Alle Liebe dieser Welt. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718377
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müssen versuchen, die Dinge realistisch zu sehen!« Der Anwalt schob seiner Mandantin ein Zigarettenpäckchen über den Tisch hinweg zu. »Die wahre Gerechtigkeit gibt es nur im Himmel! Der menschlichen Rechtsfindung sind Grenzen gesetzt. Es gibt leider Indizien, die gegen Ihre Schuldlosigkeit sprechen!«

      Carola Groß zog sich eine Zigarette aus dem Päckchen, steckte sie zwischen die Lippen. »Aber ich lüge doch nicht!«

      Der Anwalt gab ihr Feuer, zündete sich selber eine Zigarette an. »Das ist der springende Punkt. Wir müssen das Gericht von Ihrer Glaubwürdigkeit überzeugen, das heißt, Sie müssen jede Ihnen gestellte Frage wahrheitsgemäß beantworten, auch wenn Sie das Gefühl haben, sich damit zu belasten … verstehen Sie?«

      »Ja …«

      »Natürlich können Sie als Angeklagte … rein theoretisch gesehen … auch lügen. Aber jede Lüge, deren man Sie überführt, ist ein neuer Belastungspunkt – darauf muß ich Sie noch einmal aufmerksam machen. Halten Sie sich also streng an die Wahrheit.«

      »Das verspreche ich Ihnen …«

      »Sehr gut. Sollte der Staatsanwalt oder der Richter Ihnen eine Frage stellen, deren Beantwortung Sie in Konflikte stürzt, so bitten Sie darum, sich erst mit mir zu besprechen. Das macht zwar nicht den allerbesten Eindruck, ist aber immer noch besser als eine falsche Antwort.«

      »Ich werde es mir merken.«

      »Dann können wir wohl zu den Äußerlichkeiten übergehen. Haben Sie schon überlegt, was Sie während der Verhandlung anziehen wollen?«

      Sie sah ihn verständnislos an. »Was ich … anziehen will?«

      »Ja. Auch das ist wichtig. Sehen Sie, nicht nur die blanken Tatsachen sind für den Ausgang eines solchen Prozesses entscheidend, sondern auch andere, rein gefühlsmäßige Dinge. Denken Sie immer daran, daß nicht nur drei berufsmäßige Richter über Sie zu Gericht sitzen, sondern auch sechs Geschworene, also Laien, juristisch völlig unvorgebildete Menschen … sie sind in der Mehrzahl, und deshalb liegt letzten Endes die Entscheidung bei ihnen …«

      »Und für diese Menschen soll ich mich hübsch machen?«

      »Genau. Eine gebrochene, ungepflegte Frau kann man sich allzu leicht als Zuchthäuslerin vorstellen … und auch Sie selber werden mehr Vertrauen zu sich haben, wenn Sie gut angezogen und zurechtgemacht sind! Habe ich nicht recht?«

      »Ich weiß, daß ich wie eine Vogelscheuche aussehe«, sagte Carola Groß bitter.

      Der Rechtsanwalt zwang sich zu einem Lächeln. »Nun übertreiben Sie aber entschieden, gnädige Frau! Auf alle Fälle werde ich Ihnen morgen eine Friseuse schicken …«

      »Das wäre wunderbar!«

      »Na, sehen Sie. Und die entsprechende Kleidung werde ich aus Ihrem Haus holen lassen. Das Passendste ist wohl ein gutsitzendes Kostüm …«

      »Mein kleines schwarzes?«

      »Vielleicht ein bißchen trist … aber doch, ja. Mit einer blütenweißen Bluse … weiß ist immer gut! Passen Sie nur auf, Sie werden darin sehr hübsch wirken.«

      »Darf ich Lippenstift benutzen?«

      »Aber ja. Ein gutes, unauffälliges Make-up kann nicht schaden. Aber achten Sie darauf, daß Sie nicht zu attraktiv wirken … das wäre auch wieder unangebracht.«

      »Nur keine Sorge, Herr Doktor«, sagte Carola Groß tonlos, »die Gefahr besteht bestimmt nicht!«

      Aber als sie einige Minuten später in ihre Zelle zurückgeführt wurde, fühlte sie sich doch seltsam getröstet. Die Aussicht, nicht als arme Sünderin, sondern gut angezogen und gepflegt vor ihren Richtern erscheinen zu können, hob ihr Selbstgefühl.

      Sie war entschlossen, sich mit allen Mitteln zu verteidigen. Heinrich, ihr Mann, sollte sehen, daß sie nicht das kleine Dummchen war, für das er sie immer gehalten hatte, sondern eine entschlossene Frau, die um ihr Recht und ihre Freiheit zu kämpfen verstand.

      Beide, Ellen Krone und ihr Mann, hatten sich redlich bemüht, es nicht gleich in den ersten Stunden nach der langen Trennung zu einem Streit kommen zu lassen. Ellen hatte das Thema ihrer Berufung als Geschworene sofort fallenlassen, als das Mißbehagen ihres Mannes offensichtlich wurde, und auch Peter Krone war nicht mehr darauf zurückgekommen.

      Aber über ihre erste Wiedersehensfreude war ein Schatten gefallen. Beide wagten es nicht mehr, sich natürlich zu geben, überlegten jedes Wort, bevor sie es aussprachen, und ihre vor kurzem noch so frische und unbefangene Freude hatte etwas Gekünsteltes angenommen.

      Das Essen in ihrer kleinen Wohnung am Waldfriedhof, mit dem Ellen sich soviel Mühe gegeben und Ehre einzulegen gehofft hatte, hatte ihr jetzt selbst nicht mehr recht schmekken wollen. Plötzlich hielt sie es nicht länger aus.

      Sie hatte das Tablett mit dem Kaffee ins Wohnzimmer gebracht, und während sie eingoß, Sahne und Zucker in die Tassen tat, konnte sie die Frage, die ihr auf dem Herzen brannte, nicht länger zurückhalten. »Wenn du mir nur sagen würdest«, begann sie, »warum es dir nicht paßt, Peter, daß ich Geschworene werde?«

      Er lehnte sich in den Sessel zurück, sah sie an. »Verlangst du wirklich eine Erklärung von mir?«

      »Ja«, erwiderte sie so sachlich wie möglich und versuchte, die Erregung, die in ihrer Stimme schwang, zu unterdrücken. »Du hast doch gewußt, daß ich dieses Jahr als Geschworene drankommen würde. Ich habe es dir gesagt, als ich die Mitteilung bekam … damals schienst du ganz damit einverstanden!«

      »Damals«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an, »konnte ich ja auch noch nicht ahnen, daß du am Mordprozeß Carola Groß teilnehmen würdest.«

      Ellen Krone sah ihn aus großen Augen an. »Macht denn das einen Unterschied, Peter?« Sie unterdrückte den Impuls, sich neben ihn auf die Sessellehne zu setzen, nahm ihm gegenüber Platz. »Gib mir auch eine Zigarette, bitte, ja?«

      »Entschuldige«, sagte er, reichte ihr sein Päckchen, gab ihr Feuer.

      Sie nahm einen tiefen Zug. »Danke. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«

      »Begreifst du denn nicht«, sagte er ungeduldig, »wie ekelhaft mir der Gedanke ist, daß ausgerechnet du in eine solche Sache verwickelt werden solltest?«

      »Ich bin nicht darin verwickelt, wie du dich ausdrückst«, erwiderte sie, »sondern ich muß helfen, ein gerechtes Urteil zu finden. Außerdem … alle Fälle, die vors Schwurgericht kommen, sind nicht angenehm. Mord, Totschlag, Notzucht … das hättest du doch wissen müssen.«

      »Na schön, ich habe es gewußt. Aber ich habe es mir einfach nicht so vorgestellt.« Er nahm einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse wieder ab. »Wenn du mich wenigstens etwas sanfter darauf vorbereitet hättest! Warum hast du es mir nicht nach Karachi geschrieben?«

      »Es sollte doch eine Überraschung sein«, sagte sie hilflos.

      »Eine feine Überraschung, das kann man wohl sagen.«

      Sie sah ihn an, sein männliches Gesicht mit den klugen grauen Augen, bemerkte die angespannten Linien um seinen Mund.

      »Peter«, sagte sie weich, »ich verstehe zwar deine Gründe nicht …«

      »Wie solltest du auch«, erwiderte er.

      Sie ließ sich nicht unterbrechen. »Aber wenn du so sehr dagegen bist«, fuhr sie fort, »werde ich versuchen, mich zu drücken.«

      Er hob, wie von einer Last befreit, den Kopf. »Wie willst du das anfangen?«

      »Ich werde morgen zum Gericht gehen und versuchen, dem Vorsitzenden meine Gründe klarzumachen! Daß ich jung verheiratet bin und daß du …«

      »Nein, bitte, laß mich aus dem Spiel!«

      Sie lachte. »Bildest du dir etwa ein, daß der Vorsitzende sich für dich interessieren könnte? Nur keine Angst, mir wird schon was einfallen, wie ich mich aus der Sache herauswinden kann! Bist du jetzt