Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Schmitthenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642926
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der Schreinerei. Mehrere zurechtgesägte Bretter lagen auf dem Boden, hinter dem Baum lehnte ein Bord am Stamm, noch in seiner ganzen Länge, mit rindigem Rand. Weiter vorn aber, dicht vor den Musikanten, lag Sarg an Sarg im hohen Gras.

      Als die Männer auf die Höhe traten, wurde gerade das Bord vom Boden gehoben, leicht, als ob es ein Pfahl wäre, auf eine schlanke Schulter geworfen, über die Hobelbank gelegt, und eine jugendliche Gestalt beugte sich darüber, setzte die Säge mit Sorgfalt an und sägte. Die wirren blonden Haare fielen über die Stirn in das Gesicht hinein und bedeckten es, so daß nur die bleichgelbe und magere Wange zu sehen war. Vom Hals bis zu den bloßen Füßen hing ein langer, weiter Rock herunter, der mit mehr denn hundert Stücken von allerhand Tuch überflickt und aufeinander gesetzt war. Anstatt des Gürtels war ihm ein Strick um den Leib geschlungen.

      Der wunderliche Mensch verwandte keinen Blick von der Arbeit, und wenn er nicht taub und blind war für die ganze Welt, die außerhalb seiner Arbeit lag, so wollte er es wenigstens für die Fremdlinge sein, die da standen und ihn angafften.

      „Wie hast du denn die Hobelbank heraufgebracht mitten in den Wald?“ fragte der Geiger.

      Der Brummbaß warf dem albernen Gesellen einen zornigen Blick zu; aber es wäre unnötig gewesen, denn der Einsiedler sägte zu und gab keine Antwort.

      „Wieviel Särge machst du denn?“ fragte der Fant weiter.

      „Wieviel Leute seid ihr denn?“ erwiderte der Jüngling und hielt im Sägen inne.

      Er sah langsam auf und zählte: „Eins, zwei, drei, vier, fünf —“

      „Nein, sechse!“ rief eine helle Stimme, und ein blondgelockter Knabe tauchte aus dem Gebüsch.

      Der Einsiedler sah den zuletzt Gekommenen scharf an und sagte: „Sechs Särge mache ich.“

      Er schaute wieder auf das Brett und zog die Säge an, aber nach dem ersten Strich hielt er inne, und sein düsterer Blick, wie wenn er etwas vergessen hätte, hob sich wieder zu dem Rufer von vorhin.

      Es war auch ein wonniges Ding, in das feine, offene frauenhaft schöne Gesicht zu schauen. Ein wundersamer Reiz war darüber ausgebreitet, aber man mußte oft hinschauen, bis man sich über den Grund Rechenschaft geben konnte.

      Findebusch hatte die Arme übereinander geschlagen und sah verwundert drein, wie die andern getan hatten. Bei diesen war der Bann des Staunens einer unruhigen Neugier gewichen, bei dem Geiger seiner fahrigen Frechheit.

      „Sechs Särge! Dann reicht es ja gerade für uns!“ rief er lachend. „Wir wollen doch sehen, ob sie uns angemessen sind.“

      Und er sprang mit gleichen Füßen in eine der offenen Grabkisten und streckte sich der Länge nach aus.

      „Den Deckel darauf, daß wir ihn nimmer sehen, den Schandbuben!“ rief der Brummbaß.

      Was er im Zorn meinte, meinten die Posaune und der Pfeifer im Scherz. Sie holten den Sargdeckel und stülpten ihn darüber. Der darinnen lag, war still und regte sich nicht.

      Niemand lachte. Die beiden Gesellen schämten sich des mißlungenen Spaßes. Der Pfeifer trat hinweg und ließ den andern hantieren. Der hob leise den Deckel auf und ließ ihn ins Gras fallen. Jetzt erhob sich auch der Geiger, half sich auf die Beine und stieg vorsichtig aus dem Sarg. Er war weiß wie ein Handtuch und schlotterte an allen Gliedern. Er versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht; er trat blöd und verlegen auf die Seite und stand da wie ein nasser, frierender Hund.

      Der Sargmacher hatte unterdessen weitergearbeitet, wie wenn er allein wäre. Die Frage der Posaune, wo die Burg läge und wie weit es noch bis dorthin wäre, hatte er überhört oder keiner Antwort gewürdigt.

      „Hier liegt sie ja!“ rief Findebusch.

      Er war auf einen geglätteten Baumstumpf gestiegen, so daß er eines Hauptes größer war als die andern.

      „Ihr braucht nicht hierherzukommen. Dort, wo der Geiger steht, wenn ihr ein paar Schritte weiter vorgeht, müßt ihr sie sehen. Wahrhaftig, ein stolzes Schloß! Was für ein mächtiger Turm! Und unten glänzt der Neckar. Oh, ist die Welt hier so schön!“

      Findebuschs Zuruf machte die müde und verstörte Gesellschaft wieder lebendig. Alle waren froh, den düsteren Eindruck abschütteln zu können, und zeigten sich doppelt lustig. Der Brummbaß, der auf einem in die Quere liegenden Baumstamm ausruhte, schlug sich vergnügt auf die Schenkel, und der Pfeifer, der Grund haben mochte, den liederlichen Geiger bei der Gesellschaft zu halten, trat zu diesem hin und reichte ihm die Branntweinflasche.

      Findebusch aber stand noch immer auf seinem Schemel und schaute barhäuptig in das Land hinaus.

      Sein Gesicht war der vollen Sonne dargeboten. Geradeso schien das erleuchtende Himmelsgestirn mit breitem Schein in das Antlitz des Eremiten, der ein eisernes Winkelmaß hinter sich auf den Baumstumpf gelegt hatte, auf dem Findebusch stand, und jetzt nach der Säge griff und ihre Schneide fester schraubte. Findebusch ragte dicht hinter dem Siedler in die Höhe, und sein glattes Kinn berührte fast die dunkelblonden Locken des Waldschreiners.

      Auf seinen Zuruf: „Dort ist die Burg!“ hatten für einen Augenblick alle zu ihm hingesehen, der Brummbaß mit einem verklärten Blick. Während aber jetzt die andern vorgetreten waren, um behaglich das Tal und die Burg und das Städtlein zu beschauen, ging die Viola alsbald wieder zurück, und wie wenn seine Augen etwas verabsäumt hätten, schaute er alsbald wieder den einen Kopf und den andern an, und so oft ihn auch die Gesellen durch Frage oder Zuruf oder eine Bemerkung in Anspruch nahmen, kehrte sein Blick immer wieder zu dem Geschäfte zurück, die beiden Gesichter zu besehen und zu vergleichen.

      Plötzlich rief er: „Hast du einen Bruder, Trompeter?“

      Der Knabe griff an sein Instrument.

      „Viele, viele! Alle, die lieber blasen als sägen, und lieber küssen als essen, und lieber schlemmen als sparen!“

      „Was er großtut“, sagte der Brummbaß, „und ist doch der einzige unter uns, der noch nie einen Rausch gehabt und ein Mädel geküßt hat!“

      Er kam herbei und hängte sich mit einem Seufzer die Baßgeige über den Rücken.

      Die Viola schaute noch einmal prüfend die beiden Gesichter an, schüttelte den Kopf und sagte: „Unter all deinen Blasbrüdern sieht dir keiner so ähnlich wie hier der Sargbruder. Schaut nur einmal her, ihr andern!“

      Sie sahen die beiden Jünglinge an, und einer wie der andere staunte über die Ähnlichkeit. Was die häßliche Kutte um den Nacken und an den Handknöcheln von den Gliedmaßen sehen ließ, verriet einen schlanken Leib und einen zarten, feinen Bau. Er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein oder anfangs der zwanziger stehen, denn das Kleid und der düstere Blick waren über die Jahre, auf die sein glattes Gesicht schließen ließ. Wenn auch die Züge schärfer, spitzer und ernster waren als in dem lachenden, vollen Antlitz des Knaben, so zeigten sie doch denselben Schnitt von der hohen freien Stirn an bis zu dem weichen Kinn, worinnen weder bei dem einen noch bei dem andern das Grübchen fehlte. Vor allem fiel bei dem ersten Blick in jedem der beiden Gesichter das Auge auf, und wenn man sie verglich, hätte man sich die Augen und ihre Umgebung vertauscht denken können, ohne daß die beiden Menschen anders geworden wären: dasselbe Leuchten aus der Hefe, dieselbe unbestimmbare Farbe, bald tiefblau, bald schwarz, bald golden, dieselbe steile, zarte Nasenwand und vor allem die gleichen schwarzen, scharfgezeichneten, edelgeschwungenen Brauen.

      Der Einsiedler hatte sich aufgerichtet, die Säge aus der Hand gelegt und sich langsam umgedreht. Und dann betrachteten sich die beiden.

      „Ich hatte nie einen Bruder“, sagte der Waldschreiner, „aber ein Schwesterlein.“ Nach einer Weile fügte er hinzu im Tone einer klagenden Litanei: „Ich hatte einen Vater und eine Mutter.“

      „Ei, wie merkwürdig!“ rief der Geiger, der sich wieder ins Ansehen setzen wollte. „Findebusch, merke wohl auf: der Vater hat ihn gezeugt und die Mutter hat ihn geboren.“

      „Ich schlag’ dir mein Instrument um die Ohren! Lieber komm’ ich aufs Rad, als daß