Als Georg sie dann entdeckte und aufforderte, schien es beiden ein Wink des Schicksals zu sein, daß sie sich hier wiedersehen sollten. Sie blieben den ganzen Abend zusammen, und am Sonntag besuchte Andrea ihn auf seinem Hof.
Der Bauer hatte ihn vor zwei Jahren übernommen, als sein Vater verstarb. Gerade mal zwanzig Jahre alt, war er da gewesen. Dem ersten Besuch folgten noch viele weitere, und es dauerte nicht lange, bis Georg Andrea den ersten Kuß gab. Es war ein lauer Abend, und über dem Wachnertal stand ein sternenübersäter Himmel, als er ihr seine Liebe gestand.
Drei Jahre waren nun vergangen. Andrea hatte sich oft gefragt, warum die Beziehung so enden mußte. Natürlich, die Verpflichtung, die sie ihrer kranken Mutter gegenüber hatte, tat das ihrige, aber vielleicht hätten weder sie, noch Georg so schnell aufgeben sollen. Bestimmt hätte es einen Weg gegeben, trotz aller Widrigkeiten und der Entfernung, zusammen zu bleiben.
Aber es war müßig, über Versäumtes nachzudenken. Das Rad der Zeit ließ sich nicht zurückdrehen, und vielleicht bedeutete diese Reise ja einen Neubeginn…
Andrea setzte sich wieder in ihr Auto und fuhr weiter. Damals hatte sie in einer Pension außerhalb des Ortes gewohnt. Diesmal war für sie ein Zimmer in der Pension Stubler reserviert. Die Wirtin begrüßte sie freundlich und zeigte ihr das Zimmer. Die junge Frau war sehr angetan von der familiären Atmosphäre, die sie empfing und war sicher, daß sie sich hier wohlfühlen würde.
Aber viel mehr beschäftigte sie die Frage, was aus Georg geworden war.
Das Zimmer war geräumig und gemütlich eingerichtet. Andrea machte sich zuerst daran, ihre Sachen auszupacken und in den Schrank zu hängen, dann ging sie ins Bad, duschte, bürstete die langen, dunklen Haare durch und zog sich an. Zufrieden betrachtete sie sich in dem großen Spiegel, der an der Innentür des Badezimmers angebracht war. Sie trug einen leichten Pulli, eine helle Jeans und offene Sandalen. Schlank war sie, und die Anmutigkeit ihres Gesichts wurde durch ein braunes Augenpaar unterstrichen. Auf Schminke verzichtete Andrea im Urlaub gerne. Zwar ging sie ohnehin sparsam damit um, aber jetzt war sie der Meinung, weder Rouge, noch Lippenstift zu brauchen.
»So, jetzt wollen S’ wohl erst mal einen Bummel durchs Dorf machen, was?« erkundigte sich Ria Stubler, als die beiden Frauen sich im Flur begegneten. »Schauen S’ sich vor allem die Kirche an. Die ist wirklich sehenswert.«
Andrea nickte. Sie mußte an sich halten, um nicht zu schmunzeln. Natürlich kannte sie das Gotteshaus von St. Johann, genauso den Pfarrer. Sie hatte sich damals schon das großartige Gemälde »Gethsemane« angeschaut und die herrliche Madonna bewundert. Aber das konnte die freundliche Wirtin ja nicht wissen.
Andrea verließ die Pension und trat auf die Straße hinaus. Das Haus lag in einer Seitenstraße, in der es sehr schön ruhig war. Auf der Hauptstraße hingegen herrschte um diese Zeit mehr Verkehr. Gerade war der Bus aus der Stadt gekommen und hatte vor dem Hotel gehalten, ein Bauer fuhr mit seinem Traktor vorüber, und zahlreiche Urlauber spazierten vorüber und lenkten ihre Schritte zur Kirche hinüber, die auf der anderen Seite stand.
Die Sekretärin ging durch das kleine Einkaufszentrum, spazierte weiter zum Rathaus und kehrte wieder zum Hotel zurück. Sie merkte selbst, wie ziellos ihre Lauferei durch den Ort war. Alles, was sie sah, kannte sie schon, und eigentlich gab es nichts Neues zu entdecken.
Schließlich betrat Andrea den Bier- und Kaffeegarten des Hotels, suchte sich einen Tisch, bestellte etwas zu trinken und saß einfach nur da und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Irgendwie hatte sie es sich einfacher vorgestellt, als sie diese Reise plante. Ein Zimmer nehmen, sich umhören und dann zum Mäderhof fahren und Georg besuchen.
Nun, der erste Teil war geschafft. Sie war angekommen, wohnte in einer netten Pension und mußte nun den zweiten Schritt machen.
Aber wen sollte sie wegen Georg fragen? Die Wirtin? Oder den Pfarrer?
Irgendwie kam ihr ihre Idee plötzlich dumm vor.
Vielleicht hätte ich ihn doch einfach mal anrufen sollen, überlegte sie, während sie ihre Apfelschorle trank.
Was hätte schon groß geschehen sollen?
Entweder Georg würde sich darüber gefreut haben, oder nicht. In jedem Fall hätte sie aber gewußt, woran sie war.
Oder ich fahre doch einfach zu ihm, schoß es ihr plötzlich durch den Kopf.
Der Gedanke war erschreckend und aufregend zugleich. Andrea malte sich aus, wie es sein würde, wenn sie sich plötzlich gegenüberstünden, sich in die Arme fielen…
Rasch winkte sie der Bedienung und zahlte.
Nur schnell zum Auto, bevor sie es sich doch anders überlegte!
Vor Aufregung fand sie die Autoschlüssel nicht, bis ihr schließlich einfiel, daß sie sie in ihrem Zimmer auf den Tisch gelegt hatte. Andrea ging hinauf und schloß auf. Aber die Schlüssel waren nicht da. Sie suchte, fand sie nicht und kramte erneut in ihrer Handtasche. Das kleine Etui mit dem Aufdruck der Autofirma steckte zwischen etlichen anderen Sachen, die sie in der Tasche hatte. Einen Seufzer ausstoßend sank Andrea auf einen Stuhl und schüttelte den Kopf.
»So was Blödes!« murmelte sie, und wußte nicht, warum sie sich so ärgerte.
Vielleicht sollte ich es als Wink des Schicksals nehmen und nichts überstürzen, dachte sie schließlich und streifte die Sandalen ab.
*
»Langsam! Gib Obacht!«
Georg Mäder sprang auf den Anhänger und packte die Kette, die den schweren Baumstamm hielt. Franz Brandner drehte die Kurbel des Flaschenzugs langsam weiter. Es knirschte bedrohlich. Die beiden Männer arbeiteten vorsichtig weiter. Sie hatten ihre Zweifel gehabt, ob die Kette das Gewicht des gefällten Baumes tragen würde, aber schließlich hatten sie es geschafft. Der Bauer löste die Kette, und sein Knecht befestigte einen festen Gurt um das Holz.
Dann wischten sie sich den Schweiß von der Stirn und nickten zufrieden.
»Das war der letzte«, sagte Georg. »Schaffen wir ihn zum Hof, morgen machen wir dann weiter.«
Auf dem Anhänger lagen sieben dicke Stämme. Vorrat für den übernächsten Winter. Am nächsten Tag mußte das Holz zersägt und kleingehackt werden. Anschließend wurde es gestapelt, damit es bis zum Ende des nächsten Jahres getrocknet war und zum Heizen benutzt werden konnte.
Georg schwang sich in das Führerhaus des Traktors, Franz nahm auf dem Notsitz über dem linken Hinterreifen Platz. Eine halbe Stunde später kamen sie auf dem Hof an. Der Bauer fuhr bis unter das Scheunendach und schaltete den Motor aus. Aus seiner Hütte kam der Hund gelaufen und begrüßte die beiden.
»Na, alter Racker«, sagte Georg und strich dem Tier über den Kopf. »Hast’ schön auf die Liesl und dein Revier aufgepaßt?«
Franz reckte seine Arme. Es war eine anstrengende Arbeit gewesen, die er und der Bauer hinter sich gebracht hatten. Schon am frühen Morgen, gleich nach dem Frühstück, waren sie in den Bergwald hinaufgefahren, um die Bäume zu fällen. Jetzt war es schon nach Mittag, aber gewiß hatte die Magd das Essen warmgehalten, und der Knecht freute sich schon auf den Eintopf.
Gemeinsam gingen sie ins Haus. Liesl hatte, als sie den Traktor hörte, den Herd noch einmal eingeschaltet und Brot abgeschnitten. Die beiden Männer wuschen sich die Hände und kamen in die Küche. Franz hob schnuppernd die Nase.
»Riecht lecker!«
Die Magd stellte den Suppentopf auf die Unterlage auf dem Tisch und den Brotkorb dazu. Für die Männer hatte sie Radler bereitgestellt, eine Mischung aus Bier und Limonade, sie selbst verzichtete auf ein Getränk.