Luramos - Der letzte Drache. Carina Zacharias. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Zacharias
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960743767
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mehr anhaben konnte. Dort lebt er angeblich bis heute und sinnt auf Rache.“

      Noch einmal schüttelte Ralea den Kopf. „Davon habe ich noch nie etwas gehört. Hältst du die Geschichte für wahr?“

      Er zuckte mit den Schultern. „Nein, ehrlich gesagt nicht. Aber es macht das Ganze etwas spannender, findest du nicht?“

      Ralea stimmte ihm zu. „Und er soll da jetzt seit dreihundert Jahren leben? Warum hat er sich denn nie gezeigt? Nein, wenn das stimmen würde, dann wüssten die Menschen sicher auch etwas davon.“ Sie konnte Tajo förmlich ansehen, wie er sich eine bissige Bemerkung über das Wissen der Menschen verkniff.

      Stattdessen sagte er: „Vermutlich hast du recht.“ Er gähnte einmal tief und herzhaft. „Es ist mittlerweile ziemlich spät. Sollen wir so langsam mal zu Abend essen?“

      Ralea lachte laut auf. Das Wort Abendessen schien hier – mitten im Wald und weit weg von ihrem Dorf – völlig fehl am Platze zu sein. „Na klar“, erwiderte sie spöttisch. „Zur Abwechslung heute mal Pökelfleisch und Brot?“

      Tajo grinste geheimnisvoll. „Da habe ich eine bessere Idee. Warte hier auf mich!“ Und schon sprang er ins Gebüsch und entschwand ihren Blicken.

      „He!“, rief Ralea überrascht. „Was machst du denn?“

      „Bin gleich wieder da!“, rief er zurück. „Kannst ja schon mal Feuer machen!“ Seine Stimme schien schon ein Stück entfernt zu sein.

      Verdattert hockte Ralea sich auf eine dicke Wurzel, die ein Stück aus der Erde ragte, und setzte ihren Beutel ab. Was für eine Wohltat, ihn nicht mehr auf dem Rücken tragen zu müssen! Trotzdem fühlte sie sich nicht wohl. Sie hatte sich so sehr an Tajos Anwesenheit und seine muntere Stimme gewöhnt, dass der Wald ihr ohne ihn auf einmal schrecklich still und leer vorkam. Wie von selbst wanderte ihre Hand unter ihr Hemd und schloss sich fest um den Elfenstein. „Stell dich nicht so an“, ermahnte sie sich selbst. Sie zwang sich, nicht zu sehr auf die Schatten zu achten, welche die Büsche und Bäume auf den Waldboden warfen, und begann, ein paar Stöcke und Äste zu sammeln. Diese schichtete sie dann so auf, wie sie es bei Tajo gesehen hatte. Mit den Feuersteinen einen Funken zu schlagen, bereitete ihr mehr Probleme, doch schließlich gelang es ihr. Der Anblick der Flammen, die an dem Holz leckten, erfüllte sie mit leisem Stolz. Das Knistern und die Wärme des Feuers beruhigten sie und sie entspannte sich etwas. Trotzdem hoffte sie, dass Tajo bald zurückkommen würde.

      Sie musste nicht mehr lange warten. Kurze Zeit später trat er aus dem Gebüsch, in den Händen einen toten Vogel, dessen Art Ralea völlig unbekannt war.

      Tajo grinste wieder sein breites Grinsen, das Ralea mittlerweile schon bekannt war, und fragte gut gelaunt: „Besser als Brot und getrocknetes Obst?“

      „Allerdings!“, sagte Ralea erfreut. Sie wunderte sich schon gar nicht mehr darüber, dass sie ihn nicht hatte kommen hören. Er konnte sich fast völlig geräuschlos durch den Wald bewegen und sah dabei auch sehr viel eleganter aus als Ralea, unter deren Schritte immer wieder Äste knackten oder Blätter raschelten.

      Der Baumling machte sich daran, den Vogel zu rupfen und mithilfe eines kleinen Messers, das er an seinem Gürtel trug, auszunehmen, während Ralea einen Stock suchte, auf den sie ihn später aufspießen konnten.

      Als Tajo fertig war, fragte Ralea: „Ist es eigentlich einfach, mit Pfeil und Bogen umzugehen?“ Sie war fasziniert von dem Gedanken, dass Tajo den Vogel ganz allein gefangen hatte, und kam sich furchtbar dumm vor, als ihr bewusst wurde, dass sie sich nur wieder von ihrem Proviant hätte satt essen können.

      Doch der Baumling antwortete nicht, sondern starrte nur mit ausdruckslosem Gesicht auf den Vogel, den er nun langsam am Spieß über dem Feuer drehte.

      „Tajo?“, fragte Ralea etwas lauter.

      Keine Reaktion.

      „He, Tajo!“ Endlich blickte er sie an und riss die Augen auf, als hätte sie ihn gerade aus dem Schlaf gerissen.

      „Alles in Ordnung bei dir?“ Ralea beobachtete etwas besorgt, wie er sich mit dem Handrücken über die Augen fuhr.

      „Ja, sicher.“

      „Was war denn los?“

      „Ich habe bloß ... zugehört.“

      Ralea wurde nur immer verwirrter. „Zugehört? Aber warum hast du mir dann nicht geantwortet?“ Erst da ging ihr auf, dass er nicht ihr zugehört hatte und sie zog scharf die Luft ein. „Du meinst, du hast den Bäumen zugehört?“

      Er nickte mit düsterer Miene. „Sie scheinen beunruhigt zu sein.“

      Ralea gab sich Mühe, ihre Skepsis nicht zu zeigen. Wenn Tajo sagte, dass er mit den Bäumen reden konnte, dann würde es auch so sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er einen Scherz machte, dazu wirkte er zu ernst. Aber trotzdem war der Gedanke, dass die Bäume ihm gerade etwas erzählt hatten, einfach zu absurd. Sie betrachtete die umstehenden Baumstämme, auf die das Licht des Feuers unstete Schattenspiele zauberte, ganz genau. Fast wartete sie darauf, dass sich ein Astloch bewegen und zu ihr sprechen würde. Doch natürlich tat sich nichts.

      „Beunruhigt?“, fragte Ralea nun an Tajos letzte Bemerkung anknüpfend. „Und weswegen?“

      Der Baumling machte ein düsteres Gesicht. „Es ist merkwürdig“, antwortete er leise. „Ich habe so etwas noch nie erlebt, aber ... sie wollen es mir nicht genau sagen.“

      Ralea schwieg betroffen. Tajo hatte ihr auf ihre vielen neugierigen Fragen hin erzählt, dass sich Bäume und Baumlinge seit jeher unterhalten konnten. Junge Baumlinge mussten es noch nicht mal lernen, sie konnten es von Geburt an. Und da die Bäume sich auch untereinander unterhielten und aufmerksame Beobachter waren, wussten sie quasi alles, was sich in ihrer Reichweite abspielte, und gaben dies an die Baumlinge weiter, denen dadurch ein unerschöpfliches Wissen zuteilwurde. „Der Wald hat mehr Augen und Ohren, als du denkst“, hatte Tajo gesagt. „Die Bäume kriegen alles mit, was hier passiert. Und sie vergessen nie.“

      Tajo schien wieder in Gedanken versunken zu sein. Oder lauschte er wieder auf die Bäume? Ralea wartete noch einen kurzen Moment, doch dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. „Was ist denn nun los?“, fragte sie ihrerseits beunruhigt.

      Tajo sah sie nachdenklich an. Seine ernsten Augen und das flackernde Licht des Feuers, das im dunkler werdenden Wald auf sein Gesicht fiel, verliehen ihm einen fast schon gespenstischen Anblick. „Ich weiß nicht genau“, sagte er langsam. „Aber es scheint irgendwie mit dir zu tun zu haben.“

      Raleas Herz schlug schneller. „Mit mir?“, flüsterte sie ängstlich.

      Er nickte. „Ich glaube, sie wollen es dir erzählen.“

      „Was soll das heißen?“

      „Ich weiß es nicht“, entgegnete Tajo leicht gereizt. „Das wollen sie mir eben nicht sagen!“

      Ralea schlang die Arme um ihren Körper. Ihr war auf einmal kalt, trotz der Wärme des Feuers. War Tajo jetzt etwa sauer auf sie? Er konnte doch wohl nicht ihr die Schuld dafür geben, dass die Bäume ihr etwas sagen wollten, das sie ihm vorenthielten.

      „Und was machen wir jetzt?“, fragte sie vorsichtig.

      Tajo schien seine Gereiztheit auf einmal leidzutun. Ralea hatte schon gemerkt, dass er sich schnell wieder beruhigte, wenn er sich mal aufregte. Sanft sagte er: „Du musst keine Angst haben. Sie wollen dir nichts Böses.“

      „Ich habe keine Angst!“, entgegnete Ralea trotzig und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Wie albern es doch war, sich vor Bäumen zu fürchten! Was konnten die ihr schon tun, selbst wenn sie wollten? Es war bloß diese gruselige Vorstellung, die ihr Unbehagen auslöste. Die Vorstellung, dass die Bäume ein Bewusstsein hatten und sogar mit ihr reden wollten. Ralea löste die Arme und setzte sich aufrechter hin. Der Vogel war nun goldbraun und verströmte einen köstlichen Geruch, doch ihr war der Appetit vergangen. „Kannst du ihnen nicht sagen, dass