Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Schmitthenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642926
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ansehen und zählen, wie viele es seien. Aber da fiel ihm auf einmal ein, daß er seinen alten Wolfspelz anhatte. „So kann ich nicht in den Himmel hinein“, sagte er. — „Wir gehen einstweilen voraus“, rief ihm Ursula zu, „wir heben dir einen Platz auf.“ Und sie ging mit ihrer stolzen Schar zum Himmelstor hinein. Friedrich streckte den Kopf, um sie zu zählen, aber er sah nichts, als daß es lauter Blondköpfe waren; wie viele, das verbargen ihm die hervorquellenden Rosawölkchen. Traurig besah er seinen alten Pelz. Darunter trug er seinen Werktagsflaus, der war abgeschabt und abgeschossen und sah einem Stallkittel ähnlicher als einem himmlischen Hofkleid. „Ei, sieh, Fritz! Da bist du ja!“ rief eine helle, wohlbekannte Stimme. Johann von Handschuhsheim stand im Torweg. „Grüß dich Gott, Vetter! Was soll ich nur tun? So kann ich doch nicht zu euch hinein.“ — „Warte, Fritz, ich gebʼ dir meinen Mantel, weißt du, den Schwanenrittermantel. Du kennst ihn ja. Ich hatte ihn an, als ich in der Kirche zu Handschuhsheim lag, wo meine Mutter so dummes Zeug redete.“ — „Aber wo soll ich meinen Wolfspelz hintun? Anbehalten kann ich ihn nicht, sonst schwitze ich so arg.“ — „Gib nur her“, sagte Johann. Er trat heraus, nahm ihm den Pelz ab und warf ihn über die Brücke. Er sah ihm flüchtig nach und sagte: „Er ist in euern Karpfenteich zu Mülben hineingefallen.“ Dann knüpfte er sich den Mantel los. „Laß“, sagte Friedrich, „er muß ja deine Wunde zudecken!“ — „Oh, die ist schon lang wieder heil“, lachte Johann und legte seinem Vetter den Mantel um. Und nun gingen sie miteinander zum Tor hinein. „Hä!“ sagte jemand nebenan. — „Ei, Peter, du bist auch da?“ Peter grinste über das ganze Gesicht, dann griff er hinter sich und holte ein ungeheures Käsebrot hervor. Sie waren noch nicht weit in den Himmel hineingegangen. Da stand eine wunderschöne Frau auf einer grünen Wiese. Zuerst glaubte Friedrich, es wäre Ursula: dieselbe hohe Gestalt, dasselbe strahlende stolze Auge. Aber sie schien ein wenig älter zu sein. „Komm, Lieber“, sagte sie und griff ihn an der Hand. „Du sollst zwischen mir und Ursula sitzen und die andern alle um uns her.“ — „Wie viele?“ — „Das wirst du schon sehen.“ — „Es sind aber auch noch auf der Erde drunten?“ Da hob sie ihren Finger und gebot Schweigen. So gingen sie über diese Wiese hin. Nach einer Weile blieb sie stehen und fragte: „Kennst du mich?“ — „Ich glaube, ja, ich habe einmal, ein einziges Mal dir in die Augen gesehen.“ Sie nickte und nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und sprach: „Eine ganze Nacht hindurch hast du meinetwegen gewacht, dafür will ich dir die Augen küssen.“ — „Nikolaus auch“, sagte er. — „Oh, der ist schon da.“ Nun gingen sie weiter. Auf einmal ging vor ihnen ein schöner Engel. Er hatte himmelblaue Flügel; die gingen leise auf und zu, und eine köstliche Luft, weich und würzig, wehte von ihm her. „Das ist Gabriel“, sagte seine Begleiterin. Der Engel blieb stehen, wartete auf sie und sagte vor sich hin: „Ich, wenn ich unser Herrgott wär’, ich tätʼ die ganze Welt in den Neckar schmeißen und der Hölle tät’ ich einen Fußtritt geben, daß sie in den Odenwald hineinfährt, und dann tät’ ich einen Himmel machen, siebenmal so groß und so schön, als der da ist. — „Halt deinen Mund!“ wollte Friedrich zu dem Engel sagen, aber er wußte nicht, ob er ihn Gabriel oder Hannes anreden sollte; darum schwieg er. Seine Begleiterin aber mußte lachen, das klang silberhell, so daß Friedrich halber aufwachte. Nun stimmte auch Johann von Handschuhsheim in das Lachen ein. Er lachte geradeso frisch und lustig, wie er getan hatte, als sie an jenem Tage miteinander auf die Späße des Heidelberger Hofnarren lauschten. Dieses zweistimmige Lachen war für den festesten Schlaf zu arg. Friedrich schlug die Augen auf. Die helle Sonne schien ins Zimmer.

      Der Junker sprang fröhlich aus dem Bett, kleidete sich an, trat auf den Balkon hinaus und rief einem Knechte in den Hof hinunter, was wegen der Abfahrt der Kutsche anzuordnen war. Er bestimmte den Knecht, der das Prachtgebäude führen, die Pferde, die es ziehen sollten. Er selbst wollte zu Pferd den Prunkkasten begleiten. Er ließ sich noch den Fuchs vorführen, der ihn zu seiner Liebsten tragen sollte. Dann ging er auf die Kanzlei hinüber, wo eine Menge Leute auf seine Urteilssprüche und Verfügungen wartete.

      Am Abend desselben Tages sprengte ein Reiter von der Landstraße her in die Wolfsschlucht hinein, ließ sein Pferd den steilen Pfad hinaufklettern, bis sich die Fenster der Kemenate in seinen Augen spiegelten, und rief zur Burg Zwingenberg hinauf: „Ursula! Ursula!“ Das Pferd strauchelte. Der Reiter sprang ab und führte es den Abhang hinunter.

      Ursula öffnete oben das Fenster, winkte mit ihrem Tuch und rief: „Grüß dich Gott, Liebster!“

      „Die Kutsche kommt!“ rief Friedrich rasch hinauf und schaute wieder auf den Boden. Er faßte den Fuchs knapper am Zügel und redete ihm begütigend zu. Dann hob er noch einmal den Kopf, sah über die Schulter zum Schloß hinauf und rief: „Geh ihr entgegen zum oberen Tor hinaus!“

      Ursula sah schweigend zu, bis das Pferd wieder auf ebenem Grunde war, dann rief sie ein fröhliches „Hei!“ und war vom Fenster verschwunden.

      Derweilen rollte die Kutsche langsam und majestätisch unter dem Schlosse hin, von einer großen Kinderschar begleitet. Die Lindacher Schule war gerade aus gewesen, als das Wunderwerk am Schulhaus vorbeistolzierte. Einen Augenblick standen die Buben und Mädchen in stummem Staunen, dann machten sie sich auf und sprangen hinter dem vierrädrigen Riesenvogel her, der, halb Kauter, halb Pfau, in würdevoller Unbeholfenheit dahinschwankte. In Zwingenberg verdoppelte sich das Ehrengeleite. Auch die Alten ließen ihr Nachtessen stehen und gingen langsam der entschwebenden Wundererscheinung nach.

      Ursula stand schon lange auf der äußeren Brücke. Friedrich hatte im Hof sein Pferd abgegeben und war zu seiner Gattin getreten, da zeigte sich endlich das Verdeck, die Stirn, der Bauch und endlich das Wundergeschöpf in seiner ganzen Größe. Es kam den Schloßberg herauf, wie ein Maikäfer an einem Globus hinaufklettert. Jetzt war es oben, setzte sich in gelinden Trab und fuhr auf seine Herrin zu. Aber anstatt sich ihr huldigend zu Füßen zu legen oder stolz an ihr vorüber zu paradieren, blieb es zwischen den beiden Prellsteinen am Eingang der Brücke stecken. Der Genter Meister hatte beim Aufbau dieses fliegenden Palastes zwar gewissenhaft alle Hirschhorner Maße, berücksichtigt, aber von den Zwiftgenberger Engen und Weiten wußte er nichts. Es war kein Zweifel, die Kutsche konnte nicht in die Burg hinein.

      Nachdem die Pferde ausgespannt und der schöne Fremdling aus seinem Gefängnis befreit war, wurde er mühsam umgedreht, so daß die Deichsel bergabwärts ragte. Zwei Zwingenberger Bürger mußten die Nacht hindurch bei der Kutsche wachen. Sie bekamen dafür einen Batzen, den Abendimbiß, die Morgensuppe und um Mitternacht je zwei Apfelkrapfen.

      Nicht allein der Junker, auch noch andre besorgte Gemüter wachten in der Nacht mehrmals auf und lauschten, ob es nicht regne. Das Wetter hielt. Am frühen Morgen wurden die Pferde angeschirrt. Ursula verließ lachenden Herzens die Burg und stieg in ihr Wandelhaus. Ein Planwagen stand reisefertig im Hof. Darinnen waren Kisten und Kasten mit allerhand Inhalt. Auf einem Bänklein hinter dem Kutscher saßen zwei Mägde. Die eine davon hatte ein Kind auf dem Arm. Es war Ursa, das Mädchen, das vor dem Schlosse im ersten Häuschen gewohnt hatte, bis die Herrin die Verwahrloste unter ihre Dienerinnen nahm, um sie zu erziehen. Der Säugling war wohl gediehen; es war ein herziges Kindchen.

      Als alles in Ordnung war, rief Friedrich: „Los!“ Die Kutsche setzte sich in Bewegung und gondelte prachtvoll die Schloßstraße hinab. Der Planwagen rasselte hinterher. Friedrich gab noch einige Aufträge, dann sprengte er den beiden Fuhrwerken nach und ritt neben seiner Frau auf der Landstraße, den fröhlichen Neckar zur Linken, das schwebende Gehäuse und den grünen Bergwald zur Rechten, gen Hirschhorn.

      Als sie Eberbach hinter sich gelassen hatten, trieb ihnen der frische Märzwind, der in der Nacht von Osten nach Nordosten umgeschlagen hatte, eine graue Wolke über den Kopf, und aus ihr sprühten Graupenkörner und Regentropfen. Hinter der vordersten Wolke zogen andere herauf, denen man schon von fern den gleichen Schabernack ansah. Friedrich zog den Wolfspelz enger zusammen und freute sich, daß sein Weib so warm und wohlig thronte. Aber er dachte auch an das kleine Kindchen in dem Planwagen. Das war denn freilich übel versorgt. Der Regen schlug von vorn und von der rechten Seite herein, und vom Dache her troff das Wasser aus verschiedenen Spalten und Löchern. Der Junker ließ den Wagen halten und griff nach dem Kindchen. Die Tücher und Kleider waren von außen her ganz durchnäßt. Da dauerte ihn der arme Wurm. Er ließ die Kutsche halten und klopfte seiner Frau an das Fenster. Nach