Hansen. Paul Schaffrath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Schaffrath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783870623272
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den Blick durchaus bemerkt hatte.

      »Wollen Sie das wirklich wissen?« fragte sie spöttisch.

      »Wollen wir nicht«, sagte Krüger. Er wartete, bis die Frau wieder hinter dem Tresen verschwunden war und Gläser in einen Schrank unter der Spüle einräumte. »Fassen wir mal zusammen, was wir bis jetzt wissen.«

      Schneider schlug seinen Block auf und studierte seine fast unleserlichen Zeilen. »Der Tote heißt Andreas Weyler, ist 55 Jahre alt, geboren in Bonn, aufgewachsen in Bonn, Studium der Betriebswirtschaft in Bo—«

      »Erzähl doch mal die wichtigen Dinge«, sagte Krüger. »Geld, Familie, du weißt schon, was.«

      »Viel Geld, keine Familie.« Schneider grinste freundlich. »Dafür wohnte er mit zwei Studentinnen in einer weißen Gründerzeitvilla um die Ecke.«

      »Eine ménage-à-trois?« Krüger war ehrlich erstaunt. Und ein bißchen neidisch. Zwei Studentinnen, lange Beine, kurze Röcke … Dann riß er sich zusammen. Etwas Besseres als Carmen konnte ihm nicht mehr passieren. Er schalt sich einen dummen alten Mann und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Freund zu.

      »Glaube ich nicht. Die beiden Frauen bewohnen das Dachgeschoß, was Weyler wohl nur deswegen vermietet hatte, damit das Haus nicht leer stand, wenn er auf einer seiner vielen Reisen war.«

      »Oder weil er der Studentenschaft bei der angespannten Wohnungssituation in unserer Stadt etwas Gutes tun wollte. Denk an den erhöhten Lohn des Praktikanten.«

      Schneider nickte. »Ein Wohltäter. Weiter. Nach den ersten Befragungen scheint es in der Belegschaft kein Motiv für einen Mord an ihrem Chef zu geben. Warum sollten sie auch den Arbeitgeber umbringen?«

      »Langeweile?« Die Bemerkung trug Krüger einen strafenden Blick ein.

      »Etwas anders sieht es in der Nachbarschaft aus«, fuhr der jüngere der beiden Kommissare nach einem Blick auf seine Notizen fort. »Es hat wohl Spannungen im Viertel gegeben, als Weylers Expansionspläne bekannt geworden sind.«

      Krüger horchte auf. »Hier ist doch alles so dicht bebaut, daß bis auf die Gärten nirgendwo mehr Platz für Neubauten ist.«

      »Weyler wollte den Bebauungsplan ändern lassen, um so auf dem kleinen unbebauten Grundstück rechts des seinen an der Königstraße ein weiteres Lager errichten zu lassen. Nötige Änderungen im Stadtrat lassen sich oft durch entsprechende Zuwendungen an unverdächtige städtische Empfänger erreichen, zum Beispiel das Grünflächenamt, damit ein Park wieder hergerichtet werden kann, oder …« Schneider schwieg und überlegte.

      »Das sagst du jetzt so. Hast du Beweise?«

      »Nein, aber so läuft es doch. Jedenfalls sind eine ganze Menge Leute richtig sauer, daß die Bebauungsplanänderung auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Stadtrats steht.«

      Krüger überlegte. »Wenn der Urheber des Ärgers also nicht mehr da ist …«

      »Bleibt alles, wie es ist.«

      »Ein schönes Mordmotiv. Wer kümmert sich also um den Stadtrat?«

      »Da reicht ein Interview mit einem der eingeweihteren Journalisten vom General-Anzeiger. Am besten fragen wir den amerikanischen Araber aus der Redaktion, Imad Torqua. Der heißt wirklich so. Er stammt aus Pennsylvanien, ist aber nach dem Studium hier hängengeblieben.«

      Die Inhaberin kam erneut an den Tisch und stellte sich vor Krüger auf. Da er saß, befanden sich seine Augen in Höhe ihres ansehnlichen Busens. Er beugte sich wieder über seine Notizen und sagte von unten: »Danke, aber momentan brauchen wir nichts.«

      »Eine kleine Stärkung? Die Küche hat gerade eine Quiche gebacken; ich kann Ihnen gerne ein Stück bringen. Eine Aufmerksamkeit des Hauses.«

      Krüger schüttelte den Kopf, ohne wieder nach oben zu sehen. »Wirklich. Sehr nett. Aber: nein.«

      Im Weggehen erhielt Schneider noch einen fragenden Blick der Frau, den er nicht deuten konnte. »Mann, die hat es ja auf dich abgesehen. Dabei bist du doch schon über fünfzig und sie noch nicht.«

      »Reife Männer sind eben angesehen und ansehnlich«, sagte Krüger sinnierend und dachte an Carmen, die acht Jahre jünger war. Er war glücklich und brauchte keinerlei Zerstreuung. Abrupt fuhr er fort: »Und außerdem machen wir eine Haus-zu-Haus-Befragung in der Südstadt, oder?«

      »Wir nicht. Habe ich aber schon veranlaßt. Derenthal und Roselski sind bereits unterwegs.« Schneider gluckste. »Wenn ich mir die beiden an den Haustüren vorstelle …«

      Krüger sah ihn strafend an. »Du hättest mich ruhig vorab informieren können. Dann hätte ich—«

      »Dasselbe getan, oder?«

       Dolci

      Bonn, April 2019. Die ausgestellten Wurst- und Käsesorten in der gläsernen Verkaufstheke waren so appetitlich hergerichtet, daß ein Kunde gar nicht umhin konnte, einiges davon zu kaufen. Salvatore Contadino stand neben der Kasse und zählte Geldscheine, die er in der Hand hielt. Etwas unwirsch sah er auf, als Hinnerk sein Geschäft betrat. »Einen Moment noch.« Er ging den Stapel zum zweiten Mal durch. Befriedigt schrieb er schließlich eine Zahl auf ein Stück Papier und steckte die Banknoten ein.

      »Kleiner Nebenverdienst?« fragte der Hüne freundlich.

      Contadino überhörte Beleidigungen grundsätzlich, denn wenn man auf sie einging, gab es nur Ärger, und letztlich zog man den Kürzeren. Vor allem, wenn das Gegenüber so groß war wie der aktuelle Besucher seines Geschäfts. »Sie wünschen?« Sein italienischer Akzent hatte sich in den Jahrzehnten, die er inzwischen in Bonn verbracht hatte, fast völlig abgeschliffen.

      »Dolci.« Hinnerk zeigte auf verschiedene kleine Stapel mit Bonbons, von denen ein jedes in buntes Papier eingeschlagen war. »Zweihundertfünfzig Gramm. Gemischt.«

      Der Italiener schöpfte mit beiden Händen Bonbons ab und legte sie in die Schale einer alten Waage, die bei »238« stehenblieb. Er warf einen prüfenden Blick auf den Hünen und legte zwei Bonbons dazu. »Zweihundertvierundsechzig«, sagte er. »Einverstanden?«

      Hinnerk antwortete nicht, sondern senkte den Kopf nur leicht.

      Contadino ließ die Bonbons aus der Waagschale in eine weiße Papiertüte gleiten, faltete diese vorsichtig oben zusammen und schlug die beiden Ecken nach hinten um. »Sonst noch etwas?«

      »Zwei Scheiben von dem San-Daniele-Schinken. Und ein Brötchen dazu, aufgeschnitten.«

      Mit geübten Griffen legte der Italiener die Keule auf die Maschine und schnitt das Gewünschte ab.

      Hinnerk wartete, bis alles eingepackt war, dann sagte er: »Übrigens, ich zahle heute nicht.«

      Contadino sah ihn irritiert an. »Non capisco

      Der Hüne wechselte mühelos ins Italienische. »Du schuldest meinem Auftraggeber siebzigtausend Euro.«

      Contadino wurde blaß. Er wußte sofort, worum es ging. »Aber ich habe doch schon mehrfach gesagt, daß ich das Geld zur Zeit nicht—«

      »Und mein Auftraggeber hat schon mehrfach mitgeteilt, daß er mit seiner Geduld am Ende ist.« Hinnerk sah durch die Schaufenster nach draußen. Niemand zu sehen. Nur der übliche bewegliche Verkehr: Zwei Fahrradfahrer fuhren Richtung Bahnhof; sie hatten Kopfhörer auf und bekamen von ihrer Umgebung nur das Notwendigste mit. Ein Taxi hielt kurz, ließ einen Fahrgast aussteigen und verschwand dann in der Straße gegenüber. Ein Bus kam gemächlich um die Ecke und schwankte in der Kurve leicht. Befriedigt wandte sich Hinnerk wieder Contadino zu und fixierte ihn.

      »Wir können doch über alles reden, oder?« fragte der Ladenbesitzer und wand sich. »Für den Sommer habe ich inzwischen vierundzwanzig größere Cateringaufträge und—«

      »Können