aus den Worten des Kindes nicht recht, was während ihrer Abwesenheit geschehen sei. Erst als das Hausmädchen ihr den Vorgang berichtete, begriff sie des Kindes Reden.
Pommerle stand zerknirscht neben der Tante.
»Komm einmal zu mir, kleines Mädchen,« sagte Frau Bender gütig. »Du hast es gut gemeint, aber richtig war es nicht. Sieh einmal, das sind ganz fremde Männer, die dürfen nicht in die Wohnung hinein. Wenn du allein bist, darf überhaupt niemand ins Haus. Du hättest den beiden sagen sollen, sie möchten ein wenig warten, bis Anna wieder zurück sei. Dann hätte ihnen Anna ein Brot gegeben.«
»Ich habe es doch gut gemeint – – –«
»Das weiß ich, Pommerle, aber das waren Leute, die nicht arbeiten wollen, die nur betteln, und solche Leute verdienen es nicht, daß man ihnen Schinken gibt. Niemand darf sich außerdem etwas nehmen, das haben die beiden getan. Du siehst also, daß es keine bescheidenen Männer waren.«
»Sie wollten auch noch was zu trinken und Zigarren haben.«
»Es war sehr richtig von dir, daß du ihnen das nicht gegeben hast, mein Kind. In Zukunft lasse solche Burschen nicht ins Haus, denn es könnte sonst schlimmer ausgehen.«
»Ich will es ganz gewiß nicht wieder tun. Ich dachte nur, weil sie doch den Otto und die Elli kennen, sie kämen zu mir, um mich zu besuchen.«
»Das haben dir die beiden Männer nur vorgeredet, Kind. Leider kann man nicht allen glauben. Nicht alle Menschen sind wahr. Die Lüge aber ist etwas sehr Häßliches. Du siehst auch daraus, mein Liebling, daß die beiden Burschen keine guten Menschen waren.«
»Ich will es ganz gewiß nicht wieder tun, liebe Tante, sei mir nur nicht böse.«
»Mein gutes Kind, ich bin dir sogar von ganzem Herzen gut. Und wenn du deinen Otto und die Trude wiedersehen willst, dauert es ja nicht mehr lange.«
»Nun brauche ich auch nur noch vierundvierzigmal schlafen zu gehen, Tante!«
Frau Bender lächelte. »Zählst du so genau?«
»Ja, Tante, ich habe mit einen großen Zettel gemacht mit lauter Strichen, und an jedem Morgen streiche ich einen durch. Und dann zähle ich die anderen immer wieder! – Tante, Tante, fahren wir auch wirklich in vierundvierzig Tagen an die Ostsee?«
»Natürlich, mein Pommerle!«
»Aber den Vater sehe ich dann doch nicht?«
»Nein, mein gutes Kind, aber er sieht dich.«
»Bleiben wir dann lange an der See?«
»Dreißig ganze Tage.«
»O, das ist aber schön! Und ich darf dann den ganzen Tag mit der Trude und dem Otto spielen?«
»Freilich darfst du das.«
»Ach, Tante, du bist so gut, so furchtbar gut!«
»Hast du mich denn auch ein wenig lieb, mein Kind?«
Das kleine Mädchen schlang beide Arme stürmisch um den Hals Frau Benders. »Du bist genau so gut wie mein Vater, – weißt du, so wie du muß auch meine tote Mutti mal gewesen sein.«
»Komm ich dann auch manchmal noch an die See?«
»Möchtest du denn immer und immer bei mir bleiben, Pommerle?«
»Wenn es der liebe Gott auch weiterhin so gut mit uns meint wie bisher, werden wir in jedem Sommer an die See fahren, mein Kleines, aber im Winter bleiben wir hier. Dann arbeiten wir fleißig, damit wir uns unsere Erholung im Sommer auch verdient haben. Denn nur, wenn man fleißig gearbeitet hat, darf man sich eine Freude gönnen.«
»Dann will ich auch recht fleißig arbeiten, Tante, so fleißig wie die Anna.«
»Das mußt du auch, Pommerle, denn der liebe Gott hat nur die fleißigen Kinder lieb.«
Am Abend dieses Tages überlegte das Kind, was es wohl tun könne, um dem lieben Gott ganz besonders zu gefallen und dadurch recht bald an die See zu kommen. Wenn es recht viel arbeitete, kam es sicherlich noch eher dorthin.
Pommerle hatte gesehen, daß Anna an jedem Morgen mit dem Besen oder mit dem Eimer durch die Stuben ging und dort kehrte und wischte. Nur auf den Boden war die Anna nicht oft gegangen. Pommerle strahlte über das ganze Gesichtchen. Es wollte den Boden scheuern und wischen. Aber ganz heimlich. Tante und Onkel sollten sich freuen, wenn es die Arbeit geleistet hatte.
Anstatt am kommenden Nachmittage im Garten zu spielen, stieg das kleine Mädchen auf den Boden. Es nahm aus der Küche den Aufwischeimer und den Lappen, ließ Wasser ein und schleppte dann keuchend und pustend den mit Wasser gefüllten Eimer die Bodentreppe empor. Es wollte gründlich arbeiten. Kein Stäubchen sollte auf der Diele verbleiben. Erst gestern hatte Anna die schönen Fließen in der Küche gescheuert. Sie hatte Wasser darüber gegossen und die Fließen mit dem Schrubber bearbeitet. So wollte es Pommerle jetzt auch machen.
Es goß die Hälfte des Wassers auf die Dielen des Hausbodens und begann nun zu reiben. Das Wasser verlief sich rasch, Pommerle goß daher die andere Hälfte aus.
Ganz leise füllte das Kind unten in der Küche den Eimer zum zweiten Male. Dann zog es Schuhe und Strümpfe aus und bearbeitete nun in bloßen Füßen weiter den Hausboden. Immer neue Wassermengen ergossen sich.
Als Professor Bender sein Arbeitszimmer betrat, schaute er erstaunt zur Decke empor, was rumorte denn über ihm? Er achtete aber nicht weiter auf die Geräusche, da seine Frau öfters auf dem Boden zu kramen hatte. Als aber nach zehn Minuten das Kratzen und Schrubben noch immer nicht schwieg, schaute er unwillig zur Zimmerdecke empor und sah nun einen großen nassen Fleck, der sich zusehends vergrößerte.
»Nanu, – was ist denn das? Unser Dach ist doch dicht, und geregnet hat es doch auch nicht!«
Er wollte doch gleich einmal hinauf auf den Boden gehen und nachsehen, was der Lärm zu bedeuten hatte und ob er mit der nassen Decke zusammenhing.
Im Flur traf er seine Frau.
»Du bist nicht auf dem Boden?«
»Auf dem Boden? Was sollte ich dort? Ich komme eben aus dem Garten.«
»Die Decke in meinem Zimmer ist vollkommen naß.«
»Die Decke in deinem Zimmer?« Frau Bender betrat das bezeichnete Zimmer und erblickte den großen Wasserfleck.
»Ja – was ist denn das? Ist Anna oben?«
Der Professor und seine Frau stiegen die Bodentreppe empor. Dort lag Pommerle mit aufgeschlitztem Röckchen und bloßen Füßen, hielt die Scheuerbürste in der kleinen Hand und bearbeitete die Dielen, daß es schwitzte. Große Wasserlachen standen überall.
»Pommerle!«
Das kleine Ding wandte sich um und lachte seine Pflegeeltern strahlend an.
»Ich