Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Schmitthenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642926
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      Der Pfeifer hatte das Zeichen zum Aufbruch gegeben und war mit langen Schritten den hohen Tannen zugegangen. Der Geiger und die Posaune folgten ihm auf dem Fuße nach. Die Viola wartete auf den Brummbaß, der sein Instrument abnahm, die Riemen kürzer schnallte und sich dann, der fortweisenden Gebärde des Knaben gehorsam, wankend und trippelnd auf den Weg machte. Findebusch blieb allein zurück.

      Er hängte sich die Baßgeige um die Schulter. Dann eilte er auf den Einsiedler zu, ergriff seine Hand und sagte: „Sargbruder, ade!“

      Der andere legte die Säge hin, zog den Knaben an seine Brust und flüsterte: „Noch nie hatt’ ich jemand so lieb wie dich!“

      Er bückte sich, griff unter die Hobelbank und holte ein kleines Sträußchen roter Blüten vom Boden. Die kurzen Stiele waren mit einer Binse zusammengebunden.

      „Da nimm! Steck es an! Verlier es nicht! Es sind Donnerblumen. Sie schützen im Wetter.“

      Findebusch steckte sich das Sträußchen in den Wams.

      „Ich kann dir nichts geben als meine Fuchsmütze.“

      Er stülpte sie ihm über die wirren Locken.

      „Nimm sie nur! Die Posaune macht mir eine andre, sie versteht sich darauf. — Du, warum machst du so viele Särge? Ist bei euch eine Seuche?“

      „Ich mache Särge“ — der Einsiedler hielt den Knaben an die Brust gepreßt und flüsterte: „Bis ich meiner Mutter Grab gefunden habe.“ — Mit lauter Stimme fuhr er fort: „Dann mache ich Kreuze, nichts als Kreuze.“

      „Auch ich kenne meiner Eltern Grab nicht“, sagte Findebusch fröhlich. „Aber das kümmert mich nicht. Springt mir ein Fuchs in die Arme, dann denke ich, den schickt mir mein Vater aus dem Grab, und streichelt mir ein Haselbusch die Wange, dann denke ich, der ist aus meiner Mutter Grab gewachsen. Darum ist mir so wohl in der ganzen Welt.“

      „Versprich mir eins, Bruder Findebusch! Wenn du drüben bist im Schloß, dann blase ein Sterbelied!“

      „Du bist nicht gescheit! Für wen denn?“

      „Für meine Mutter. Die ist drinnen in der Burg irgendwo verscharrt und vermodert.“

      „Was soll da das Sterbelied? Sie feiern Hochzeit dort drüben.“

      „Aber sie hat noch kein Grablied bekommen. Den ärmsten Leuten und den Fahrenden und Gerichteten wird eines gesungen. Den Selbstmördern nicht; aber sie hat sich nicht selber umgebracht. Nein, du —“

      Er schüttelte den Knaben an den Schultern und raunte: „Ich weiß, man hat sie schmählich gemordet.“

      „Wer? Der Junker?“

      „Der nicht; er war damals zwölf Jahre alt. Aber dabeigewesen ist er und weiß ihr Grab.“

      „Warum fragst du ihn nicht?“ — „Er schweigt.“ — „Und die andern?“

      „Die es getan haben, leben nimmer. Sie sind ertrunken, haben den Hals gebrochen, die Pest hat sie gefressen. Keiner hat im Frieden die Augen geschlossen und keiner in der Burg ihres Geschlechtes. Ich habe allen die Särge gemacht und habe in jeden einen Fluch gelegt. Aber gesungen hat man ihnen doch drüben in der Ersheimer Kirche. Nur meiner Mutter, meiner Mutter ist nicht gesungen worden. Drum blase du ihr heute nacht auf des Junkers Hochzeit ein Grablied.“

      Findebusch machte sich aus den Armen des Einsiedlers los, reichte dem Gesellen die Hand und sah ihm treuherzig in die Augen.

      „Versprechen will ich dir es nicht. Aber wenn ich es tun kann, dann vollbringe ich’s und blase mitten hinein in den Tanzreigen der andern:

      ‚Wer weiß, wie nahe mir mein Ende?

      Hin geht die Zeit, her kommt der Tod!‘“

      Die beiden umarmten sich in urplötzlicher Bewegung. Und wie sie nun schieden, da war es, als ob zwei Brüder voneinander gingen.

      Findebusch sprang seinen Gesellen nach. Hinter einem Busch stand der Brummbaß und wartete. Er warf einen mißtrauischen Blick nach der Richtung, woher die Säge des Einsiedlers schrillte, und fragte seinen Liebling:

      „Willst du mich verlassen, Kind?“

      Im nächsten Augenblick hing Findebusch an dem Hals des alten Mannes und bedeckte dessen Brust mit seinen Tränen.

      Der neigte seinen Kopf und lauschte, denn es war, als ob der Knabe schluchzend etwas sage.

      „Ich habe dich nicht verstanden.“

      „Wie plötzlich, ach, und wie behende

      Kann kommen meine Todesnot.“

      Der Brummbaß schüttelte den Kopf, hob das Gesicht von seiner Brust hinweg und in die Höhe und sah dem Knaben eindringlich in die Augen.

      „Willst du mich verlassen, Kind?“

      „Nie“, flüsterte der Knabe. „Ich bleibe bei dir bis in den Tod.“

      Und nun eilten die beiden, ohne ein weiteres Wort zu wechseln, dem Hochwalde zu. Als sie ihn erreicht hatten, sahen sie das Goldblech der Posaune links unter sich durch die Büsche blitzen.

      Der Einsiedler aber arbeitete, ohne aufzusehen, Stunde um Stunde, bis der Mond über den Berg gestiegen war, und vollendete den sechsten Sarg.

      Der Mond schien bleich und verschleiert aus einem tiefen Dunsthof. Der Tag war düster erloschen, wie ein Licht erstickt im Qualm. Der Einsiedler nahm die Hobelbank auseinander und trug die einzelnen Stücke in eine Hütte, die eine Strecke weiter hinten im niederen Tannengrün lag. Ebendorthin trug er die Werkzeuge und Gerätschaften, und dann schleifte er die Särge über den grasigen Boden und barg sie unter dem Dach. Darüber war es völlig Nacht geworden.

      Nachdem er die Tür der Hütte verschlossen hatte, ging er über die Lichtung auf die Stelle, von der man nach der Burg sehen konnte. Mit gekreuzten Armen stand er an eine Buche gelehnt und sah zum hellerleuchteten Schlosse hinüber.

      Man hörte die Klänge fröhlicher Tanzweisen, sah dunkle Gestalten an den Fenstern vorübergleiten, und aus den Höfen und vom Neckar her erscholl mitunter ein Jauchzen.

      Jetzt fingen die Musikanten von neuem an: es war die Melodie eines marschartigen Reigens, aber hell und fröhlich; der Klang der Trompete war der König unter den Tönen.

      ‚Jetzt geleiten sie das Paar in die Kammer‘, dachte der Siedler und horchte gespannt.

      Da löste sich der Trompetenklang los von dem übrigen Klingen und Singen, Dröhnen und Rauschen, und klar und rein scholl durch die Luft die Weise des Grabliedes. Zuerst wirbelten und schwirrten die übrigen Töne verwirrt um die majestätischen Klänge her, dann wurden sie mitgezogen, zuerst der Baß und ein Klang nach dem andern, bis in voller Harmonie der Choral herüberklang:

      „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende?

      Hin geht die Zeit, her kommt der Tod.

      Wie plötzlich, ach, und wie behende

      Kann kommen meine Todesnot!

      O Gott, ich bitt’ durch Christi Blut,

      Mach’s nur mit meinem Ende gut!“

      Der Einsiedler hielt die Fuchsmütze an seine Brust gepreßt. Aus seinen Augen stürzten Tränen. Als die Weise vorüber war, fiel er auf die Knie zu brünstigem Gebet. Dann erhob er sich und ging mit großen Schritten durch den schwarzen Wald dem Schlosse zu.

      3

      „Hä!“ sagte der Torwärtel Peter, als der letzte Gast draußen war. Er zog die Torflügel herein, legte den Querbalken dahinter und riegelte das Pförtchen. Dann ging er in die Stube, entledigte sich seiner Hochzeitsstiefel und seines Festgewandes und kam bald wieder in den Torbogen heraus in seinen Schlappen und im Hauswams. Er schlurfte ein wenig herum, um sich wieder ins gewohnte Leben hineinzufinden; er schlappte zur inneren Torbrücke und spuckte über das Geländer, dann