Die Gräfin fühlte, dass Tarzan sie verstehen konnte, denn er war nur zwei Jahre älter als sie, und er war ein ehrenhafter, ritterlicher Mensch. Sie fürchtete sich nicht vor ihm. Dass sie ihm trauen durfte, hatte sie von Anfang an instinktiv gefühlt.
Rokoff hatte diese wachsende Vertraulichkeit aus der Ferne mit boshafter Freude beobachtet. Seitdem er erfahren hatte, dass Tarzan wusste, dass er ein russischer Spion sei, hatte sich zu seinem Hass gegen den Affenmenschen eine große Furcht gesellt, von ihm bloßgestellt zu werden. Er wartete jetzt nur noch auf eine günstige Gelegenheit zu einem großen Schlag. Er wollte sich für immer von Tarzan befreien und sich gleichzeitig für die durch ihn erlittenen Demütigungen und die Durchkreuzung seiner Pläne rächen. Tarzan war jetzt noch zufriedener als vor der Zeit, da er durch die Ankunft der Porter-Gesellschaft in seinem friedlichen Dschungel gestört worden war.
Er freute sich über den gesellschaftlichen Umgang mit Olgas Bekannten, während seine Freundschaft mit ihr eine Quelle endlosen Glückes für ihn war. Sie verscheuchte seine trüben Gedanken und war ein Balsam für sein gequältes Herz.
Manchmal begleitete d’Arnot ihn bei seinen Besuchen im Hause de Coudes, denn er kannte Olga und den Grafen schon seit langem. Gelegentlich erschien auch der Graf in der Gesellschaft, aber die mannigfachen Geschäfte seiner amtlichen Stellung und die nie endenden Fragen der Politik hielten ihn gewöhnlich bis spät in die Nacht von seinem Hause fern.
Rokoff spionierte Tarzan fast beständig aus. Namentlich suchte er festzustellen, ob der Affenmensch nicht auch nachts in de Coudes Palast ging, aber das gelang ihm nie. Allerdings kam es vor, dass Tarzan die Gräfin von der Oper nach Hause begleitete; aber er verließ sie stets am Eingang, und das ärgerte ihren lieben Bruder sehr.
Da es unmöglich erschien, Tarzan so zu ertappen, wie sie es wünschten, steckten Rokoff und Pawlowitsch die Köpfe zusammen, um einen neuen Plan auszusinnen. Dieser sollte Tarzan in eine solche Lage bringen, dass er unbedingt bloßgestellt würde.
Tagelang verfolgten sie aufmerksam die Zeitungen und beobachteten alle Gänge de Coudes und Tarzans. Schließlich fanden sie eine passende Gelegenheit, ihren Plan auszuführen. In einem Morgenblatt stand eine kurze Notiz über einen Herrenabend, der am folgenden Tage beim deutschen Botschafter stattfinden sollte. Unter den eingeladenen Gästen war auch de Coude erwähnt. Wenn er der Einladung folgte, so war er jedenfalls bis nach Mitternacht von seinem Heim abwesend. Am Abend des Festtages wartete Pawlowitsch auf dem Bürgersteig vor dem deutschen Botschaftsgebäude, um das Gesicht jedes ankommenden Gastes zu prüfen. Er brauchte auch nicht lange zu warten, bis de Coude aus seinem Wagen stieg und an ihm vorbeischritt. Das genügte ihm. Pawlowitsch eilte nach Hause, wo Rokoff ihn erwartete.
Um elf Uhr nahm Pawlowitsch den Hörer vom Fernsprecher. Er nannte eine Nummer, und als er die Verbindung erhalten hatte, rief er:
Bitte, verbinden Sie mich mit der Wohnung des Leutnants d’Arnot.
Eine Stimme meldete sich.
Ich habe eine Mitteilung für Herrn Tarzan, wenn er sich freundlicherweise ans Telefon bemühen will.
Eine Minute lang war es still.
Ach ja, mein Herr, hier ist François, Bedienter bei der Gräfin de Coude. Vielleicht erinnern Sie sich meiner.
Ja, mein Herr. Ich habe eine dringende Botschaft von der Frau Gräfin. Sie bittet Sie, sofort zu ihr zu eilen – ist in Verlegenheit, mein Herr.
Nein, mein Herr, ich weiß nichts Näheres. Darf ich der Frau Gräfin sagen, dass der Herr bald hier sein wird? Danke, mein Herr.
Pawlowitsch hängte den Hörer wieder ein und lachte Rokoff an. Dieser ordnete an:
Er wird etwa dreißig Minuten brauchen, um dorthin zu gelangen. Wenn Sie die deutsche Botschaft in einer Viertelstunde erreichen, könnte de Coude in etwa fünfundvierzig Minuten zu Hause sein. Es hängt alles davon ab, ob der Narr noch fünfzehn Minuten länger bleiben wird, wenn er herausgefunden hat, dass ihm ein Streich gespielt worden ist, aber ich würde mich sehr irren, wenn Olga ihn so schnell gehen ließe. Hier ist ein Briefchen für de Coude. Und nun schnell voran!
Pawlowitsch beeilte sich, nach der deutschen Botschaft zu gelangen. Am Eingang übergab er einem Lakai das Billet.
Dies ist für den Herrn Grafen de Coude. Es ist sehr eilig. Sie müssen dafür sorgen, dass es sofort in seine Hände gelangt.
Gleichzeitig ließ er eine Silbermünze in die willige Hand des Bedienten fallen. Dann kehrte er nach seiner Wohnung zurück.
Einen Augenblick später entschuldigte sich de Coude bei seinem Gastgeber, als er den Briefumschlag öffnete. Er erblasste und seine Hand zitterte, als er folgendes las:
Geehrter Herr Graf de Coude!
Jemand, der die Ehre Ihres Namens zu retten wünscht, greift zu diesem Mittel, um Ihnen mitzuteilen, dass die Heiligkeit Ihres Hauses in diesem Augenblick entweiht wird.
Ein gewisser Mann, der schon seit Monaten ständiger Besucher während Ihrer Abwesenheit ist, weilt jetzt bei Ihrer Frau. Wenn Sie sofort zum Boudoir der Gräfin eilen, so werden Sie sie zusammen finden.
Ein Freund.
Zwanzig Minuten, nachdem Pawlowitsch Tarzan angerufen hatte, bekam Rokoff eine Verbindung mit Olgas Wohnung. Ihre Zofe antwortete am Telefon, das im Boudoir der Gräfin stand.
Als Rokoff mit ihr sprechen wollte, antwortete das Mädchen:
Madame hat sich schon zurückgezogen.
Ich habe eine sehr dringende Nachricht, die ich nur der Gräfin selbst mitteilen kann, erwiderte Rokoff. Wenn sie schon zu Bett ist, so sagen Sie ihr, sie möchte aufstehen, etwas überwerfen und ans Telefon kommen. Ich werde in fünf Minuten wieder anrufen.
Dann hing er den Hörer wieder ein. Einen Augenblick später trat Pawlowitsch herein.
Hat der Graf den Brief? fragte Rokoff.
Er wird augenblicklich auf dem Heimweg sein, sagte Pawlowitsch.
Gut! Meine Gräfin wird gegenwärtig im Negligee in ihrem Boudoir sitzen. In einer Minute wird der treue Jaques Herrn Tarzan zu ihr führen, ohne ihn anzumelden. Die Erklärung wird einige Minuten dauern. Olga wird in ihrem Nachtkleid bezaubernd aussehen, zumal es ihre Reize nur halb verhüllt.