Tarzan werden sie nie hinter eisernen Stäben einsperren, erwiderte er grimmig.
In dem Ton seiner Worte lag etwas, was d’Arnot veranlasste, seinen Freund scharf anzusehen. Der Ausdruck der kalten grauen Augen machte den jungen Franzosen sehr besorgt um dieses große Kind, das kein Gesetz über seiner eigenen physischen Stärke erkennen wollte. Es musste etwas geschehen, um Tarzan mit der Polizei auszusöhnen, bevor eine andere Begegnung erfolgen konnte.
Sie müssen noch viel lernen, Tarzan, sagte er ernst. Die menschlichen Gesetze müssen beachtet werden, ob sie Ihnen zusagen oder nicht. Ihnen und Ihren Freunden können nur Ungelegenheiten daraus erwachsen, wenn Sie der Polizei trotzen wollen. Ich kann in Ihrem Falle der Polizei den Sachverhalt erklären, und ich will das heute noch tun, aber hernach müssen Sie gehorchen. Wenn der Vertreter des Gesetzes zu ihnen sagt: Kommen Sie, so müssen Sie kommen, und wenn er sagt: Gehen Sie, so müssen Sie gehen. Jetzt wollen wir zu meinem großen Freund in der Polizeidirektion gehen und die Angelegenheit der Maule-Straße aufklären. Kommen Sie!
Eine halbe Stunde später betraten sie das Polizeibüro. Der Leiter war sehr freundlich. Er erinnerte sich noch sehr wohl des Besuches, den die beiden ihm einige Monate vorher in der Angelegenheit der Fingerabdrücke gemacht hatten.
D’Arnot erzählte die Ereignisse vom vorhergehenden Abend, und als er geendet, umflog ein grimmiges Lächeln den Mund des Polizeileiters. Er drückte auf einen Knopf, und während er auf den Beamten wartete, suchte er auf seinem Tisch nach einem Papier, das er schließlich fand.
Hier, Joubon, sagte er zu dem eintretenden Schreiber, lassen Sie diese Polizisten sofort zu mir kommen! Er übergab ihm das Blatt, und dann wandte er sich wieder zu Tarzan.
Sie haben einen schweren Fehltritt begangen, mein Herr, sagte er nicht unfreundlich, und ohne die Erklärung Ihres guten Freundes hier wäre ich geneigt, Ihre Handlungsweise streng zu verurteilen. Ich bin aber im Begriffe, etwas bisher Unerhörtes zu tun. Ich habe die Polizisten, die Sie vorige Nacht misshandelt haben, hierherbefohlen. Sie sollen Leutnant d’Arnots Erzählung hören, und dann überlasse ich es ihnen, zu bestimmen, ob Anklage gegen Sie erhoben werden soll oder nicht.
Sie müssen noch viel lernen, um sich in den Wegen der Kultur zurechtzufinden. Sie müssen sich daran gewöhnen, auch solche Dinge gelten zu lassen, die Ihnen sonderbar oder unnütz erscheinen, solange Sie nicht imstande sind, die Gründe dafür einzusehen. Die Polizisten, die Sie angegriffen haben, taten nur ihre Pflicht. Sie hatten in der Sache nicht zu entscheiden. Täglich setzen sie ihr Leben aufs Spiel, indem sie das Leben oder das Eigentum der anderen beschützen. Sie würden dasselbe auch für Sie tun. Es sind wirklich brave Leute, und sie sind tödlich gekränkt, dass ein einzelner unbewaffneter Mann sie schlecht behandelt oder gar geschlagen hat.
Machen Sie es ihnen leicht, zu verstehen, was Sie getan haben. Sonst würde ich mich sehr in Bezug auf Sie irren, denn ich halte Sie für einen wackeren Menschen, und ein solcher gilt ja auch mit Recht als großmütig.
Die weitere Unterredung wurde unterbrochen durch das Erscheinen der vier Polizisten. Als ihr Blick auf Tarzan fiel, sah man, dass sie höchst erstaunt waren.
Leute, sagte der Polizeidirektor, hier ist der Herr, mit dem Sie vorige Nacht in der Maule-Straße zusammengetroffen sind. Er ist freiwillig gekommen, um die Sache aufzuklären. Ich bitte Sie, aufmerksam die Erzählung des Leutnants d’Arnot anzuhören, der Ihnen einen Teil der Lebensgeschichte dieses Herrn erzählen wird. Er wird seine Haltung Ihnen gegenüber in der vergangenen Nacht erklären. Nun, reden Sie, mein lieber Leutnant.
D’Arnot sprach eine halbe Stunde lang zu den Polizisten. Er erzählte ihnen einiges aus dem wilden Dschungelleben Tarzans. Er erklärte, wie er sich trainierte, sodass er, wenn er sich selbst verteidigen musste, wie ein wildes Tier kämpfte. Es wurde den Polizisten dann auch klar, dass er bei seinen Angriffen auf sie eher vom Instinkt als vom Verstand geleitet worden war. Er hatte ihre Absichten nicht verstanden. Für ihn waren sie lediglich etwas anders aussehende Lebewesen, als er sie in seinem Dschungel traf, wo die meisten seine natürlichen Feinde waren.
Ihr Stolz ist verletzt, sagte d’Arnot zum Schluss. Dieser Mann hat sie überwältigt, und das kränkt Sie am meisten. Aber Sie brauchen sich nicht zu schämen. Sie brauchten Ihre Niederlage nicht zu erklären, wenn Sie in einem engen Raum mit einem afrikanischen Löwen oder mit einem großen Gorilla aus dem Dschungel eingesperrt gewesen wären. Und doch haben Sie mit diesem Mann gekämpft, dessen eiserne Muskeln stets siegreich waren gegenüber diesen Schrecken des schwarzen Erdteils. Es ist keine Schmach, der übermenschlichen Kraft Tarzans zu erliegen.
Und dann, als die Polizisten dastanden und einmal Tarzan ansahen und das andere Mal ihren Vorgesetzten, tat der Affenmensch das einzige, was noch nötig war, um den letzten Rest des Ärgers zu beseitigen. Mit ausgestreckter Hand ging er ihnen entgegen.
Es tut mir leid, dass ich einen Missgriff begangen habe, sagte er, lassen Sie uns gute Freunde sein!
Das war das Ende der ganzen Geschichte, nur dass Tarzan noch lange der Gegenstand des Gesprächs in den Polizeistationen war und die Zahl seiner Freunde um vier wackere Polizisten sich vermehrte.
*
Bei der Rückkehr in seine Wohnung fand d’Arnot einen Brief von seinem englischen Freund William Cecil Clayton, Lord Greystoke. Die beiden waren in brieflichem Verkehr geblieben, seitdem sie auf der missglückten Expedition zur Befreiung der von dem Affen Terkop geraubten Jane Porter Freundschaft geschlossen hatten.
In etwa zwei Monaten sollen sie in London heiraten, sagte d’Arnot, als er den Brief sorgfältig durchgelesen hatte. Er brauchte Tarzan nicht zu sagen, wen er mit dem »sie« meinte. Tarzan antwortete nicht darauf, und auch den ganzen Rest des Tages war er schweigsam und nachdenklich.
Am Abend gingen sie in die Oper. Tarzan war aber während der Vorstellung ganz von seinen trüben Gedanken in Anspruch genommen. Er achtete fast gar nicht auf die Vorgänge auf der Bühne. Er sah nur die liebliche Vision eines schönen amerikanischen Mädchens und hörte nichts als die traurige süße Stimme, die ihm versicherte, dass seine Liebe erwidert werde. Und jetzt sollte sie einen anderen heiraten!
Er suchte sich selbst aus den unliebsamen Gedanken aufzurütteln. Im selben Augenblick