Eines Abends saß er in einem Kabarett, schlürfte seinen Absinth und bewunderte die Kunst eines berühmten russischen Tänzers, als er bemerkte, dass zwei böse schwarze Augen einen flüchtigen Blick auf ihn warfen. Ehe Tarzan sich den Mann genauer ansehen konnte, hatte dieser sich umgewandt und war in der Menge am Ausgang des Saales verschwunden. Tarzan war aber sicher, dass er diese Augen schon früher einmal gesehen hatte und dass sie nicht durch einen bloßen Zufall auf ihn gerichtet waren. Schon eine Weile vorher hatte er das unbehagliche Gefühl gehabt, dass er beobachtet würde. Gleichsam aus seinem tierischen Instinkt heraus hatte er sich plötzlich umgedreht und die ihn beobachtenden Augen in der Tat überrascht. Er dachte aber nicht weiter darüber nach, und als er die Musikhalle verließ, bemerkte er nicht, dass ein dunkelfarbiger Mensch sich im Schatten eines gegenüberliegenden Eingangs zu verbergen suchte.
Tarzan wusste nicht, dass ein Unbekannter ihm in der letzten Zeit ständig in die Vergnügungslokale nachgefolgt war. Er war nur selten für sich allein gegangen, aber gerade an diesem Abend war d’Arnot durch eine andere Verpflichtung verhindert, mit ihm auszugehen.
Als Tarzan den gewohnten Heimweg einschlagen wollte, eilte der Beobachter aus seinem Versteck über die Straße und überholte ihn in raschem Schritt.
Tarzan war gewöhnt, durch die Maule-Straße nach Hause zurückzukehren. Da sie sehr still und dunkel war, erinnerte sie ihn mehr an seinen geliebten afrikanischen Dschungel als die geräuschvollen und glänzenden Straßen der Umgebung. Wer Paris kennt, wird sich des abstoßenden Aussehens der engen Maule-Straße erinnern. Wer sie aber noch nicht gesehen hat, braucht nur einen Polizisten danach zu fragen, und dieser wird ihm schon sagen, dass es in ganz Paris keine Straße gibt, die man nach Einbruch der Dunkelheit so sehr meiden muss wie gerade diese.
In jener Nacht war Tarzan schon ein gutes Stück an den schmutzigen alten Miethäusern der üblen Straße entlang gegangen, als er Hilferufe aus dem dritten Stock eines gegenüberliegenden Hauses hörte. Es war eine Frauenstimme. Kaum waren die ersten Schritte verhallt, als Tarzan auch schon die Treppe hinaufeilte, um der Frau zu Hilfe zu kommen.
Am Ende des Ganges des dritten Treppenabsatzes war eine Tür leicht angelehnt, und Tarzan hörte aus dem Innern wieder denselben Hilferuf, der ihn angelockt hatte. Im nächsten Augenblick stand er in der Mitte eines trübe erleuchteten Zimmers. Auf einem hohen altmodischen Kaminsims brannte eine Öllampe, die ihre matten Strahlen auf ein Dutzend abstoßender Gestalten warf. Außer einer etwa dreißigjährigen Frau waren es lauter Männer. Das Gesicht der Frau, durch niedrige Leidenschaften und Ausschweifung gekennzeichnet, mochte einst hübsch gewesen sein. Sie stand an die hinterste Wand geduckt und hielt die eine Hand am Halse.
Helfen Sie mir, mein Herr! flehte sie mit leiser Stimme, als Tarzan das Zimmer betrat. Man will mich umbringen.
Als Tarzan sich nach den Männern umsah, gewahrte er die verschlagenen Gesichter von Gewohnheitsverbrechern. Er wunderte sich, dass sie nicht zu entkommen suchten. Eine Bewegung hinter ihm veranlasste ihn, sich umzudrehen. Ein Mann schlich sich heimlich aus dem Zimmer, und obschon Tarzan ihn nur ganz flüchtig erblickte, erkannte er in ihm Rokoff. Im selben Augenblick bemerkte er aber auch, dass ein großer Mensch mit gezücktem Messer sich auf Zehenspitzen von hinten an ihn herangeschlichen hatte. Als dieser sich entdeckt sah, stürzten sich die Spießgesellen gemeinsam von allen Seiten auf Tarzan. Einige zogen ihre Messer, andere ergriffen die Stühle, während der Große mit dem Messer zu einem so mächtigen Satz ausholte, dass es um Tarzan geschehen gewesen wäre, wenn es auf ihn herabgesaust wäre.
Aber Tarzan, der es im wilden Dschungel mit der gewaltigen Kraft und der wilden Schlauheit von Terkop und Numa aufgenommen hatte, war viel zu klug und gewandt, er verfügte über zu starke Muskeln, als dass er so leicht zu überwältigen gewesen wäre, wie die Pariser Apachen glaubten.
Erst wehrte er sich gegen seinen gefährlichsten Widersacher, er stürmte mit solcher Wucht auf ihn ein, dass die Waffe jenem entfiel, und während er die Waffe mit einer plötzlichen Seitenwendung aufhob, versetzte er dem Manne einen solchen Schlag unter das Kinn, dass er niederstürzte.
Kaum war dieser erledigt, so wandte er sich gegen die anderen. Aber das war nur mehr Sport. Er schwelgte in der Freude am Kampfe. Der dünne Firnis der Kultur war von ihm abgefallen, und zehn starke Schurken sahen sich in einem kleinen Raume mit einem wilden Tier eingeschlossen, gegen dessen Stahlmuskeln ihre schwachen Kräfte völlig wirkungslos waren. Draußen am Ende des Ganges stand Rokoff, der den Ausgang des Streites abwartete. Ehe er sich entfernte, wollte er sich überzeugen, dass Tarzan tot war, aber er wollte nicht während des Mordes im Zimmer sein.
Die Frau stand noch immer an derselben Stelle wie in dem Augenblick, wo Tarzan hereingekommen war, aber in den wenigen Minuten, die seither verstrichen waren, hatte sich ihr Gesichtsausdruck unzählige Male verändert. Scheinbar verzweifelt, als Tarzan das Gesicht zuerst sah, hatte es einen listigen Ausdruck angenommen, als er sich plötzlich umdrehte, um dem Rückenangriff zu begegnen. Tarzan sah diesen Wechsel nicht. Später verdrängte ein Ausdruck der Überraschung und dann der des Schreckens die anderen. Und das war sehr begreiflich, denn der feine Herr, den ihre Schreie herbeigelockt hatten und der dort den Tod finden sollte, hatte sich plötzlich in einen Racheteufel verwandelt. Das war nicht ein Herr mit weichen Muskeln, der nur schwachen Widerstand leistete, sondern ein toll gewordener Herkules.
Mein Gott, schrie sie, das ist ja ein wildes Tier!
Er schien an zwölf Stellen zu gleicher Zeit zu sein, denn in gewaltigen Sprüngen eilte er im Zimmer hin und her, und erinnerte die Frau dabei an den Panther, den sie im Tiergarten gesehen hatte.
Mit Schmerzensschreien flüchteten die Männer so schnell sie konnten in den Gang, aber ehe der erste blutend und zerschunden aus dem Zimmer taumelte, hatte Rokoff genug gesehen, um sich zu überzeugen, dass es nicht Tarzan sein würde, der in dieser Nacht in jenem Hause erschlagen würde, und so eilte der Russe zum nächsten Telefon, um der Polizei mitzuteilen, dass ein Mann in dem dritten Stock des Hauses Maule-Straße 27 im Begriffe sei, einen Mord zu begehen.
Als die Polizisten ankamen, fanden sie drei Männer stöhnend im Zimmer liegen und eine erschrockene Frau auf einem schmutzigen Bett, das Gesicht mit den Armen bedeckt. Tarzan hatte die Tritte der die Treppe heraufstürmenden