Daß die hübsche Sekretärin zur selben Zeit Gegenstand der Überlegungen zweier Männer war, ahnte sie nicht.
Franz Brandner war zum Feld zurückgefahren, um es zu Ende zu pflügen. Dabei dachte er ununterbrochen an die junge Frau. Die Situation in der Jagdhütte war so richtig nach seinem Geschmack gewesen. Andrea Hofmann hatte verführerisch ausgesehen, in ihrem nassen T-Shirt, und unter anderen Umständen hätte er nicht gezögert, diese Situation auszunutzen. Doch irgendwas hatte ihn zurückgehalten. Instinktiv ahnte der Knecht, daß sie nicht zu den Madln gehörte, die sich leicht herumkriegen ließen. Bei Andrea mußte man anders vorgehen und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Immerhin war da ja noch die Aussicht, sie morgen abend wiederzusehen.
Außerdem fragte er sich, in welchem Verhältnis sie zu dem Bauern stand. Georg Mäder hatte merkwürdig reagiert, als er hörte, daß Andrea auf dem Hof gewesen war. Er würde erst dahinterkommen müssen, was die beiden verband, damit er sich bei seinem Arbeitgeber nicht in die Nesseln setzte.
Georg saß zur selben Zeit zu Hause in der Küche und schaute trübsinnig vor sich hin. Vor ein paar Stunden hatte es einen großen Krach gegeben, als Liesl ihn auf Andrea ansprach.
»Bei der Ria Stubler wohnt sie«, hatte die Magd gesagt. »Warum fährst’ net hin und redest mit ihr?«
Georg hatte sie angesehen und den Kopf geschüttelt.
»Warum sollt’ ich das tun?« erwiderte er. »Sie hat ja in all den Jahren nix von sich hören lassen. Ich muß doch net den ersten Schritt tun.«
»Weil du ein Esel bist!« hatte Liesl daraufhin geschimpft. »Stur und eigensinnig. Das Madl liebt dich. Warum wohl ist es denn sonst hergekommen?«
Die Frage hatte er sich auch gestellt, nachdem es klar war, daß es sich bei der Besucherin um Andrea gehandelt hatte. Georg hatte am Nachmittag an seinem Schreibtisch gesessen, die Schublade geöffnet und die beiden Briefe herausgenommen, den einen, der geöffnet war, und den anderen, den er so, wie er angekommen war, weggelegt hatte.
Lange Zeit schaute er die Umschläge an, ohne den zweiten zu öffnen. Was im ersten Brief stand, wußte er ja und alles weitere interessierte ihn nicht mehr.
Schließlich legte er sie zurück, drückte die Lade zu und schloß ab.
Drei Jahre hatte er sie nicht angerührt, jetzt brauchte er nicht zu lesen, was Andrea an Entschuldigungen für ihren Wortbruch geschrieben hatte. Viel anders als das, was in dem anderen Brief stand, konnte es wohl kaum sein.
»Ich will sie einfach net wiedersehen«, sagte er, lauter als beabsichtigt.
»Dann sieh’ doch zu, wie du damit fertig wirst«, hatte Liesl kopfschüttelnd gerufen. »Dir ist ja net zu helfen.«
Dann war sie hinausgerauscht und hatte die Tür hinter sich zugeknallt.
Georg saß mit gesenktem Kopf und überlegte, was er tun sollte. Raus mußte er, er hielt es einfach nicht mehr aus. Schließlich stand er auf und ging in seine Kammer. Dort zog er sich um und kehrte in die Küche zurück. Er nahm ein paar Vorräte aus dem Kühlschrank, stopfte sie in einen Rucksack und holte sein Jagdgewehr aus dem Schrank auf der Diele. Dann verließ er das Haus, pfiff nach dem Hund und kletterte in den alten Geländewagen, den er immer benutzte, wenn er zur Jagd ging.
Liesl schaute aus dem Fenster, als er vom Hof fuhr.
»Du Hirsch, du damischer!« schimpfte sie, wohl wissend, daß er sie nicht hören konnte.
*
»Grüß Gott, Herr Gruber«, sagte Andreas Trenker zu seinem Pensionsgast. »Haben S’ das Unwetter gut überstanden?«
Der Mann nickte. Er war gerade erst von seiner Wanderung zurückgekehrt.
»Ja, ich war zwar einige Kilometer unterwegs, aber als das Unwetter losging, habe mich noch rechtzeitig unterstellen können«, erwiderte er.
»Und sonst«, erkundigte sich der Cousin des Bergpfarrers, »ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
Wieder bejahte Franz Gruber.
»Alles in Ordnung, Herr Trenker«, versicherte er. »Das Zimmer ist wirklich sehr schön.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Andreas. »Übrigens, Sie haben mich doch nach einem Brandnerhof gefragt, aber ich sagte ja schon, daß ich über zwanzig Jahre nicht hier war und die meisten Bauern gar net kenne. In der Zeit sind ja viele Höfe aufgegeben worden, aber auch ein paar Leute haben es gewagt, einen zu übernehmen, so daß es sein könnt’, daß der Besitzer gewechselt hat. Tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen da net weiterhelfen konnte, aber vielleicht fragen S’ mal meinen Cousin, den Pfarrer. Er kennt so ziemlich jeden Hof im Wachnertal und kann Ihnen vielleicht Auskunft geben.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, antwortete Franz Gruber. »Vielleicht werde ich es wirklich tun. Vielen Dank erst mal, für den Hinweis.«
Er nahm seinen Zimmerschlüssel und ging die Treppe hinauf. Erschöpft ließ er sich in den bequemen Sessel nieder, der am Fenster stand.
Er hatte einen harten Tag hinter sich. Mehrere Höfe war Franz Gruber auf der Suche nach dem richtigen angelaufen und doch immer wieder enttäuscht worden. Er mußte zugeben, daß er sich die Sache einfacher vorgestellt hatte.
Aber auf keinen Fall würde er aufgeben! Und wenn er den Schuldigen von damals ausfindig gemacht hatte, dann war der Tag der Abrechnung gekommen!
Nachdem er sich einen Moment erholt hatte, nahm Franz Gruber das Handy aus der Tasche und rief zu Hause an. Lina war sofort am Apparat.
»Wie geht es dir?« fragte sie besorgt.
»Gut«, antwortete er, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Die Enttäuschung, immer wieder auf dem falschen Bauernhof zu landen, zehrte an ihm, und seine Frau hörte es auch am Telefon – sie kannte ihn eben zu gut.
»Willst du die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und nach Hause kommen?« bat sie.
»Niemals!« stieß er sofort hervor. »Unrecht darf kein Unrecht bleiben, und was man meinem Vater angetan hat, das war alles andere als Recht!«
»Ach, Franz«, seufzte seine Frau, »vielleicht lebt dieser Mensch schon gar nicht mehr, genauso wie Vater. Du vergeudest doch nur deine Zeit. Schließlich kannst du ja nicht ganz Bayern nach ihm absuchen. Was ist, wenn ich recht habe, und er ist schon längst gestorben? Oder er wohnt überhaupt nicht mehr da, sondern ist verzogen?«
»Wenn er noch lebt, dann müßt er jetzt etwa fünfundsiebzig Jahre alt sein«, widersprach er. »Wenn Vater nicht krank geworden wäre, könnte er auch heute noch leben. Ich kann nicht glauben, daß dieser Mann tot ist. Und ich werde erst Ruhe haben, wenn ich es herausgefunden habe. Aber du hast recht, die Möglichkeit, daß er längst gestorben ist, besteht natürlich. Vielleicht hätte ich erst einmal auf dem Friedhof nachsehen sollen. Aber das werde ich gleich nachholen.«
»Du könntest doch aber auch einfach zum Meldeamt gehen und nach seiner Adresse fragen?« schlug Lina Gruber vor.
»Glaubst du nicht, daß ich das nicht auch überlegt habe? Aber das werde ich nicht tun. Wer weiß denn, ob er dann nicht auf irgendwelchen Umwegen erfährt, daß ich auf der Suche nach ihm bin, und somit gewarnt ist? Nein, ich werde ihn finden, und wenn er noch am Leben ist, dann gnade ihm Gott!«
»Franz, manchmal habe ich richtig Angst«, sagte seine Frau leise. »Bitte sei vorsichtig.«
»Du mußt keine Angst haben«, beruhigte er sie. »Ich kann schon auf mich aufpassen.
Aber jetzt erzähle doch mal, wie es zu Hause steht.
Ist in der Firma alles in Ordnung, und mit dem Jungen?«
»Alles bestens«, antwortete sie. »Die Lindenbrauerei hat gestern grünes Licht gegeben. Wir werden also die drei Objekte einrichten.«
»Das ist aber eine gute Nachricht!« freute sich Franz Gruber.
Bei