Benommen lag die junge Frau einen Moment reglos auf dem Boden, dann spürte sie, wie jemand sie griff und hochzog.
»Um Himmels willen«, rief eine Männerstimme durch den Sturm. »Was machen S’ denn hier draußen bei diesem Wetter?«
Andrea wischte sich über die Augen. Sie erkannte den Knecht, den sie am Morgen auf Georgs’ Hof gesehen hatte, und schluchzte dankbar auf.
»Kommen S’«, sagte Franz Brandner, »wir müssen uns unterstellen. Da vorn’ ist eine Jagdhütte.«
Er zog sie mit sich in den Wald hinein. Nach ein paar Metern erreichten sie eine Jagdhütte, die auf einer kleinen Lichtung stand. Franz drückte die Tür auf und schob Andrea hinein. Mit einem lauten Krachen schlug die Tür hinter ihm zu.
»So«, atmete er auf, »das wär’ geschafft!«
In der Hütte war es kaum richtig hell, aber sie konnten einen Tisch erkennen, ein paar Stühle und ein leeres Regal. In einer Ecke stand noch ein Bett, mit einer alten Matratze darauf.
Sie wischten sich den Regen aus den Gesichtern und sahen sich an.
»Vielen Dank«, sagte Andrea, »wenn Sie net gekommen wären… ich weiß net, was ich hätt’ machen sollen.«
Der Knecht lächelte.
»Hätt’ net gedacht, daß ich einmal einer schönen Frau das Leben retten würd’«, meinte er. »Ich bin der Franz. Wir haben uns heut’ morgen auf dem Mäderhof gesehen.«
Sie nickte und streckte ihm die Hand hin.
»Ja, ich weiß. Andrea Hofmann, danke noch mal.«
»Schon gut«, erwiderte er. »Hauptsache, das Unwetter geht bald vorüber.«
Er blickte sie musternd an.
»Machst’ Urlaub hier?« erkundigte sich Franz dann.
»Ja, ich wohn’ drunten in St. Johann in einer Pension.«
»Und dann hat dir keiner gesagt, daß man vernünftige Sachen anzieht, wenn man eine Wanderung unternimmt?«
Andrea sah, wie er sie von oben bis unten anschaute. Erst jetzt bemerkte sie, daß das nasse T-Shirt mehr von ihr sehen ließ, als daß es etwas verbarg. Sie drehte sich zur Seite.
»Ich wollt’ gar keine Wanderung machen«, erwiderte sie. »Nur einen kleinen Spaziergang.«
Franz Brandner lächelte belustigt.
»Von St. Johann bis hierher sind ungefähr acht Kilometer«, meinte er. »Das ist ein bissel mehr als nur ein Spaziergang.«
Er ging zur Tür und öffnete sie.
»Es scheint aufgehört zu haben«, sagte er. »Komm, ich fahr’ dich ins Dorf.«
Es regnete zur noch ein wenig, als sie zu dem Traktor gingen. Franz hatte auf dem Feld gearbeitet und wollte sich selbst in der Jagdhütte unterstellen, als das Unwetter immer heftiger wurde. Jetzt war im Westen schon wieder etwas Blau am Himmel zu sehen. Andrea erkannte, daß es der Traktor war, auf dem sie selbst schon gesessen hatte, und es war ein eigenartiges Gefühl, als der Knecht sie jetzt damit nach St. Johann brachte.
Vor der Pension verabschiedeten sie sich.
»Hast’ dir schon was für morgen abend vorgenommen?« wollte Franz wissen, als Andrea abgestiegen war.
»Warum?« fragte sie.
»Weil morgen Tanzabend im ›Löwen‹ ist«, entgegnete er und lächelte dabei. »Vielleicht hast’ ja Lust, hinzugehen. Wir könnten dann das Tanzbein schwingen…«
Andrea schürzte die Lippen. Er schien ein ziemlicher Draufgänger zu sein. Aber er gefiel ihr, und nicht nur, weil er ihr in der Not geholfen hatte, war ihr der Knecht sympathisch…
»Mal sehen«, antwortete sie, »vielleicht geh’ ich wirklich hin.«
*
Ria Stubler schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie Andrea sah.
»Lieber Himmel, wie schaust du denn aus!« rief die Wirtin.
Die Sekretärin sah an sich herunter. Schuhe, Jeans und T-Shirt waren schlammbedeckt, auch ihr Gesicht hatte etwas abbekommen, und die Hände. Ihre Frisur mußte fürchterlich aussehen.
»Am besten gehst’ erst mal unter die heiße Dusche«, riet die Wirtin, nachdem Andrea erzählt hatte, wie sie in das Unwetter geraten war. »Sonst holst’ dir noch eine Erkältung! Wenn du dann wieder runterkommst, ist das Essen fertig.«
Andrea nickte und ging in ihr Zimmer hinauf. Herrlich war es unter dem heißen Wasser, und sie fühlte sich viel besser, als sie wenig später in der Küche saß. Ria tischte ein leckeres Nudelgericht auf. Besonders die Tomantensauce schmeckte köstlich, und die Wirtin verriet, daß das Rezept dazu von einem waschechten Grafen stammte, der einmal in der Pension gewohnt hatte.
Das Unwetter hatte schon nachgelassen, als sie auf dem Traktor nach St. Johann zurückfuhr, inzwischen strahlte draußen wieder die Sonne, und der Boden dampfte von der Feuchtigkeit. Ria öffnete die Tür, die in den Garten führte, und ließ die frische Luft hereinströmen.
»Noch mal machst solch einen Leichtsinn aber net«, ermahnte die Wirtin sie.
»Ganz bestimmt net«, schüttelte Andrea den Kopf. »Eigentlich wollt’ ich gar net so weit laufen, aber dann hab’ ich irgendwie die Zeit vergessen.«
»Hast an ihn gedacht, net wahr?«
»Das tu’ ich ja immerzu«, antwortete die junge Frau und machte ein bekümmertes Gesicht.
»Na ja, du hast ja noch mal Glück im Unglück gehabt, daß der Franz grad in der Nähe war, sonst hätt’s bös’ ausgehen können. Ein Unwetter in den Bergen ist schon was andres, als im Flachland.«
»Seit wann ist er eigentlich auf dem Mäderhof?« fragte Andrea.
Ria zuckte die Schultern.
»Ich weiß gar net so genau«, entgegnete sie. »Vielleicht ein halbes Jahr, oder so. Irgendwann hat der Georg gemerkt, daß er die Arbeit net mehr alleine schafft, und hat ihn eingestellt. Wie man hört, ist der Franz als Knecht ein tüchtiger Bursche. Allerdings ist er auch mit Vorsicht zu genießen, jedenfalls, wenn man ein weibliches Wesen ist…«
Andrea blickte sie erstaunt an.
»Wieso?«
»Na ja«, lächelte die Wirtin, »der Franz Brandner ist ein richtiger Herzensbrecher, wird erzählt, vor dem kein Rock sicher ist.«
Die Sekretärin erinnerte sich an den Blick des Knechts, als sie naß bis auf die Haut in der Jagdhütte standen. Er war eindeutig gewesen…
»Ich versteh’«, nickte sie, »ein Schwerenöter ist er also.«
»Und was für einer!«
»Er hat mich gefragt, ob ich morgen auf den Tanzabend geh’…«
»Siehst du!«
Andrea lächelte.
»Da brauchst dir keine Gedanken machen«, sagte sie. »Er ist nett, aber für mehr reicht’s bei mir net.«
»Da bin ich aber beruhigt. Was glaubst wohl, was der Franz alles anstellen wird, um dich herumzukriegen.«
»Das wird ihm gewiß net gelingen!«
Ria wiegte den Kopf.
»Das hat schon so manche gesagt«, meinte sie skeptisch. »Und wenn der Franz was davon erfährt, dann brauchst’ dir erst gar keine Hoffnung zu machen, daß es mit ihm wieder ins Lot kommt.«
Ria hatte sehr hart gesprochen und erschrak selbst darüber. Aber natürlich mußte Andrea ihr recht geben;