Alle Liebe dieser Welt. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718377
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Es war der Abend, an dem Annabelle Müller, ermordet worden ist.«

      Diese Eröffnung hatte nicht die erwartete Wirkung. Hubert Erlinger sah ihn nur verständnislos an und fragte: »Annabelle Müller? Wer ist denn das? Ich muß den Namen doch schon irgendwo gehört haben …«

      »Ja, Menschenskind, liest du denn keine Zeitungen? Da steht doch alles über sie drin! Sie hatte ein Verhältnis mit einem Schuhfabrikanten, einem gewissen Heinrich Groß, und dessen Frau soll sie vergiftet haben! Heute morgen ist der Prozeß gegen sie eröffnet worden.«

      »Schon gut, jetzt weiß ich wieder Bescheid. Ich interessiere mich nicht für solche Sachen, Fußball ist mir lieber. Aber was hast du denn damit zu tun?«

      »Gar nichts! Das versuche ich dir ja schon die ganze Zeit klarzumachen. Ich war in der Mordnacht hier im ›Goldenen Eck‹.« Peter Krone schüttete den Schnaps durch die Kehle, ließ den halben Inhalt des Bierglases folgen, wischte sich mit der Hand über den Mund. »Das Dumme ist bloß, ich habe diese Annabelle gekannt …«

      »Bist du als Zeuge geladen?«

      »Ach wo. Niemand aus meiner Bekanntschaft weiß davon, jedenfalls bis jetzt noch nicht …«

      »Dann begreife ich eigentlich nicht, warum du dich aufregst.«

      »Nun hör endlich auf, dich so blöd zu stellen! Du kannst dir doch denken, wie das ist! Annabelle und ich waren verschiedentlich zusammen aus, ich war auch manchmal in ihrer Wohnung, es ist also durchaus nicht ausgeschlossen, daß man uns zusammen gesehen hat … wie stehe ich da, wenn ich in den Prozeß verwickelt werde! Denk doch mal an Ellen! Der habe ich nie was von der ganzen Sache erzählt!«

      »Aber wenn du doch gar nicht dort warst …«

      »Nein, ich war hier! Und ich möchte, daß du das bestätigst … für den Fall, daß man dich danach fragt!«

      »Du brauchst also ein Alibi?«

      »Nenn es, wie du willst.«

      Hubert Erlinger begann die Gläser zu polieren, seine breiten kurzen Finger bewegten sich dabei erstaunlich geschickt. »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Klar, daß ich mich daran erinnere. Du hattest mir doch mal erzählt, daß du diese Annabelle kennst, deshalb fiel mir gleich auf, als ich am nächsten Tag von dem Mord in der Zeitung las …«

      »Erst am Dienstag! Die Leiche ist am Montag entdeckt worden, und anfangs hat die Polizei an einen Selbstmord geglaubt …«

      »Na schön, als ich also am Dienstag davon in der Zeitung las, fiel mir gleich auf … der Junge war von acht bis kurz nach Mitternacht hier im Lokal. Recht so?«

      »Verheddere dich bloß nicht!«

      »Ich bin ja kein Idiot. Man muß mir bloß sagen, worum es geht.«

      »Ich danke dir, Hubert«, sagte Peter Krone. »Ich wußte ja, daß ich mich auf dich verlassen kann! Ich war’s nicht, Hubert, ich habe nichts damit zu tun!«

      »Um so besser.« Er sah, daß Peter Krone mit der Hand in die Hosentasche fuhr, fragte: »Du willst doch nicht etwa schon gehen?«

      »Doch. Leider. Ich muß nach Hause. Meine Frau …«

      »Na, ein bißchen Freizeit könnte sie dir schon lassen.«

      »Darum geht’s nicht. Sie nimmt als Geschworene an dem Prozeß teil, und deshalb …«

      »Eijeijeijei, was du nicht sagst!« unterbrach ihn der Wirt. »Das ist aber ein dicker Otto! Da kann ich dir wirklich nur Hals- und Beinbruch wünschen, alter Junge! Nein, zahl mir nichts, heute warst du mein Gast … wenn alles gut vorbei ist, kannst du mich dann mal einladen, abgemacht?«

      Peter Krone reichte ihm die Hand. »Ich werde dir das nie vergessen«, sagte er, »du bist wirklich ein Mordskerl!«

      Sie drückten sich kräftig die Hände, dann verließ Peter Krone das »Goldene Eck«. Er fühlte sich sehr viel besser als bei seiner Ankunft.

      Die Angeklagte Carola Groß war nicht gleich nach der Verhandlung ins Untersuchungsgefängnis zurückgebracht worden. Sie hatte vorher noch ein Gespräch mit ihrem Rechtsanwalt Dr. Suttermann geführt, das in Anwesenheit des Justizbeamten stattfand, der sie ins Gericht begleitet hatte und sie jetzt wieder zurückbringen sollte.

      Die vielen Stunden, in denen sie vor dem Richter Rede und Antwort hatte stehen müssen, hatten Carola Groß erschöpft. Ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz, ihre Züge wirkten verfallen, gleichsam wie aufgelöst, ihre schmalen Lippen bebten.

      »Habe ich es richtig gemacht?« fragte sie nervös. »Ich … manchmal wußte ich gar nicht mehr, was ich sagen sollte! Dieser Staatsanwalt, er mag mich nicht, nicht wahr? Er … er ist so zynisch, aber …«

      »Nun beruhigen Sie sich erst einmal, Frau Groß«, mahnte Dr. Suttermann. Er spürte selber, daß seine Stimme durch das krampfhafte Bemühen, eindringlich zu wirken, einen unangenehm öligen Ton bekam. Er räusperte sich, sagte: »Möchten Sie eine Zigarette?«

      »Ja … nein, erst einmal etwas zu trinken! Meine Kehle ist ganz rauh geworden …«

      »Das kann ich mir vorstellen!« Dr. Suttermann nahm ein Tablett mit einem Kännchen Kaffee und einer Tasse von einem Schränkchen, stellte es auf den Tisch, goß ein.

      »Hier«, sagte er, »trinken Sie! Ich habe Ihnen einen Schluck Kaffee aus der Kantine bringen lassen. Ich hoffe, er wird Ihnen guttun!«

      Carola Groß umfaßte die Tasse mit beiden Händen, trank gierig, sagte dann erst: »Danke«, nahm eine Zigarette entgegen, die Dr. Suttermann ihr anbot.

      »Der Herr Oberstaatsanwalt«, sagte Dr. Suttermann, »hat gar nichts gegen Sie, nicht gegen Sie persönlich, das dürfen Sie sich nicht einreden! Er steht einfach auf der anderen Seite, beruflich. Es ist seine Aufgabe, Ihnen die Tat nachzuweisen … wie es meine ist, Sie zu verteidigen!«

      »Aber deshalb braucht er doch nicht so … so hämisch zu sein!«

      »Das gehört zu seiner Methode. Er will Sie aus der Fassung bringen. Aber da Sie sich keiner Schuld bewußt sind, kann ihm das ja keinesfalls gelingen. Sie haben nicht das geringste zu befürchten.«

      »Wenn ich das nur glauben könnte!«

      »Sie müssen es! Haben Sie doch Selbstvertrauen! Das ist lebenswichtig für Sie! Man könnte Ihre … Ängstlichkeit als Schuldbewußtsein auslegen.«

      Carola Groß sah aus erschrockenen Augen zu ihm auf. »Habe ich … so gewirkt?« fragte sie. »Schuldbewußt?«

      »Aber nein! Keineswegs. Sie haben sich während der Verhandlung großartig gehalten.«

      »Ich … bitte, halten Sie mich nicht für albern … aber ich habe gar kein Gefühl mehr dafür, ob ich …«

      »Das verstehe ich gut, Sie brauchen sich deswegen nicht zu entschuldigen. Prägen Sie sich nur eines ganz fest ein: Wenn Sie sich immer strikt an die Wahrheit halten, kann Ihnen gar nichts passieren!«

      »Ich weiß nicht …«, sagte sie wenig überzeugt.

      »Sie müssen mir glauben. Sicher, es ist schon einmal vorgekommen, daß ein Unschuldiger verurteilt worden ist. Aber nur dann, wenn er sich in Lügen verstrickt hat. Also …!«

      Carola Groß atmete tief und zwang sich zu einem Lächeln. »Sie haben mir wieder Mut gemacht!«

      »Dann ist es ja gut. Und jetzt werde ich Ihnen einen Spiegel hinhalten, Sie werden Ihr Make-up erneuern und Ihr Haar in Ordnung bringen!« Er fuhr mit der Rechten unter den Talar, zog einen kleinen Spiegel aus seiner Jackentasche.

      »Aber ich dachte … die Verhandlung wäre für heute beendet? Oder muß ich doch noch …?«

      »Die Reporter, Frau Groß! Sie werden zwar das Gerichtsgebäude durch eine Hintertür verlassen, bis zum Gefängniswagen sind es nur wenige Schritte, aber …«

      »Nein!« sagte Carola Groß entsetzt