Hansen. Paul Schaffrath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Schaffrath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783870623272
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      Fast tat er Hinnerk leid. Aber Mitgefühl hatte er sich nach seinem ersten Mord abtrainiert. Es störte nur im richtigen Leben. Und in seinem Beruf.

      »Ich könnte doch eine Anzahlung leisten, die Sie dann mitnehmen.« Der Italiener war wieder ins Deutsche gewechselt, was ihm etwas leichter fiel. Er sah den Hünen bittend an.

      »Wieviel denn?« Hinnerk sammelte immer Informationen. Etwas zu wissen, war nie verkehrt. Mal sehen, wieviel dem Mann sein Leben wert war.

      »Zweitausend.«

      »Lire?« Er konnte auch sarkastisch sein. »Oder doch Euro?«

      »Bitte. Ich verspreche auch—«

      »Nichts mehr.« Hinnerk zog die Pistole aus der Tasche und schoß zweimal. Die Schüsse folgten so schnell auf einander, daß Contadino, der sofort tot war, erst danach umkippte. Der Schütze lief um die Theke herum, zog das Geldbündel aus der Kitteltasche des Ermordeten, verstreute ein paar Scheine in der Theke, steckte den Rest ein und zog das Schlüsselbund von der Eingangstür ab. Dann drehte er das Schild hinter dem Türfenster auf Geschlossen / Chiuso und verließ den Laden, nicht ohne noch die Bonbons und den Schinken an sich genommen zu haben. Draußen schloß er ab und legte den Schlüsselbund auf den grauen Kasten der Telekom neben dem Geschäft. Zügig marschierte er die Quantiusstraße zurück zum Hauptbahnhof.

      Derenthal wischte sich den Schweiß von der Stirn. Egal, ob es heiß war oder noch so kühl wie jetzt im April, er schwitzte immer.

      »Du mußt bloß abnehmen«, sagte Roselski, der frisch und munter neben ihm ausschritt.

      »Hör du bloß auf.« Derenthal zeigte anklagend auf ein kleines Bäuchlein, das sich unter Roselskis Poloshirt abzeichnete.

      »Das ist für schlechte Zeiten«, sagte der jüngere der beiden Streifenpolizisten. »Etwas Fett braucht jeder Mann. Sagt jedenfalls mein Physiotherapeut. Ich bin schlank genug.«

      Derenthal schwieg lieber, weil ihm keine sinnvolle Entgegnung auf die Tatsache einfiel, daß sein Kollege anscheinend regelmäßig Sport betrieb.

      Die Häuser in der Königstraße hatten sie bereits abgeklappert, jedenfalls in dem Abschnitt, in dem die Kaffeerösterei lag. Niemand hatte etwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört, das sich zur Tatzeit gestern abend ereignet haben könnte.

      Roselski bog um die Ecke und ging zur Haustür eines der großen gründerzeitlichen Reihenhäuser in der Argelanderstraße. Eigentlich mochte er das Zuckerbäckerwerk der Fassaden, wie Krüger es mal genannt hatte, nicht besonders. Ihm waren zu viele Spielereien dran: Balkons, die vorne eine Reihe Säulen aufwiesen, statt normal hochgemauert zu sein, kleinteilige Fenster mit zig Längs- und Querstreben, Köpfe griechischer Helden als Schmuck, Blumenmuster und so weiter. Und stets waren die Fassaden bunt gestrichen. Rolselski schätzte eine einfache, glatte Häuserwand in Weiß entschieden mehr. Er klingelte.

      Sein dicker Kollege trat schnaufend neben ihn. Er pfiff lautstark Dave Edmunds’ I hear you knocking, was es nicht ganz traf.

      Nichts tat sich. Roselski sah auf seine Armbanduhr, wartete exakt eine Minute und klingelte erneut.

      Schließlich öffnete eine alte Frau und sah die beiden Polizisten fragend an. »Was wollen Sie? Ich hab doch schon vor Weihnachten gespendet. Oder war das vor Nikolaus gewesen?« Sie fixierte über die Köpfe der beiden hinweg eine Stelle auf der anderen Straßenseite.

      »Wir sind von der Polizei, gnädige Frau«, sagte Roselski.

      Wer sagte denn heutzutage noch gnädige Frau, fragte sich Derenthal. Nur weil der Kollege das vor Jahren mal gelernt hatte, war es heute doch nicht mehr unbedingt richtig. Hallo hätte doch vollkommen gereicht.

      »Das ist natürlich etwas anderes«, sagte die Anwohnerin, als klar war, daß kein Geld von ihr erwartet wurde. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«

      »Nein«, sagte Roselski. »Wir müssen nämlich noch wei—«

      »Ja«, unterbrach ihn Derenthal, der auf einen Stuhl und eine Verschnaufpause spekulierte.

      »Treten Sie bitte ein.« Sie drehte sich um und ging durch einen kleinen Flur in ein der Haustür gegenüberliegendes großes Wohnzimmer, das auf einen kleinen, sehr gepflegten Garten hinausblickte.

      Roselski warf einen Blick auf das Klingelschild, bevor er der Dame folgte. Von Eynatten las er. Derenthal erhielt einen Ellbogenstoß in die Seite, um auch den Namen zu lesen.

      »Kaffee?« Frau von Eynatten machte keine großen Worte.

      »Gerne«, antwortete Roselski für beide.

      Derenthal war so beeindruckt vom Interieur, daß er gar nichts zu sagen wagte. Es sah aus wie in einem teuren Antiquitätenladen oder wie in jeder Adelswohnung: Ein altes Biedermeiersofa stand mit dem Rücken zur Tür, ihm gegenüber zwei Sessel mit gleichem Blumenmusterbezug. An der Wand hingen drei großformatige Ölgemälde, die Herren in Uniform und eine Jagdszene zeigten. Eine andere Wand war mit Bücherregalen vollgestellt, Romane und Bildbände, wie Roselski sah, der nähergetreten war und die Buchrücken las. Außerdem Militärgeschichte.

      Die Dame des Hauses kam mit einem Tablett wieder, auf dem drei Kaffeebecher, eine silberne Zuckerdose und ein ebensolches Milchkännchen standen. Sie stellte alles auf dem Glastisch vor dem Sofa ab und bot den Polizisten einen Platz an. Als alle saßen, fragte sie: »Was kann ich denn für Sie tun?«

      Derenthal verfolgte durch das große Terrassenfenster den Flug einer Taube, die sich schließlich auf einem Gartenstuhl niederließ. Leise pfiff er Creedence Clearwater Revivals Lookin’ Out My Back Door, bis er von seinem Kollegen einen Stups erhielt.

      Roselski sah sich um. »Ein schönes Wohnzimmer haben Sie, Frau von Eynatten.«

      Derenthal war sich nicht sicher, ob die Dame gegenüber, die kerzengrade auf dem Sofa saß, Schleimpunkte verteilte.

      Sie seufzte. »Wenn Sie wüßten, was meiner Familie mal alles gehört hat: Ländereien, Häuser, ein Schloß – alles untergegangen.«

      »War wahrscheinlich ein Wasserschloß«, sagte Derenthal leise mehr zu sich selbst.

      Roselski sagte hastig: »Wir sind hier, weil wir Informationen über Andreas Weyler, den Besitzer der Kaffeerösterei nebenan, benötigen.«

      »Was ist denn passiert? Die Polizeiautos habe ich ja schon bemerkt.«

      Derenthal sagte es ihr.

      »Der arme Mann.« Gedankenverloren nippte Frau von Eynatten an ihrem Kaffee. »Aber ich habe mir schon gedacht, daß es mal kein gutes Ende mit ihm nimmt.«

      »Wie kommen Sie darauf?«

      »Nun, teure Autos, eine bestgekleidete Freundin, die Firma, sein Wohnhaus – das alles kostet Geld. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß die Leute so viel Kaffee trinken, daß er davon leben kann.«

      »Pro Kopf verbraucht der Deutsche fast sechs Kilo Kaffee im Jahr.« Roselski hatte sich mit der Frau von der Buchhaltung unterhalten und eine kleine Broschüre bekommen, die neben der Firmengeschichte auch Statistiken enthielt.

      »Bei dreihunderttausend Einwohnern in Bonn sind das eintausendachthundert Tonnen Kaffee, die Weyler im Jahr verkauft.« Kopfrechnen beherrschte Derenthal, wie alle Vertreter seiner Generation.

      Frau von Eynatten sah ihn strafend an. »Sie können aber nicht die Babys und Kleinkinder mitrechnen.«

      Roselski grinste. »Nun ja, wenn wir die abziehen, bleibt es trotzdem bei dieser Mindestzahl – Weyler wird schon in Gesamtdeutschland Kaffee vertrieben haben und nicht bloß in Bonn.«

      »Wie dem auch sei«, die Dame des Hauses änderte ihre einmal gefaßte Meinung nicht, »ich denke nicht, daß das Geld für seinen Lebensstil gereicht hat. Vielleicht hat er ja einen stillen Teilhaber gehabt.«

      »Wissen Sie mehr darüber?«

      »Nur, daß manchmal ein dunkelblauer BMW mit Hamburger Kennzeichen vor