Franz Burger nickte Sebastian und Marion zu und folgte Andreas ins Haus.
Der gute Hirte von St. Johann schaute ihm nachdenklich hinterher.
»Ist was mit ihm?« fragte Marion.
»Nein, net daß ich wüßte«, antwortete Pfarrer Trenker. »Mich hat nur der Name stutzig gemacht. Ich bin sicher, daß er in Norddeutschland net so häufig vorkommt. Für wie lang’ hat der Herr Burger denn gebucht?«
»Drei Wochen, glaub’ ich. Aber ich müßte schon nachschauen, wenn du es genauer wissen willst.«
Der Geistliche schüttelte den Kopf.
»Net nötig. Es wird sich wohl irgendwann die Gelegenheit ergeben, mit ihm ins Gespräch zu kommen«, sagte er und stand auf. »Vielen Dank, für den Kaffee. Ich schau mal wieder herein.«
Marion umarmte ihn und machte sich daran, den Tisch abzuräumen. Sebastian ging durch das Gartentor. Immer noch nachdenklich spazierte er zum Pfarrhaus zurück und fragte sich, was ihn an diesem Mann eigentlich so interessierte.
*
Schon von weitem hörte Andrea Hofmann den Lärm der Motorsäge. Sie hielt ein Stück vom Mäderhof entfernt an und stieg aus.
Hier hatte sich nichts verändert. Sie konnte das Bauernhaus sehen, die Scheune und den Stall, wußte, daß dahinter die Wiese anstieg, auf der Georg seine Kühe stehen hatte.
Dem Lärm nach zu urteilen, war er gerade dabei, Holz zu machen. Damals, vor drei Jahren, hatte sie ihn ein- zweimal in den Bergwald hinauf begleitet. Es war schön gewesen, ganz alleine mit ihm da oben zu sein. Sie hatten Bäume ausgesucht, die gefällt werden konnten, und beim nächsten Mal sah sie Georg zu, wie er die Stämme durchschnitt. Noch jetzt glaubte sie, den Geruch des frisch gesägten Holzes in der Nase zu haben, und den Duft des Kaffees, den sie in der Arbeitspause getrunken hatten. Sie hatten auf einem umgelegten Baum gesessen und von dem Kuchen gegessen, den Liesl ihnen eingepackt hatte.
Andrea hatte sich damals wie die Bäuerin gefühlt und sich ernsthaft die Frage gestellt, ob das ein Leben für sie sein könnte. Freilich wußte sie nicht viel von dem, was eine Bäuerin können mußte, um ihrem Mann Stütze und Hilfe zu sein. Aber sie war sicher, daß man es lernen konnte, und als sie abfuhr, hing die Frage im Raum, die Georg dann letztendlich doch nicht gestellt hatte.
»Wir wollen die Zeit entscheiden lassen«, hatte er an ihrem letzten Abend, nach dem Besuch im Wirtshaus, gesagt, als sie auf der Bank vor dem Haus saßen.
Als habe er geahnt, daß sich ihnen Ungeahntes in den Weg stellen würde. Kurz nach ihrer Rückkehr erfuhr Andrea von ihrer Mutter alles über die Krankheit, die Helene Hofmann ein paar Jahre später das Leben kosten sollte…
Langsam ging die Sekretärin auf das Anwesen zu. Ihr Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als sie an der Einfahrt stand und zur Scheune schaute. Hinter der Ecke, zwischen Hühnerhof und Misthaufen, mußte Georg arbeiten.
Wie würde er reagieren, wenn sie jetzt plötzlich vor ihm stand?
Andrea spürte, wie sie der Mut verließ, und beinahe wäre sie umgekehrt, wenn nicht in diesem Augenblick Liesl Lindhoff aus dem Haus gekommen wäre und sie bemerkt hätte.
Die Augen der alten Magd weiteten sich vor Überraschung, sie preßte die rechte Hand an den Mund und hatte Mühe, die Schüssel in ihrer Linken nicht fallen zu lassen.
»Träum’ ich, oder bist du’s wirklich?« rief sie durch den Lärm der Motorsäge.
Andrea nickte stumm, während sie zu ihr ging, und Tränen der Freude liefen ihr dabei über das hübsche Gesicht.
»Grüß dich, Liesl«, sagte sie.
Die Magd schüttelte immer noch ungläubig den Kopf.
»Die Andrea. Das gibt’s doch gar net!«
Endlich stellte sie die Schüssel auf dem Tisch ab. Die beiden Frauen fielen sich in die Arme.
»Ist das schön!« murmelte Liesl und wischte sich über die Augen. »Ich freu’ mich ja so!«
Sie umarmte Andrea noch einmal, als wollte sie sichergehen, daß es kein Geist war, der da vor ihr stand.
»Komm«, rief sie dann, »laß uns hineingehen. Bei diesem Krach versteht man ja sein eignes Wort net.«
Andrea deutete zur Scheune hinüber.
»Aber…«
Die Magd schüttelte den Kopf.
»Das ist der Franz, der Knecht«, erklärte sie. »Georg ist auf dem Feld.«
Ziemlich enttäuscht warf Andrea noch einen Blick dorthin, woher der Lärm erklang, dann folgte sie Liesl ins Haus.
»Ich war gar net sicher, ob ich herkommen sollte«, sagte sie, als sie in der Küche saßen.
Liesl sah sie erstaunt an.
»Aber warum denn net?«
Die junge Frau zuckte die Schultern. »Na ja, ich weiß ja net, wie Georg darauf reagieren wird«, antwortete sie und sah sich um. »Und überhaupt… ist er inzwischen…?«
»Verheiratet?«
Die Magd lächelte.
»Nein«, erwiderte sie. »Obgleich die Madln bei ihm Schlange stehen, wenn er am Samstag beim Tanzen ist. Aber bis jetzt ist es noch keiner Frau gelungen, sich ihn zu schnappen.«
Die letzten Worte begleiteten ein Augenzwinkern.
»Eigentlich hab’ ich ein sehr schlechtes Gewissen«, gestand die Sekretärin, »weil ich mich so lang’ net gemeldet hab’. Aber die Umstände…«
Sie richtete sich auf.
»Hat er sich sehr verändert?« fragte sie
»Du willst wissen, ob er dich immer noch liebt?«
»Ja, ich glaub’ schon. Deswegen bin ich ja hier.«
Liesl sah nachdenklich vor sich hin.
»Weißt’«, sagte sie, »damals, da hab’ ich immer gedacht, daß ihr zwei eines Tags heiraten werdet, und ich denk’, der Georg hat das auch geglaubt. Er war sehr enttäuscht, als du dann nix mehr hast von dir hören lassen. Er ist es wohl immer noch. Darum vergräbt er sich auch in seiner Arbeit.«
»Spricht er denn manchmal von mir?« wollte Andrea wissen.
Liesls Antwort war enttäuschend.
»Nein, nie«, erwiderte sie.
In der Diele erklangen Schritte.
»Ist er schon wieder da?« sagte die Magd verwundert.
Erwartungsvoll blickten die beiden Frauen zur Tür. Doch es war der Knecht, der sie öffnete und eintrat.
»Oh, Besuch«, stellte er fest und schaute Andrea interessiert an. »Dazu noch so ein reizender…«
Er ging an den Küchenschrank und holte ein Glas heraus.
»Der Holzstaub trocknet einem die Kehle aus«, meinte Franz Brandner, und drehte den Wasserhahn auf.
Andrea hatte nichts gesagt, aber sie bemerkte, daß der Knecht sie immer noch anschaute, während er trank. Sie stand auf und reichte der Magd die Hand.
»Ich muß dann wieder«, sagte sie.
Liesl machte ein enttäuschtes Gesicht. »Schon?«
Die Sekretärin nickte.
»Vielleicht schau’ ich mal wieder vorbei.«
»Wo wohnst denn eigentlich?« fragte die Magd, als sie vor der Tür standen. »Und wie lang’ bleibst’?«
»In St. Johann«, antwortete Andrea. »Pension Stubler. Ich hab’ das Zimmer für drei Wochen reserviert.«
»Dann mußt’ aber auf jeden Fall noch mal wieder