Alle Liebe dieser Welt. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718377
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als heute früh! Sie dürfen nicht wieder Ihr Gesicht abdecken, den Kopf zwischen die Schultern ziehen, einfach flüchten. Denken Sie immer daran … diese Bilder kommen in die Presse. Mit ihnen wird die Meinung der Öffentlichkeit und der Geschworenen beeinflußt.«

      »Sie können nicht von mir verlangen, daß ich lächle!«

      »Lächeln wäre falsch. Aber Sie müssen Ihr Gesicht zeigen, so wie es ist … ernst, leidend, gequält! Ein menschliches Gesicht. Sie haben doch nichts zu verbergen.«

      »Ich kann nicht«, wiederholte Carola Groß nur. »Beim besten Willen … ich kann nicht!«

      »Sie müssen es! Solche Bilder … flüchtend, den Unterarm vor dem Gesicht, erwecken bei dem Beschauer einen ganz falschen Eindruck. Unwillkürlich glaubt man: Diese Frau kann kein gutes Gewissen haben!«

      »Können sich diese Leute denn nicht vorstellen, wie mir zumute ist? Wie grauenhaft es für mich ist, im Scheinwerferlicht zu stehen? In meiner Situation allen neugierigen Blikken preisgegeben zu sein?«

      »Nein, und das können Sie von den Reportern auch nicht verlangen. Das versteht nur jemand, der etwas Ähnliches durchgemacht hat wie Sie … und dann noch sensibel genug ist. Also seien Sie tapfer! Wo haben Sie Ihren Lippenstift? Uns bleiben nur noch wenige Minuten!«

      Er nahm ihr die Zigarette aus der Hand, drückte sie aus, sah aufmerksam zu, wie sie mit zitternden Fingern versuchte, ihr Aussehen zu verbessern.

      »So, jetzt geht’s«, sagte er dann, »Sie sind doch eine gutaussehende Frau! Vergessen Sie Ihre Situation, bilden Sie sich ein, Sie wären die Fürstin von Humsti-Bumsti, die das Hotel ›Vierjahreszeiten‹ verläßt und in ihren Rolls-Royce steigt… na, sehen Sie, jetzt können Sie sogar lächeln!«

      Aber ihr Lächeln verwehte, während sie, von ihrem Rechtsanwalt und dem Justizbeamten flankiert, auf den Gang hinaustrat. Beim Verlassen des Gerichtsgebäudes mußte sie die Lippen zusammenpressen, um nicht vor Qual aufzuschreien. In ihren Augen stand das blanke Entsetzen. Von links und rechts, unten und oben klickten Kameras, flammten Blitzlichter auf, wollten Reporter sie durch Zurufe bewegen, sich in Position zu stellen.

      »Schauen Sie mal hierher!« – »Zu mir!« – »Lächeln!« – »Ein Foto fürs Familienalbum!«

      Sie war weit davon entfernt, zu begreifen, daß diese Männer nur ein flüchtiges berufliches Interesse an ihr hatten, daß es ihnen lediglich darauf ankam, ein sympathisch wirkendes Bild von ihr zu schießen – sie fühlte sich verstört, erniedrigt, gedemütigt, an den Pranger gestellt.

      Als Carola Groß eine gute Stunde später im Untersuchungsgefängnis Besuch gemeldet wurde, war sie nahe daran, sich zu weigern, die Beamtin zu begleiten. Sie hatte das Essen fast unberührt gelassen, war unfähig, zu ruhen oder einen Gedanken zu fassen … es schien, als habe dieser eine Tag auch die letzten Kräfte in ihr zerstört.

      Die Beamtin deutete das Zögern richtig. »Wenn Sie nicht wollen«, erklärte sie, »dann sage ich Bescheid. Niemand kann Sie zwingen …«

      »Nein«, sagte Carola Groß entschlossen, »ich komme mit!« Plötzlich erschien ihr alles gut, was sie aus der Enge ihrer kleinen Zelle hinausführte.

      Sie folgte der Beamtin über den langen Gang, vorbei an den eisernen Türen, ohne nach links oder rechts zu blicken.

      Die Beamtin stieß die Tür zu dem kleinen Sprechzimmer auf, übergab sie einem Kollegen, der Carola Groß neugierig musterte.

      Dann wurde die gegenüberliegende Tür geöffnet, und Heinrich Groß, ihr Mann, trat ein.

      Unwillkürlich machte sie einen Schritt auf ihn zu, wollte in seine Arme sinken – aber sie blieb stehen, noch bevor sich der Beamte gezwungen sah, einzugreifen. Sie wußte von vielen vergangenen Besuchen her, daß jede Berührung, ja sogar ein Händedruck, verboten war.

      »Heinrich«, stammelte sie überwältigt, »daß du gekommen bist! Heute!«

      Heinrich Groß zog die Rechte, die er schon ausgestreckt hatte, zurück, rieb sie verlegen mit seiner anderen Hand. »Na«, sagte er, »ich mußte doch schließlich sehen, wie es dir geht!«

      Eine Pause entstand. Sie sahen sich an. In Carolas Augen stand die Liebe, die sie für ihren Mann empfand – diesen keineswegs schönen Mann mit dem Bauchansatz, den selbst sein elegant geschneiderter Anzug nicht verbergen konnte, dem fahlen, schütteren Haar, den hellen Augen hinter der randlosen Brille.

      »Wie geht es dir, Heinrich?« fragte sie endlich.

      »Och, den Umständen entsprechend.«

      »Zu Hause alles in Ordnung?«

      »Ja. Das Mädchen ist ganz tüchtig. Natürlich ist es nicht dasselbe wie früher, als du noch da warst.«

      »Und Vater?«

      »Ich soll dich von ihm grüßen. Er wollte auch kommen, aber dann dachten wir, wir wechseln uns lieber ab.«

      Wieder entstand eine jener Pausen, die immer dann einsetzen, wenn zwei Menschen sich allzuviel zu sagen haben und nicht recht wissen, womit sie beginnen sollen. Beide fühlten sich überdies durch die Anwesenheit des Beamten gehemmt.

      »Ich habe mit deinem Rechtsanwalt gesprochen«, sagte Heinrich Groß schließlich, »du sollst dich großartig gehalten haben.«

      »Ich weiß nicht«, erwiderte sie, »es war alles wie ein … Alptraum.«

      »Jetzt hast du es ja bald überstanden.«

      »Ja. Hoffentlich.«

      »Kathi ist zu Hause schon beim Großreinemachen. Damit alles in Ordnung ist, wenn du kommst.«

      »Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen«, sagte sie, »daß alles wieder so werden soll wie früher… daß ich wieder herauskomme, in einem ordentlichen Bett schlafen darf, einkaufen gehen, ins Theater …«

      »Vielleicht sollten wir zuerst einmal verreisen?«

      »Ja. Vielleicht wäre das eine gute Idee.«

      »Oder du fährst allein weg. In ein Bad. Oder in ein Sanatorium.«

      »Nein! Das möchte ich nicht! Oder …« Erst jetzt schien sie die Tragweite seines Vorschlages zu begreifen, »… sehe ich so schlecht und so häßlich aus, daß ich …«

      »Ach was. In ein paar Wochen kriegst du das schon wieder hin.«

      Das Leuchten in ihren Augen erlosch, ihr Gesicht schien zusammenzuschrumpfen. »Mit einer Frau wie Annabelle Müller«, sagte sie, »werde ich nie konkurrieren können …«

      »Ich dachte, dieses Thema wäre zwischen uns erledigt?«

      »Entschuldige, es ist mir nur so herausgerutscht.«

      »Das kann ja heiter werden, wenn du erst wieder zurück bist.«

      Sie straffte die Schultern. »Wäre es dir lieber, wenn sie mich einsperren würden?«

      »Herrgott noch mal! Red nicht so einen Unsinn! Natürlich wäre es mir nicht lieber!«

      »Ich … ich bin nicht so sicher, daß es nicht vielleicht doch geschieht.«

      »Unsinn!«

      »Alles spricht gegen mich, Heinrich. Ich habe es nicht getan. Aber… ich kann es nicht beweisen.«

      »Mach dich nicht nervös, Carola«, sagte er freundlich. »Selbst wenn sie dich verurteilen … was kann dir schon passieren?«

      Ihre müden Augen wurden groß. »Wie meinst du das, Heinrich?«

      »Na, ganz einfach. Wenn du es getan hast, dann doch nur aus Eifersucht …«

      »Aber ich habe es ja gar nicht getan!«

      »Versteh mich doch richtig, ich meine … selbst wenn das Gericht zu der Ansicht käme, daß du es getan hättest… ja? Weißt du jetzt, was ich sagen will? Dann war es doch kein gemeiner Mord, sondern du hast