Hansen. Paul Schaffrath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Schaffrath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783870623272
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spät am Nachmittag mit ihrer Ware ankamen, wenn die Buchhaltung schon Feierabend hat.«

      Schneider machte sich Notizen.

      Krüger nickte und versuchte, alles zu behalten, was ihm in den letzten Jahren eigentlich immer gut gelungen war. Nur in jüngster Vergangenheit ließ ihn manchmal sein Gedächtnis im Stich. Vielleicht mußte er einfach mehr Vitamine essen, wozu ihn Carmen immer nötigte. Broccoli und so. Dabei reichte ihm eigentlich immer Gemüse in flüssiger Form. Whisky nämlich. Der wurde doch aus Getreide hergestellt, oder? Oder war Getreide kein Gemüse? Komisch, wie sich Gedanken ineinander verhaken konnten und man auf das, worauf man hinauswollte, nicht mehr—

      »He!« Schneider stupste ihn an. »Du schläfst. Hör doch mal zu.«

      Auf seine alten Tage konnte Krüger immer noch rot werden. »Sir«, sagte er daher nur kurz.

      »Und teure Urlaube«, referierte Schmücker gerade. »Wenn man das alles zusammenrechnet, guckt, wie oft Kaffee angeliefert und wie oft er, in welcher Form auch immer, wieder verkauft worden ist – dann kann die Firma gar nicht so viel abgeworfen haben, wie Weyler ausgegeben hat.«

      Krüger betrachtete den Praktikanten nachdenklich. »Und was meinen Sie, woher …?« Den Rest des Satzes ließ er unausgesprochen, was schon oft beim Gegenüber zu einem verstärkten Mitteilungsbedürfnis geführt hatte.

      »Eine Erbschaft, glaube ich. Weyler erwähnte mal etwas von einer reichen Tante in Bremen. Oder war es Hamburg?« Er kratzte sich am Kopf. »Kann auch Lübeck gewesen sein. Irgendwo im Norden jedenfalls.«

      »Rostock«, mutmaßte Schneider. »Gibt’s noch mehr Hansestädte?«

      »Buxtehude«, sagte der Praktikant.

      »Echt jetzt?« fragte Schneider.

      »Hab ich mal gelesen.« Schmücker sah ihn triumphierend an. »In der Encyclopædia britannica

      »Die haben Sie durchgelesen?« Schneider sah ihn bewundernd an.

      »Könntet ihr mal aufhören?« Krüger hatte sein Dienstgesicht aufgesetzt, wie Schneider es nannte: zusammengezogene Augenbrauen, zwei senkrechte Striche auf der Stirn und heruntergezogene Mundwinkel. Besser, man stoppte dann sofort etwelchen Unsinn.

      Der Praktikant hatte sowohl Krügers Miene als auch Schneiders Reaktion darauf mitbekommen. Leise sagte er: »Tut mir leid. Es stand bei Wikipedia.«

      Schneider lachte.

      Krüger behielt seinen ernsten Gesichtsausdruck bei und sagte: »Wahrscheinlich wissen wir morgen mehr. Falls Kauls neuer Computer funktioniert.«

      Harald Kaul war der IT-Nerd im Polizeipräsidium. Er bekam immer alles heraus, ohne sich auch nur einen Zentimeter von seinem Bildschirm wegbewegen zu müssen. Darknet, Internet, Tor – alles stand seiner Fingerfertigkeit zu Diensten. Seit dem Fall der toten Professoren vor einigen Jahren hieß er bei seinen Kollegen Harry Cool, was ursprünglich nur der falschen Aussprache eines bei den damaligen Ermittlungen beteiligten Detective aus Oxford zu verdanken war.

      »Okay«, sagte Schmücker und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die nicht ganz preiswert aussah. »’tschuldigung, aber ich muß weg. Vorlesung. Die Buchhaltung hat meine Kontaktdaten.« Früher hatte man eine Adresse, dachte Krüger. Das klang irgendwie ortsbezogener; heute war man nur noch digital aufzufinden.

      »Hast du seine teure Uhr gesehen?« fragte Schneider. »Sah nach einer Patek Philippe aus. Woher er dafür wohl den Schotter hatte?«

      Hinnerk studierte die zusammengeschraubte Eisentreppe zur Unterführung unter dem alten Bahnhof und fragte sich, wie um alles in der Welt man dieses gefährliche Provisorium überhaupt in Betrieb hatte nehmen können. In Hamburg gab es vernünftige Fußgängertunnels mit Betonstufen und Rolltreppen, aber hier in der Provinz? Genauso unverständlich war ihm die gerade entstehende neue Bebauung, die den Blick auf den wirklich hübschen Backsteinbahnhof verstellte, aus Blöcken bestand und einfach nur brutal aussah. Na ja, Altona war auch nicht viel besser; dort hatte man auf dem jüdischen Friedhof neben dem Bahnhof ein Kaufhaus errichtet. Stadtväter waren eben überall gleich.

      Unten hatte man sich mehr Mühe gegeben; zumindest war die neue Ladenpassage schön hell, wenn auch noch einige Schaufenster mit Brettern vernagelt waren. Hinnerk war froh, als er auf der anderen Seite wieder ans Tageslicht kam; er konnte sich nicht vorstellen, sein Leben als Maulwurf zu verbringen, selbst wenn er damit seinen Lebensunterhalt verdiente. Da war ihm sein Beruf schon lieber. Manchmal hatte er überlegt, was er wohl auf eine Visitenkarte als Berufsangabe drucken lassen würde. Private Investigations klang nach Polizist im Ruhestand, fiel also aus. Außerdem unternahm er ja mehr, als nur zu ermitteln. Seine jeweilige Arbeit brachte er immer zu einem Abschluß. Wir beenden, was Sie angefangen haben kam auch nicht in Frage; das war ein Claim, kein Beruf. Termingeschäfte aller Art traf es wohl am besten. Vor allem steckte dort auch das Wort terminieren drin, allerdings so subtil, daß es nur ein Eingeweihter verstehen würde. Hinnerk grinste, während er einer Frau mit Kinderwagen auswich, die auf den gläsernen Fahrstuhl auf dem Bürgersteig zusteuerte, der nach unten zum U-Bahn-Schacht führte.

      Gegenüber betraten gerade zwei Malergesellen das »Salönchen«, eine der zahllosen Kneipen, die man in allen Städten in Bahnhofsnähe antraf, wie Hinnerk fand. Der Alkoholpegel der Männer mußte wohl aufgefüllt werden, damit ihnen das Streichen der wenige Meter entfernten, eingerüsteten Fassade leichter fiel. Der Hüne schüttelte den Kopf. Alkohol gerne, manchmal auch ein Bier, in Hamburg natürlich außerdem der Hamburger Kümmel, aber nie vor oder während der Arbeit. Er benötigte eine ruhige Hand. Immer.

      Die Schaufenster des Feinkostladens von Contadino an der Ecke zur Meckenheimer Allee waren gut gefüllt. Das Geschäft besaß drei Fenster mit Auslagen, die das Sortiment appetitlich aufbereitet anboten: Öl und Essig in allen Varianten und Preisklassen, Wurst, Käse, Nudeln – was immer aus der italienischen Küche der Käufer zum Leben benötigte. Hinnerk war der Meinung, daß wahres Essen nur südlich der Alpen zu bekommen war. Allerdings hatte er über die Jahre sein Herz durchaus für den Hamburger Labskaus erwärmen können. Im Norden war doch nicht alles schlecht. Und das Meeresgetier natürlich, das es in den diversen Fischbratküchen zu Hause gab.

      Er stieß die Tür auf. Die geladene Pistole mit Schalldämpfer steckte in der rechten Jackentasche; seine Hand hielt sie fest, der Finger lag am Abzug.

      Krüger hatte sein mobiles Hauptquartier ins »Lammé-Goedzak« verlegt. Der kleine Fußweg vom Tatort bis zur Ecke an der Argelanderstraße, an der das Restaurant lag, hatte ihm gut getan, wenn er auch etwas außer Atem angekommen war. Fit war etwas anderes, aber sobald man über vierzig war, mußte man sowieso mit allzu abrupten Bewegungen und sportlichen Exzessen aufpassen, wie er fand.

      Die freundliche Inhaberin, die gerade selbst die Tische eindeckte, kannte den Kommissar und bot ihm einen Platz an, obwohl das Restaurant erst demnächst öffnen würde. »Setzen Sie sich mal an den großen Tisch, falls Sie noch Zeugen befragen wollen.« Ein mißglücktes Zwinkern folgte. »Sie sind ja schon zu zweit. Dann hat ja jeder nur die halbe Arbeit.«

      Schneider verdrehte die Augen und folgte seinem Freund nach drinnen.

      »Kaffee, die Herren?«

      Krüger nickte. Nachdem er Platz genommen hatte, holte er sein kleines Moleskine-Notizbuch hervor und schlug es auf. Sorgfältig setzte er mit dem Füller in seiner kleinen Schrift den Titel auf eine neue Seite. Mordkommission Anden entzifferte Schneider, der dem Kriminalhauptkommissar gegenüber saß.

      »Die sind wieder bei A«, sagte Krüger. »Hat Kaul vorhin gesagt. Er wollte nachher anrufen, um mich über seine Fundstücke im Internet zu informieren.«

      »Anden und Kaffee paßt ja.« Schneider betrachtete gedankenverloren den großen, zu einer Blumenvase umfunktionierten Aschenbecher. »Die besten Dinge des Lebens verschwinden nach und nach.«

      »Als nächstes ist wahrscheinlich der Alkohol dran.«

      »Stimmt; einen Gemüsedrink können Sie bei uns schon bekommen«, sagte die Inhaberin, die den letzten Satz gehört hatte