Hansen. Paul Schaffrath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Schaffrath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783870623272
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Leine gehalten wurde und immer wieder alleine unterwegs sein konnte oder im Wohnzimmer seinen Lieblingswhisky trinken durfte. Wobei er nicht Brief und Siegel für das liederliche Zusammenleben ohne Trauschein mit Carmen benötigte. Andererseits … Vielleicht sollte doch einmal er über einen Antrag nachdenken, ehe sie die Zeichen der Zeit erkannte und ihn entweder vor die Tür setzte – bei den modernen Frauen von heute wußte man ja nie – oder ihm ihrerseits mit einem eigenen Antrag zuvorkam. Und das paßte ja nun gar nicht, fand Krüger. Anträge waren etwas für wahre Männer, die sich trauten, sich trauen zu lassen.

      Als er gerade zu seiner zweiten Tasse Kaffee greifen wollte, klingelte es an der Haustür Sturm. »Jaja«, sagte der Kommissar. »Immer sutje; ich komme ja.«

      Ein zweites Sturmklingeln folgte.

      Krüger ging zur Tür und öffnete. Etwas verständnislos studierte er das rote Gesicht von Dieter Derenthal, der nach Luft japste. »Wollen Sie nicht hereinkommen? Sie sehen ja völlig erledigt aus; dabei hat der Tag erst angefangen.«

      »Sie … müssen … sofort … kommen«, stieß der dicke Polizist hervor.

      »Ich muß gar nichts«, sagte Krüger etwas schärfer als beabsichtigt.

      »Doch.« Derenthal holte tief Luft. »Drüben, in der Kaffeerösterei.« Er schwieg und schien den Faden verloren zu haben.

      »So«, sagte der Kommissar, »jetzt kommen Sie doch erst einmal herein, setzen sich und trinken ein Glas Wasser. Dann sehen wir weiter. In Ihrem jetzigen Zustand kann man ja gar nichts verstehen.« Er bugsierte Derenthal in die Küche, nötigte ihn auf einen Stuhl und ließ eiskaltes Wasser in ein Glas laufen. »Austrinken!«

      Mit sinnvollen Befehlen war Derenthal schon immer gut klargekommen; dann mußte er nämlich nicht selbst denken. Er kam Krügers Aufforderung nach und leerte das Gefäß in einem Zug. Dann wischte er sich den Mund ab und sagte: »Tut mir leid, aber Aufregung – und gleichzeitig Sport – ist nichts mehr für mich.«

      Krüger unterdrückte ein Grinsen. »Ihr Kollege hätte doch auch kommen können, oder?«

      »Der hat schon die Spurensicherung verständigt und mit Ihrem Chef telefoniert.«

      »Was ist denn eigentlich los?«

      »Der Besitzer der Kaffeefirma ›Wwe. Arntz’ Feine Kaffeebohnen‹ ist erschossen worden.«

      Carmen hörte aufmerksam zu und fragte dann: »Und wo soll ich jetzt meinen Kaffee kaufen?«

       Zwei Meisterschüsse

      Bonn, April 2019. Krüger trank seinen Kaffee im Stehen aus. Beeilen mußte er sich nicht wirklich, da der Tote tot war und Derenthal nichts von Verdächtigen, die möglicherweise noch in der Nähe herumlungerten, gesagt hatte. Zusammen mit dem dicken Polizisten ging der Kommissar das kurze Stück am Poppelsdorfer Weiher entlang, überquerte die Kreuzung von Königstraße und Venusbergweg, passierte das »Bistrot Sud«, in dem er vor neun Jahren, als der Laden noch »Rietbrocks Weinhaus« hieß, den ersten Abend mit Carmen verbracht hatte, und betrat schließlich das Gelände der Kaffeerösterei. Er konnte nur einen kurzen Blick auf die schöne Gründerzeitfassade werfen, die mit ihren Spitzbogenfenstern eher an eine neugotische Kirche denn an eine Firma erinnerte, weil er sofort von Roselski in Beschlag genommen wurde.

      »Es sieht übel aus«, sagte der Streifenpolizist.

      »Geht es etwas genauer?«

      »Na ja, der Tote. Und so.« Roselski verstummte. Er fühlte sich immer unsicher, wenn die Hierarchie in der Nähe war.

      Krüger beschloß, sich selbst ein Bild zu verschaffen. »Führen Sie mich bitte zum Leichenfundort.«

      Daß die Leute immer die Terminologie der Lehrbücher verwendeten, dachte Roselski. Andererseits – Tatort klang nach Sonntagabendfernsehen. Wahrscheinlich hatte der Kommissar mit seiner nüchternen Sprache recht. Gehorsam marschierte er vorweg und dirigierte Krüger durch ein im Originalzustand belassenes Kontor aus dem neunzehnten Jahrhundert – samt erhöhtem Podest für den Oberbuchhalter – und durch die Rösterei mit ihren großen Maschinen, die glänzten, als ob sie erst gestern montiert worden waren, bis zu einer kleineren Lagerhalle mit ihren Jutesäkken und einer hölzernen Lastenkarre.

      Der Kommissar kam sich vor, als ob er in einem Industriemuseum gelandet wäre. Aber »Wwe. Arntz’ Feine Kaffeebohnen«, eine Institution in der Südstadt seit 1837, die mehr oder minder unbeschadet zwei Weltkriege überstanden hatte, war höchst lebendig und bei den Bonnern, aber auch weit darüber hinaus, in ganz Deutschland, beliebt, der Kaffee hervorragend und die Preise fair. Auch er schätzte den Kaffee, den Carmen immer mal wieder im Werksverkauf erstand.

      Also kein Museum.

      Krüger schnupperte. Feinkostläden hatten es ihm schon immer angetan, und Kaffeeläden ganz besonders. Sie dufteten nämlich vielversprechend, anders als Teeläden, in denen man den Geruch des Tees erst wahrnahm, wenn man seine Nase tief in eine Dose mit den getrockneten, geschroteten Blättern steckte. Schon im Kontor roch es hier nach Kaffeeröstung: ein leichter Hauch von gebrannten Mandeln, ein oder zwei versehentlich zu schwarz getoastete Kaffeebohnen, heißer Zucker und die tatsächlich noch per Dampf betriebenen Maschinen. Und heißes Öl. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.

      Vor der abgesperrten Halle warteten einige Angestellte gespannt darauf, wie es weiterging. Roselski zeigte auf den Praktikanten. »Der junge Mann ist der Meinung, daß der Tote schon seit gestern Abend, äh, tot ist.« Er wartete auf eine Reaktion seines Vorgesetzten.

      Krüger aber nickte nur und näherte sich der Leiche.

      Andreas Weyler war, wohl durch den Schuß bedingt, auf den Rücken gestürzt. Das Einschußloch befand sich in der linken Schläfe; die rechte Kopfhälfte war praktisch nicht mehr vorhanden, wie Krüger sah, als er sich vorsichtig über den Toten beugte. Wahrscheinlich hatte der Täter seine Patronen an der Spitze aufgebohrt, damit die Verletzung größer war. Wie hatte es im Handbuch für Waffenkunde geheißen? »Beim Einschlag in das Ziel pilzt die Geschoßspitze auf und zerlegt sich teilweise; dadurch wird die Energie sehr schnell abgegeben, und die Gefahr des Durchschlags durch das Zielmedium besteht nicht mehr.« Effiziente Arbeit, dachte er. Sieht nach einem Profi aus. Möglicherweise.

      Am Tor entstand Unruhe, und Krüger drehte sich um.

      »Wenn Sie mich bitte durchlassen wollen, damit ich meine Arbeit tun kann, oder?« Seine sonore Stimme verschaffte Professor Altendorf augenblicklich freie Bahn. Er bückte sich leicht, um unter dem Absperrband hindurchzutreten, und kam auf den Kommissar zu. »Herr Kriminalhauptkommissar, wie nett, Sie bei der Arbeit anzutreffen. Oder?«

      Krüger war sich nie sicher, wieweit die Sätze des Bonner Rechtsmediziners reine Ironie waren. »Ganz meinerseits«, sagte er daher vorsichtig. »Sie kommen sogar persönlich!« Das war jetzt wieder stilistisch völlig mißglückt. Unpersönlich konnte man ja nicht kommen, außer vielleicht über Skype.

      Altendorf überhörte Krügers Lapsus. »Es ist immer gut, regelmäßig selbst an der Verbrecherfront aufzutauchen, sonst verliert man den Bezug zur Realität.« Er trat an den Toten heran. »Hat schon jemand Bilder gemacht?« Er sah sich fragend um.

      »Ich«, sagte der Praktikant, der, von der Hofseite kommend, unversehens hinter Krüger aufgetaucht war. Er hielt dem Kommissar sein Handy hin.

      »Das geht ja nun gar nicht.« Krüger war wütend. »Und schon alles in die unsozialen Netzwerke hochgeladen, oder?«

      Der Praktikant schüttelte den Kopf. »Dort treibe ich mich nicht herum. Facebook ist nur noch etwas für über Sechzigjährige«, er warf Krüger einen prüfenden Blick zu, »Instagram etwas für Kindergartenmütter, die die schönsten Kuchenbilder teilen wollen, Snapchat verstehe ich nicht, und Twitter … Wenn selbst die amerikanische Präsid-Ente dort ihren Müll absondert, ist das für mich ein Grund mehr, das Programm nicht zu benutzen.« Er zeigte auf sein Mobiltelefon.