Jesus von Nazaret. Jens Schröter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Schröter
Издательство: Bookwire
Серия: Biblische Gestalten (BG)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374050451
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      [wieder errichtet]

      Das »Tiberieum« ist demnach ein Gebäude, das Pontius Pilatus »den Seeleuten« (nautis) errichten lassen hat. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Leuchtturm (daher die Ergänzung »Den Seeleuten«), vielleicht auch um einen Sakralbau (dann könnte die erste Zeile zu AUGUSTIS ergänzt werden).33 Zu Ehren des Kaisers Tiberius trug das Gebäude den Namen »Tiberieum«. Die Inschrift belegt, dass Pontius Pilatus die Amtsbezeichnung »Präfekt« trug, nicht »Prokurator«, wie es bei Tacitus heißt.

      2) Das Kaiaphas-Ossuar (Anhang, Abbildung 3). Im Jahr 1990 wurden in einer Familiengrabstätte in Jerusalem 12 Ossuare entdeckt. Das größte dieser Ossuare, das sich jetzt im Israel-Museum befindet, enthält die Knochen eines etwa sechzigjährigen Mannes und einiger seiner Familienmitglieder. Es wurde zudem aufwendig verziert. Auf der Längsseite findet sich die Aufschrift »Joseph, Sohn des Ka(ia)phas«, auf der Schmalseite die gekürzte Version »Joseph, Sohn des Kph«.

      Es könnte sich um das Familiengrab des Hohenpriesters Kaiaphas handeln, den auch die Evangelien des Neuen Testaments und Josephus nennen (Josephus nennt in Ant. 18,35 »Joseph« als Zweitnamen des Kaiaphas). Obwohl die Lesart »Kaiaphas« nicht völlig gesichert ist, könnte das Ossuar dasjenige des Hohenpriesters Kaiaphas und seiner Familie sein. Das wird durch ein 2011 bekannt gewordenes Ossuar unterstützt, das die Aufschrift trägt: »Miriam, Tochter des Jeschua, Sohn des Kaiaphas, Priester von Maaziah, aus dem Hause Imri«. Damit ist ein weiterer Beleg für den Hohenpriester Kaiaphas ans Licht gekommen.

      3) Das 1986 im See Gennesaret gefundene Boot (Anhang, Abbildung 4).34 Es stammt aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. und wird deshalb mitunter auch als »Jesus-Boot« bezeichnet (obwohl natürlich niemand weiß, wer es tatsächlich benutzt hat). Nach einer ebenso komplizierten wie spektakulären Bergungs- und Konservierungsaktion ist es heute in der Allon-Ausstellungshalle des Kibbuz Nof Ginnosar in der Nähe von Kafarnaum zu besichtigen. Die Abmessungen der gefundenen Überreste betragen ca. 8,20 m x 2,30 m, die Maße für das ganze Boot betrugen demnach ca. 10 m x 3 m. Damit hatte es eine beachtliche Größe, die es zum Transport mehrerer Personen oder größerer Mengen von Gütern geeignet erscheinen lässt. Auffällig ist die Verwendung vieler Holzarten bei der Herstellung sowie bei späteren Reparaturen, die darauf schließen lässt, dass Bauholz knapp war. Ein Schiffsmosaik aus dem nahe gelegenen Magdala zeigt ein Boot ähnlichen Typs. Das Boot kann eine Szene wie die in Mk 4,35–41 beschriebene veranschaulichen:

      Jesus schläft dort »im Heck«, was auf ein größeres Boot mit ausgearbeitetem Heck schließen lässt.

3.2 Christliche Quellen

      Zu den Quellen, die Aufschluss über den historischen Jesus geben, gehören diejenigen Zeugnisse, die historisch auswertbare Informationen aufbewahrt haben und nicht ihrerseits von älteren Quellen abhängig sind. Spätere Zeugnisse malen das Leben Jesu dagegen häufig legendarisch aus und gehören deshalb in die Wirkungsgeschichte der ältesten Quellen. Sie spiegeln Konstellationen späterer Phasen der Christentumsgeschichte wider, etliche sind zudem Ausdruck christlicher Frömmigkeit, die die Person Jesu in Legenden, bildlichen Darstellungen und rituellen Vollzügen zur Anschauung bringt.35 Diese Zeugnisse, von denen einige in Teil C dieses Buches besprochen werden, können im vorliegenden Abschnitt, der sich auf die historisch auswertbaren Informationen konzentriert, übergangen werden.

      Die Jesusüberlieferung wurde in ihren Anfängen mündlich weitergegeben. Dieser Prozess, der aller Wahrscheinlichkeit nach bereits während der Wirksamkeit Jesu einsetzte, hat ihren Charakter grundlegend geprägt. Als ursprünglich mündliche Überlieferung behielt sie ihre Variabilität bei der je konkreten sprachlichen und inhaltlichen Gestaltung auch während und nach ihren ersten Verschriftlichungen. Das wird sofort deutlich, wenn man verschiedene Versionen eines Wortes, eines Gleichnisses oder einer Episode aus dem Leben Jesu nebeneinander stellt. Dass diese Flexibilität auch in der schriftlichen Jesusüberlieferung erhalten blieb, kann an ihrer Verarbeitung in frühchristlichen Schriften sowie an der Textüberlieferung unschwer abgelesen werden.36 Nimmt man hinzu, dass Jesus aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Griechisch gesprochen hat – die Sprache aller Autoren des Neuen Testaments –, sondern Aramäisch, dann wird deutlich, dass bereits die älteste zugängliche Überlieferung sprachlich wie inhaltlich ein ganzes Stück von Jesus entfernt ist: Sie ist durch einen Prozess mündlicher Überlieferung und inhaltlicher Deutung hindurchgegangen und in eine andere Sprache übersetzt worden; sie wurde in bestimmte Formen gefasst – etwa in Spruchgruppen, Heilungserzählungen oder kleine Episoden über Berufungen und Streitgespräche –; sie wurde in Erzählungen mit je eigenem sprachlichen und inhaltlichen Profil integriert; sie wurde in Texten überliefert, von denen verschiedene, voneinander abweichende Manuskripte existieren, deren älteste bis ins 2. Jahrhundert zurückreichen. Auf der Grundlage dieser Quellen können wir aus heutiger Perspektive Bilder von Jesus zeichnen, die von unseren Kenntnissen über diese Quellen abhängig, von der Person, auf die sich diese Quellen beziehen, jedoch zu unterscheiden sind.

      Die ältesten Texte, aus denen wir etwas über Jesus erfahren, sind die Briefe des Paulus. Paulus geht es zwar nur am Rande darum, Biographisches über das Wirken Jesu zu berichten, dennoch finden sich in seinen Briefen Spuren früher Überlieferungen.37 Dazu gehört zunächst die Notiz über »die Nacht, in der Jesus ausgeliefert wurde«, mit der Paulus seinen Bericht von der Einsetzung des Herrenmahls in 1Kor 11,23–25 beginnt. Dazu gehört auch die Erwähnung der davidischen Herkunft Jesu (Röm 1,3), auf die noch zurückzukommen ist.38 In beiden Fällen zitiert Paulus Überlieferungen, die in eine frühe Zeit zurückreichen.

      An einigen Stellen bezieht sich Paulus im Zusammenhang von Anweisungen, die er erteilt, ausdrücklich auf ein »Wort des Herrn«. Neben den gerade genannten Einsetzungsworten des Herrenmahls gehören hierzu das Verbot der Trennung von Mann und Frau (1Kor 7,10 f.) sowie die Anordnung, dass die, die das Evangelium verkünden, auch von ihm leben sollen (1Kor 9,14). Auch in 1Thess 4,15 spricht Paulus »in einem Wort des Herrn«, allerdings zitiert er dort kein Jesuswort, sondern beruft sich auf die Autorität Jesu. An anderen Stellen weisen die Formulierungen des Paulus Berührungen mit den synoptischen Evangelien auf, ohne dass er sich dabei ausdrücklich auf Jesus oder den »Herrn« berufen würde.

      Das Wort vom Dieb in der Nacht in 1Thess 5,2 (vgl. auch 2Petr 3,10 sowie Offb 3,3; 16,15) begegnet in analoger Weise in Lk 12,39/Mt 24,43 sowie in Ev Thom 21,5–7. Hier wird die Metapher vom Dieb in einem Bildwort Jesu verwendet. Der Kontext ist in allen Fällen die Aufforderung zur Wachsamkeit angesichts des unbekannten Zeitpunktes des Kommens Jesu zum Gericht.

      Die Aufforderung zum Friedenhalten in 1Thess 5,13 (vgl. Röm 12,18) wird in Mk 9,50 (vgl. Mt 5,9) als Gebot Jesu angeführt.

      Zur Aufforderung in 1Thess 5,15/Röm 12,17, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sowie zur hiermit nahe verwandten Mahnung in Röm 12,14, die Verfolger zu segnen und nicht zu verfluchen, finden sich Analogien in der Feldrede bzw. Bergpredigt (Lk 6,28/Mt 5,44) sowie in 1Petr 3,9. Es handelt sich um einen Topos urchristlicher Paränese, der sowohl in den synoptischen Evangelien als auch in der Briefliteratur rezipiert wurde.

      Das Wort über das Wohlverhalten gegenüber dem Feind in Röm 12,20, bei Paulus ein Zitat aus Spr 25,21, begegnet in der synoptischen Überlieferung als Feindesliebegebot Jesu (Lk 6,27.35/Mt 5,44).

      Zum Topos in Röm 14,14, dass nichts von sich aus unrein ist, ist das Jesuswort in Mk 7,15/Mt 15,11 zu vergleichen: »Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen.«

      Das Wort über den Berge versetzenden Glauben in 1Kor 13,2 besitzt Analogien in Mk 11,22f./Mt 17,20 (vgl. auch Lk 17,6 sowie in Ev Thom 48 und 106).

      Die Stellen zeigen, dass bereits vor der Entstehung der Evangelien ein Überlieferungsbereich existierte, in dem die Lehre Jesu, gemeinsam mit anderen Überlieferungen, im Urchristentum weitergegeben wurde. Die Unterscheidung von »echten« Jesusworten und anderen, nicht auf Jesus zurückgehenden Überlieferungen spielte dabei keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr,