Alle Liebe dieser Welt. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718377
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sie, »ich bin ja so froh, daß wir uns ausgesprochen haben! Du mußt mir immer sagen, wenn dir etwas an mir nicht paßt, ja? Ich habe mir so fest vorgenommen, dich glücklich zu machen …«

      Er bedeckte ihren Hals, ihren Nacken mit heißen Küssen, hielt sie fest, fast schmerzhaft umfangen. »Du bist ein Engel, Ellen … und ich könnte nicht ertragen, daß du in solchen Schmutz hineingezogen wirst … daß du überhaupt damit in Berührung kommst! Verstehst du das? Ich will dich doch beschützen! Sag mir, daß du mich verstehst!«

      »Ja«, hauchte sie.

      Und dann sprachen sie lange Zeit nichts mehr. Alles versank um sie, der graue Alltag, der bevorstehende Prozeß, das Schicksal der Angeklagten, es gab nur noch zwei Menschen auf der Welt: sie und ihn.

      Landgerichtsrat Dr. Mergentheimer hatte sich gerade wieder einmal in die Akten zum Mordprozeß Carola Groß vertieft, als ein Justizangestellter in seinem Arbeitszimmer im Landgericht erschien und ihm Ellen Krone meldete.

      »Die Dame ist Geschworene im morgigen Prozeß«, erklärte der Mann.

      »Na und? Was will sie dann heute schon hier? Dann soll sie doch morgen kommen!«

      »Soviel ich verstanden habe, möchte sie ablehnen!«

      »Das ist der Dame aber reichlich spät eingefallen! Na schön, lassen Sie sie hereinkommen!«

      Beim Anblick Ellen Krones, die gleich darauf ein wenig zaghaft in den kleinen, nüchternen Raum trat, verflog der Unwille des Landgerichtsrates augenblicklich. Er nahm seine Brille ab und betrachtete die junge Frau voller Wohlwollen.

      Ellen Krone sah in ihrem leuchtend blauen Winterkostüm mit dem schwarzen Persianerkragen reizend aus, ein Lichtblick in der sachlichen Atmosphäre des Landgerichts. Der Anblick ihres schmalen, sehr aparten Gesichtes tat dem alten Herrn wohl.

      »Bitte«, sagte er, »nehmen Sie Platz! Wie war der Name?«

      »Ellen Krone …« Sie setzte sich, stellte die langen schlanken Beine brav nebeneinander und zog, als sie den Blick des Landgerichtsrates bemerkte, den Rock tiefer über die Knie. Verstohlen musterte sie den schweren Mann hinter seinem Schreibtisch, dem das schneeweiße, glänzende Haar und das runde Gesicht eine Milde verliehen, die in krassem Gegensatz zu seinen klugen, durchdringenden Augen stand.

      »Und ich bin Landgerichtsrat Mergentheimer, Vorsitzender im morgigen Schwurgerichtsprozeß … aber das wissen Sie sicher schon, wie?«

      »Ja. Gerade deshalb wende ich mich an Sie! Herr …« Sie suchte nach der passenden Anrede. »Herr Vorsitzender, ich … ich möchte Sie bitten, mich von meinem Amt zu entheben, es sind unvorhergesehene Umstände eingetreten, die …« Sie stockte, als sie spürte, daß sie sich mit ihrem langen Satz verheddern würde.

      Landgerichtsrat Mergentheimer lehnte sich im Sessel zurück und sagte ermunternd: »Na, dann erzählen Sie mal, was Sie auf dem Herzen haben!«

      Er ließ sie reden, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen, aber gerade die Tatsache, daß der erwartete Widerspruch ausblieb, irritierte sie. Sie spürte selber, daß die Gründe, die sie vorbrachte, fadenscheinig waren und wenig überzeugend klangen. Ihre Stimme wurde immer unsicherer, schließlich verstummte sie ganz.

      Landgerichtsrat Mergentheimer beugte sich vor, legte die Spitzen seiner sehr weißen, kräftigen Hände gegeneinander. »Nun mal ganz ehrlich … warum wollen Sie sich drücken?«

      »Ich will mich nicht …«

      »O doch! Sie sind weder Ärztin noch Hebamme, Krankenschwester oder Apothekerin, Sie sitzen auch nicht im Bundestag oder Landtag … wenn das der Fall wäre, hätten Sie Ihr Ablehnungsgesuch ja auch schon zu Beginn des Geschäftsjahres, nämlich seinerzeit, als Sie erfuhren, daß Sie zur Geschworenen bestimmt waren, eingereicht…«

      Ellen Krones tiefblaue Augen glänzten vor Erregung. »Ich sagte Ihnen ja schon … das versuche ich ja die ganze Zeit zu erklären … mein Mann ist vorzeitig von einer Geschäftsreise zurückgekommen! Auch vor vierzehn Tagen, als ich die Mitteilung erhielt, daß ich gerade an diesem Prozeß teilnehmen sollte, wußte ich ja noch nicht …«

      Jetzt unterbrach sie der Landgerichtsrat. »Wie alt ist Ihr Mann?«

      »Fünfunddreißig Jahre …«

      »Gesund?«

      »Ja …«, sagte Ellen Krone verständnislos.

      »Haben Sie Kinder?«

      »Nein. Vorläufig noch nicht.«

      »Na, dann werden Sie wohl sicher mit mir übereinstimmen, daß ein gesunder junger Mann wie Ihr Gatte ein paar Tage … länger wird der ganze Prozeß wohl nicht dauern … auch mal ohne Sie fertig werden kann!«

      »Aber es ist möglich, daß er bald wieder fort muß! Er ist nämlich Ingenieur, Spezialist, und deshalb … deshalb möchte ich ihn nicht gerade jetzt, nachdem er eben erst wiedergekommen ist, allein lassen!«

      »Als Mensch, liebe Frau Krone, verstehe ich Sie vollkommen, aber als Jurist kann ich diesen Grund nicht anerkennen. Versetzen Sie sich doch mal in die Lage des Gerichts! Woher sollen wir, buchstäblich von heute auf morgen, einen Ersatzgeschworenen bekommen? Und wie könnten wir ihn in der kurzen Zeit benachrichtigen?«

      »Aber soviel ich weiß, gibt es doch immer Hilfsgeschworene, die …«

      »Ja, aber wir brauchen sie für äußerste Notfälle. Es kann ja passieren, daß ein Geschworener mitten in der Verhandlung ernsthaft erkrankt … dann ist der Moment gekommen, wo der Hilfsgeschworene, der den Prozeß von Anfang an verfolgt hat, einspringen muß. Sie werden doch nicht verlangen, daß ich wegen Ihrer Ehe unter Umständen den ganzen Prozeß platzen lassen muß? Wir haben nämlich nur einen einzigen Hilfsgeschworenen zur Verfügung …«

      »Sie könnten mir helfen«, sagte Ellen Krone verzweifelt, »wenn Sie es wirklich wollten, könnten Sie es bestimmt!«

      »Nun, wenn ich ehrlich sein soll … all das, was Sie vorgebracht haben, leuchtet mir nicht ganz ein …«

      »Aber …«

      »Nun lassen Sie mich mal ausreden! Hand aufs Herz, Frau Krone: Ist Ihnen die Angeklagte bekannt?«

      »Aus der Zeitung.«

      »Nein. Ich meine persönlich.«

      Ellen Krone schüttelte den Kopf.

      »Vielleicht das Opfer? Diese Annabelle Müller?«

      »Nein!«

      »Sie haben also, wenn ich Sie recht verstehe, keinerlei persönliche Verbindungen zu irgendeiner der in diesen Prozeß verwickelten Personen? Sie fühlen sich nicht befangen? Bitte, überlegen Sie sich meine Frage gut, bevor Sie antworten!«

      »Darüber brauche ich nicht nachzudenken«, erklärte Ellen Krone, »ich kenne niemanden von all den Leuten.«

      »Sehr schön. Dann erwarte ich Sie also morgen pünktlich um neun Uhr … das heißt, möglichst schon eine Viertelstunde früher, weil wir um neun Uhr den Prozeß eröffnen wollen.« Landgerichtsrat Mergentheimer stand auf und reichte Ellen die Hand.

      Sie zögerte einzuschlagen. »Aber mein Mann …«

      Landgerichtsrat Mergentheimer lächelte. »… ist bestimmt zu beneiden. Doch Sie haben nicht nur Verpflichtungen Ihrem Mann, sondern auch der Allgemeinheit gegenüber!« Er wurde ernst. »Es ist immer eine schwere und verantwortungsvolle Aufgabe, über einen Menschen zu Gericht zu sitzen, ein Urteil zu sprechen. Gerade deshalb bin ich sehr froh, Sie morgen an meiner Seite zu wissen … eine kluge, aufgeschlossene junge Frau! Wer weiß, vielleicht kann gerade Ihre Stimme ausschlaggebend sein!«

      Diesem Appell konnte Ellen Krone nicht widerstehen. Sie schlug in die ausgestreckte Hand ein. »Ich komme«, sagte sie, »also dann, bis morgen!«

      Erst als sie wieder draußen auf der Straße stand, im lebhaften Verkehr des großstädtischen Vormittags, hatte sie das Gefühl, überrumpelt worden