Sie beurteilen mich falsch, erwiderte Tarzan. Ich habe nur mit lebhaftem Vergnügen an Sie gedacht. Sie schulden mir keine Erklärung. Sie sind noch weiter belästigt worden?
Die Verfolgung hat nicht aufgehört, antwortete sie. Ich fühle, dass ich mit jemand darüber sprechen muss, und ich weiß keinen, bei dem ich mich so gut aussprechen könnte, wie bei Ihnen. Sie müssen mir das erlauben. Es mag auch von Nutzen für Sie sein, denn ich kenne Nikolaus Rokoff genug, um zu wissen, dass er Sie nicht das letzte Mal gesehen hat. Er wird schon Mittel finden, sich an Ihnen zu rächen.
Was ich Ihnen sagen werde, kann Ihnen vielleicht gute Dienste leisten, um seinen Racheplänen zu entgehen. Mehr kann ich Ihnen hier nicht verraten, aber morgen um fünf Uhr werde ich für Sie zu Hause sein.
Das wird mir wie eine Ewigkeit vorkommen – bis morgen um fünf, sagte er und wünschte ihr gute Nacht.
Aus einer Ecke des Theaters hatten Rokoff und Pawlowitsch ihn in der Loge der Gräfin gesehen, und beide hatten gelächelt.
Am folgenden Nachmittag um halb fünf klingelte ein dunkelfarbiger bärtiger Mann am Dienstboteneingang des Palastes des Grafen de Coude. Der Diener, der zum Öffnen kam, zog die Augenbrauen hoch, als er sah, wer dort stand. Beide sprachen leise.
Zuerst zögerte der Lakai bei einem Vorschlag, den der Mann ihm machte, aber bald darauf nahm er aus der Hand des Fremden etwas entgegen. Dann wandte er sich um und führte den Besucher auf einem weitläufigen Umweg in einen kleinen, von Vorhängen verhängten Alkoven neben dem Zimmer, in dem die Gräfin den Nachmittagstee zu geben pflegte.
Eine halbe Stunde später wurde Tarzan in das Zimmer eingeführt, und im selben Augenblick erschien die Gräfin lächelnd und mit ausgestreckten Händen ihm entgegengehend.
Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind, sagte sie. Nichts hätte mich zurückhalten können, antwortete er.
Einige Augenblicke sprachen sie über die Oper, über einige Gegenstände, die die Aufmerksamkeit von Paris erregten, über das Vergnügen, ihre kurze Bekanntschaft, die unter so seltsamen Verhältnissen eingeleitet worden war, zu erneuern, und das brachte sie dann auf das Thema, das ihnen beiden am meisten am Herzen lag.
Sie werden sich gefragt haben, sagte die Gräfin, weshalb uns Rokoff eigentlich verfolgt. Die Sache ist ganz einfach. Der Graf ist vertraut mit manchen wichtigen Geheimnissen des Kriegsministeriums. Er hat oft Papiere im Besitz, für die ausländische Mächte gerne ein Vermögen ausgeben würden, Staatsgeheimnisse, für deren Kenntnis die Agenten jeder Mächte Mörder oder noch schlimmere Subjekte dingen würden.
So hat er jetzt wieder eine solche Sache in seinen Händen, die einem Russen, der ihrer habhaft werden könnte, Ruhm und Reichtum eintragen würde. Rokoff und Pawlowitsch sind russische Spione. Sie schrecken vor nichts zurück, um sich das Dokument zu verschaffen. Der Vorfall auf dem Dampfer – ich meine die Geschichte mit dem Kartenspiel – hatte den Zweck, eine Erpressung an meinem Gatten auszuüben. Wäre er des Falschspiels überführt worden, so wäre seine Laufbahn vernichtet gewesen. Er hätte dann aus dem Kriegsministerium ausscheiden müssen. Er wäre auch in der Gesellschaft völlig unmöglich gewesen. Sie hielten die Keule also über ihn. Nur dann wären sie bereit gewesen, einzugestehen, dass der Graf lediglich das Opfer eines Komplottes seiner Feinde geworden, wenn er sich jene Geheimpapiere hätte abpressen lassen.
Als Sie, Herr Tarzan, ihren Plan durchkreuzten, versuchten die Menschen, meinen Namen statt den des Grafen zu beschmutzen. Als Pawlowitsch in meine Kabine eindrang, erklärte er mir ihr Vorhaben. Wenn ich ihnen die gewünschte Auskunft verschaffen wollte, versprachen sie, nichts weiter zu tun; andernfalls sollte Rokoff, der draußen stand, einen Steward benachrichtigen, dass ich mich mit einem anderen Mann hinter der verschlossenen Türe meiner Kabine abgäbe. Er drohte, es jedem zu sagen, dem er auf dem Schiffe begegnete, und bei unserer Landung wollte er die ganze Geschichte den Journalisten erzählen.
War das nicht schrecklich? Nun wusste ich aber zufällig etwas über diesen Herrn Pawlowitsch, das, wenn es der Polizei von St. Petersburg bekannt geworden wäre, ihn in Russland an den Galgen gebracht hätte. Ich drohte ihm, dort Anzeige zu erstatten, und dann beugte ich mich zu ihm und flüsterte ihm einen Namen ins Ohr. Da sprang er mir – und dabei machte sie eine Bewegung mit dem Finger – wie ein Verrückter an die Gurgel, und hätte mich erwürgt, wenn Sie nicht eingegriffen hätten.
Die Scheusale! rief Tarzan aus.
Sie sind nicht bloß Scheusale, mein Freund, sagte sie, es sind wirkliche Teufel. Ich fürchte für Sie, weil Sie sich deren Hass zugezogen haben. Ich bitte Sie, ständig auf Ihrer Hut zu sein. Sagen Sie mir, dass Sie mir zuliebe vorsichtig sein wollen, denn ich könnte es nie vergessen, wenn Sie meinetwegen Ungemach erleiden müssten.
Ich fürchte die beiden nicht, antwortete er. Ich habe schon grimmigere Feinde überlebt als Rokoff und Pawlowitsch.
Er sah, dass sie von dem Vorfall in der Maule-Straße nichts wusste, und er sagte auch kein Wort davon, um sie nicht zu ängstigen.
Weshalb, fuhr er fort, übergeben Sie die Schurken nicht den Behörden, um Ruhe vor ihnen zu haben? Man würde sehr schnell mit ihnen fertig sein.
Einen Augenblick zögerte sie mit der Antwort. Dann sagte sie: Es gibt dafür zwei Gründe. Der eine ist der, der den Grafen überhaupt zurückhält, in dieser Sache etwas zu tun. Der andere ist der Grund, den ich bisher niemandem mitgeteilt habe – nur Rokoff und ich kennen ihn. Ich frage mich nur – und dann zögerte sie, indem sie ihn absichtlich lange betrachtete. Was fragen sie sich? sagte er lächelnd.
Ich frage mich, wie es kommt, dass ich Ihnen das mitteilen möchte, was ich noch nie gewagt habe, meinem Manne zu verraten. Ich glaube, dass Sie mich verstehen werden und dass Sie mir den richtigen Weg zeigen können. Ich hoffe, dass Sie mich nicht zu streng beurteilen werden.
Ich fürchte nur, dass ich ein schlechter Richter sein werde, erwiderte Tarzan, denn wenn Sie sich eines Mordes schuldig gemacht hätten, so würde ich sagen, das Opfer könnte Ihnen dankbar dafür sein, einen so süßen Tod erlitten zu haben.
O mein Lieber, antwortete sie, so schlimm ist es nicht. Aber ich will Ihnen zuerst den Grund angeben, aus dem der Graf diese Männer nicht verfolgt, und wenn ich dann noch genug Mut habe, will ich Ihnen auch verraten, weshalb ich selbst es nicht wage. Der erste Grund ist der, dass Nikolaus Rokoff mein Bruder ist. Wir sind Russen. Nikolaus