Alle Liebe dieser Welt. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718377
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… Ruhe haben. Mit mir selber fertig werden.«

      »Sie fuhren nach Monte Carlo?«

      »Ja. Aber das war nur ein Zufall. Ich hätte genausogut anderswohin fahren können. Ich … ich wollte meinen Mann nie mehr Wiedersehen.«

      »Aber dann kamen Sie doch zurück?«

      »Ja. Mein Mann … und auch mein Vater … riefen mich wieder und wieder an. Mein Vater sagte mir, ich… ich sollte Vernunft annehmen. Mein Mann schwor mir, daß er das Verhältnis gelöst hätte. Ich kam nach München zurück, und … wir versöhnten uns. Ich glaubte meinem Mann, und ich verzieh ihm.«

      »Aber Sie suchten dann doch noch die …«, der Vorsitzende räusperte sich, »… ehemalige Geliebte Ihres Mannes auf?«

      »Ja. Eine Freundin erzählte mir, daß sie meinen Mann … zufällig … am Abend in einem Restaurant mit einer blonden Dame gesehen hätte.«

      »Nach Ihrer Versöhnung?«

      »Ja. Am Abend des achtzehnten September. Am nächsten Morgen erfuhr ich es. Nach der Beschreibung wußte ich, daß es nur diese Annabelle Müller gewesen sein konnte. Deshalb ging ich zu ihr, um sie zu bitten, unsere Ehe nicht länger zu stören.«

      »Wie reagierte Annabelle Müller darauf?«

      »Sie … sie war eigentlich sehr nett. Sie sagte mir, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauchte … daß sie an meinem Mann nicht mehr interessiert sei … daß sie demnächst einen anderen heiraten würde …«

      »Welchen anderen?«

      »Darüber sagte sie nichts. Ich habe auch nicht danach gefragt.«

      »Sie behaupten also, daß diese Aussprache völlig friedlich verlief?«

      »Ja. Das heißt… zuerst war ich natürlich sehr aufgeregt, aber dann … wir haben beide ein Glas Cognac getrunken, dann ging ich wieder.«

      »Um wieviel Uhr war das?«

      »Ich weiß nicht genau. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber ich denke, daß ich nicht ganz eine Stunde dort geblieben bin. Jedenfalls war Fräulein Müller vollkommen gesund, als ich sie verließ. Sie brachte mich noch zur Tür und …« Die Angeklagte unterbrach sich. »Ja, das ist alles. Mehr kann ich darüber nicht sagen.«

      »Standen die Flasche und die Gläser noch auf dem Tisch, als Sie Annabelle Müller verließen?«

      »Ja.«

      »Wieviel Cognac war noch in der Flasche?«

      »Wir hatten beide ein Glas getrunken … das heißt, ich glaube Fräulein Müller zwei …«

      »War die Flasche schon angebrochen, als Fräulein Müller einschenkte?«

      »Das weiß ich nicht so genau. Jedenfalls war sie schon offen … ich meine, ich müßte mich daran erinnern, wenn sie sie in meiner Gegenwart geöffnet hätte.«

      »Das hat sie also demnach nicht getan. Gut.« Der Vorsitzende lehnte sich zurück. »Nein, bitte setzen Sie sich noch nicht, Angeklagte! Der Herr Oberstaatsanwalt wird jetzt einige Fragen an Sie richten … bitte, Herr Oberstaatsanwalt!«

      2

      Um drei Uhr nachmittags war der erste Verhandlungstag im Prozeß Carola Groß zu Ende. Das sehr scharfe Verhör des Oberstaatsanwalts hatte die Aussage der Angeklagten nicht erschüttern können, und auch die Vernehmung durch den Verteidiger erbrachte nichts Neues. Das Gericht hatte ohne Unterbrechung getagt, aber Ellen Krone hatte gar nicht gemerkt, wie die Stunden vergingen.

      Erst als sie aus dem Gerichtsgebäude auf die Straße trat, spürte sie, wie erschöpft und hungrig sie war. Sie hätte gern wenigstens eine Tasse Kaffee getrunken und eine Zigarette geraucht, aber es drängte sie nach Hause zu ihrem Mann.

      Um so größer war ihre Enttäuschung, als sie die kleine Wohnung am Waldfriedhof verlassen vorfand. Sie tröstete sich damit, daß Peter sie sicher noch nicht so früh zurückerwartet hatte.

      Sie mochte nicht allein essen, machte sich nur ein Brot zurecht, goß sich eine Tasse Kaffee auf. Aber ihre innere Unruhe konnte sie nicht besänftigen. Sie brannte darauf, mit jemandem über die Erlebnisse des heutigen Tages zu reden, um sie selber besser verarbeiten zu können.

      Es ging auf fünf Uhr zu, und ihr Mann war immer noch nicht zurück. Schließlich verfiel sie darauf, die Fotos, die Peter aus Karachi mitgebracht hatte, in eines ihrer Alben einzukleben. Sie holte das letzte Album, das sie für ihre Hochzeitsreise angelegt hatte, aus dem Regal. Dabei fiel ein anderes, das Bilder aus der Junggesellenzeit ihres Mannes enthielt, zu Boden und öffnete sich.

      Ellen Krone hob es auf, begann darin zu blättern, lächelte in sich hinein, als sie die Kinderbilder ihres Mannes sah, Fotos, die ihn als halberwachsenen Burschen darstellten, dann Bilder, die ihn fast so zeigten, wie er heute war.

      Zum Schluß kamen ein paar leere Seiten, und auch die blätterte sie durch. Zwischen der letzten und der vorletzten Seite steckte ein gutgelungenes, sehr scharfes Foto, ein Schnappschuß aus einem Nachtlokal.

      Es zeigte Peter Krone neben einem attraktiven Mädchen mit langem blondem Haar, schrägstehenden Augen und hohen Backenknochen. Ellen Krone starrte das Bild an, wollte nicht glauben, was sie sah – die Begleiterin ihres Mannes war niemand anders als Annabelle Müller.

      Es dauerte Minuten, bis sie fähig war, die Bedeutung dieses Fotos zu begreifen. Der Schock war zu groß. Er überflutete sie mit einer Welle eisigen Entsetzens, die jeden Gedanken in ihr auslöschte.

      Unwillkürlich schloß sie die Augen, als könnte sie sich so vor der Wirklichkeit verstecken. Aber als sie sie wieder öffnete, mit der zaghaften und trügerischen Hoffnung, sich getäuscht zu haben, war alles noch viel schlimmer. Die beiden lachenden, unbekümmerten Gesichter schienen noch näher gerückt. Es war Ellen Krone, als stünde in Annabelle Müllers Augen eine spöttische Herausforderung, die ihr, Ellen Krone, galt.

      Sie mußte sich zwingen, diesen Eindruck abzuschütteln – unmöglich hatte Annabelle jemals etwas von ihrer Existenz gewußt. Oder doch?

      Sie begann nachzudenken. Nein, es war unmöglich. Sie hatte ihren Mann einige Wochen vor dem Tod Annabelle Müllers kennengelernt. Sie hatten sich regelmäßig in einer kleinen Gastwirtschaft, dem »Goldenen Eck«, gesehen, in der sie zu Mittag zu essen pflegten. Aber über einen Gruß und ein paar belanglose Worte war ihre Bekanntschaft nicht hinausgegangen. Erst nach Annabelles Tod, Wochen nach Annabelles Tod, waren sie sich nähergekommen, hatte Peter sie zum erstenmal ins Kino eingeladen.

      Ellen Krone versuchte sich krampfhaft zu erinnern. Wie war Peter nach Annabelles Tod gewesen? Bedrückt, niedergeschlagen, nervös – oder ganz wie immer? Sie wußte es nicht, sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, denn sie hatte ihn damals noch nicht sonderlich beachtet, oder vielmehr, sie hatte sich Mühe gegeben, ihn nicht zu beachten, da sie ihm nicht zeigen wollte, wie sehr er ihr gefiel.

      Der Mord an Annabelle Müller war durch alle Zeitungen gegangen. Täglich hatte die Presse neue Einzelheiten gebracht. Hatte Peter eigentlich je mit ihr darüber gesprochen? Nein, das wußte sie genau, er hatte niemals ein Wort darüber verloren.

      Jetzt schien ihr das plötzlich sonderbar, da doch alle Welt davon gesprochen hatte. Wenn er ein gutes Gewissen hatte, dann hätte er ihr schon damals sagen müssen, daß er Annabelle gekannt hatte.

      Ellen Krone konnte ihre Augen nicht von dem Foto wenden. Er mußte mit ihr befreundet gewesen sein. Das bewies die besitzergreifende Art, mit der er seinen Arm um ihre Schulter gelegt hatte.

      Vielleicht hatte er geglaubt, sie würde eifersüchtig werden, wenn sie von dieser Beziehung erfuhr, versuchte sie sich einzureden. Aber jetzt arbeitete ihr Verstand unerbittlich, ließ sich nicht einlullen. Eifersüchtig auf eine Tote? Nein, das war unsinnig, für so kindisch konnte er sie nicht halten.

      Außerdem – sie selber hatte ihm offen von ihrer Vergangenheit erzählt. Es hatte Männer in ihrem Leben gegeben, bevor