Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Dany Laferriere. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dany Laferriere
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783884236291
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aber ich kann eine solche Entscheidung nicht alleine fällen. Nicht ohne den Verwaltungsrat. Was! Scheiße! Wie viele sind das? Sieben. Und wo sind sie? Im Urlaub, genau wie ich. Und wo? Ich weiß es nicht, Madame. Na schön. Die Managerin ruft daraufhin eine Firma an, die auf solche Notfälle spezialisiert ist. Diese Agentur hätte angeblich ohne weiteres Bin Laden auftreiben und für Bush an die Strippe bekommen können. Ihr letztes Kunststück bestand darin, die Tochter eines Vorstands von Canadian Pacific in Tanger aufzuspüren, einzig aufgrund der Information, dass sie die Sonne, den Sand und die Einsamkeit liebte. Sie hatte ihr Handy nicht dabei und keiner ihrer Freunde wusste, wo sie war. Die Agentur hat eine ganze Reihe Leute angerufen, um sie zu finden, darunter den Dalai Lama und den französischen Schriftsteller Jean-Marie Gustave Le Clézio. Diese Agentur hat auch in Rekordzeit alle Mitglieder des Verwaltungsrats vom Musée des Beaux Arts (die berühmte Siebenerbande) gefunden. Sie sind hocherfreut, wollen alle den Urlaub abbrechen, um Björk zu treffen. Die Managerin ruft Björk an: „Alles in Ordnung. Das Museum hält die Ausstellung für dich länger geöffnet.“

      Naive Maler

      Welche Voodoo-Maler hast du gemeint, Björk? Die mit der Ausstellung nach Montreal kommen. Aber man geht doch hin, um sich die Gemälde anzuschauen und nicht die Maler. Klar, aber die Leute wollen auch nicht nur meine Musik hören, sie verlangen, dass ich selbst da bin und sie vor ihnen spiele. Sie wollen den Koch sehen, aus diesem Grund wimmelt es im Fernsehen so von Kochsendungen. Sie wollen gleichzeitig den Modeschöpfer, das Kleid und das Mädchen sehen, das es an ihrer Stelle trägt. Sie wollen alles sehen. Das ist übrigens dein Job. Du hast dafür zu sorgen, dass man mich zu sehen kriegt. Erzähl mir nicht, du wüsstest das nicht. Was glaubst du denn! Dieses Telefon ist mir schon am Ohr angewachsen. Schön – und ich will die Voodoo-Maler sehen. Ich will sie kennenlernen, jeden Einzelnen von ihnen. Also gut, wenn es sein muss. Du denkst vielleicht, das sei Spinnerei, dann hast du bei mir aber nichts verloren. Spinnerei? Seit ich für dich arbeite, gibt es für mich keinen Unterschied mehr zwischen Realität und dem Reich der Phantasie. Du lebst nämlich in einer Märchenwelt, Björk, für dich ist sie normal, solide und du kannst dich in ihr bewegen. Ich aber muss sie Leuten verkaufen, deren Realität es ist, acht Stunden in ein Büro eingesperrt, in Grau gekleidet zu sein und zu glauben, alles sei käuflich, sogar das Imaginäre. Ich muss ihnen erklären, dass deine Welt realer ist als ihre, dass sie sich vor dir verneigen müssen, weil du eine Eisprinzessin bist. Das weiß ich doch alles, besorge mir einfach die Maler. Das ist bestimmt nicht leicht, denn wenn sie so bedeutend sind, wie du sagst, ist es ihnen scheißegal, ob du eine isländische Prinzessin oder der Clown vom Cirque du Soleil bist. Du sollst nicht die Maler, sondern die Leute von der Museumsverwaltung überzeugen. Das ist allerdings kein Problem. Das klappt bestimmt, Björk. Wir bitten sie, die Ausstellung ein oder zwei Tage zu verlängern. Mal lieber zwei Tage, schnauzt die Tournee-Managerin von Björk in ihr Handy. Einverstanden. Björk liebt Sie bereits. Der Angerufene auf den Bermudas wird rot. Und seine Röte färbt Paris, Berlin, London, Rom, Mailand, Sydney – man weiß nie, wo Björk sich gerade aufhält. Das kleine Mädchen, das einst mit einer Voodoo-Göttin gespielt hat wie mit einer gewöhnlichen Puppe, und zwar mit Erzulie Dantor, der schrecklichsten von allen, verwechselt heute die Weltkarte mit ihrem Kleiderschrank. Sie lebt in einem Paralleluniversum, wo die Tage die Namen von Städten tragen. Sie heißen nicht mehr Dienstag, sondern Berlin, nicht mehr Donnerstag, sondern Mailand. Der Kurator ruft zurück. Es tut mir unendlich leid, die Voodoo-Maler sind nicht bereit, die Rückreise wegen Björk zu verschieben. Ja doch, wir haben es ihnen erklärt. Sie scheinen die Tragweite nicht zu erfassen. Björk ist entzückt. Sie hatte nichts anderes von ihnen erwartet. Melbourne wird abgesagt. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass ein Konzert von Björk in letzter Minute abgesagt wird. Auf der Karte von Björk gibt es Melbourne nicht mehr. Man kann sowohl Tage als auch Städte verschwinden lassen. Die Voodoo-Maler haben nicht auf Björk gewartet. Die meisten von ihnen sind ohnehin schon tot. Sie sind Stars. Sie haben sich in ein winziges Zimmer eingeschlossen, dort sitzen sie, essen salzlose Kost, schalten das Licht nicht ein und richten das Wort nur an das Personal. Das Museum hat ihnen zwar sieben Zimmer zur Verfügung gestellt, aber sie wollen sich nicht trennen. Eine kleine Gruppe Männer mit Hut in einer Ecke. Im Halbdunkel zeichnen sich ihre Silhouetten an der Wand ab. Einer von ihnen ist Dewitt Peters, ein Amerikaner aus Boston, Englischlehrer am Lycée Pétion von Port-au-Prince, der sie alle gleich nach seiner Ankunft in Haiti aufgestöbert hat. 1944 bereist er die Insel. Auf der Straße nach Saint Marc sieht er eine seltsam bemalte Tür: eine Schlange mit dem Kopf eines Mannes. Damballah! Er betritt den Hounfourt und findet die Wände von Malereien bedeckt, als hätte er die Tür zu einer anderen Welt geöffnet. Es ist das Universum des großen Meisters der Voodoo-Malerei, Hector Hyppolite. André Breton war damals irre vor Begeisterung. Die Welt der Träume, zum Anfassen. Daraufhin verkündet Dewitt Peters, er werde ein Kunstzentrum einrichten.

      Als erster betrat Rigaud Benoît das Gelände des neuen Kunstzentrums, er war ein Taxifahrer aus Port-au-Prince und brachte das Selbstporträt Chauffeur de taxi mit, wo ihm ein kleiner Hut locker auf dem Kopf sitzt. Ihm folgte Jasmin Joseph, der stets Hasen malt – fünfzig Jahre nur Hasen. Jasmin Joseph und Rigaud Benoît, diese beiden gegensätzlichen Männer (der eine groß, mager, nervös; der andere klein, dick und lustig) sind seither immer zusammen, Hand in Hand sind sie zum Ruhm aufgestiegen. Eines Tages suchte ein Junge Arbeit, das Kunstzentrum brauchte gerade jemanden, der den Boden kehrt. Der Junge hatte auch die Aufgabe, jeden Morgen nach der Arbeit das Zentrum zu öffnen. Er schaute sich die ganze Zeit die Bilder an. Irgendwann beschloss er, den Besen gegen einen Pinsel einzutauschen und wurde als Castera Bazile bekannt. Als Dewitt Peters einen Freund besuchen wollte, der auf dem Land lebt, wählte er zufällig den Weg über Croix-de-Bouquets, eine kleine Stadt mit einem sehr geschäftigen Markt. Für Peters sind Friedhöfe Museen unter freiem Himmel, deshalb besucht er sie besonders gern. In Croix-de-Bouquets entdeckte er die schweren Kreuze von Georges Léautaud. Einfache Gräber. Und diese mächtigen Kreuze. Der große Bildhauer wohnte in der Nähe, Peters suchte ihn auf und überzeugte ihn am Ende, dass er ein Künstler sei. Das war nicht leicht, denn Léautaud liebt keine Scherze. Préfète Duffaut brachte eines Morgens seine erste „Imaginäre Stadt“ ins Kunstzentrum. Dazu erzählte er Pierre Monosier, dem jungen Assistenten von Peters, Erzulie (oder die Jungfrau Maria, dieser weiß es nicht mehr genau) habe ihm die Stadt der Zukunft gezeigt. Diese Stadt war zunächst unbewohnt – der Künstler brauchte zwanzig Jahre, bis darin Menschen auftauchten. In Petit-Goâve, einem Ort an der Straße nach Cayes, in den tiefen Süden, lebte ein Mann, der die Sprache der Hähne verstand und nur Alltagsszenen malte, wie direkt aus dem Marktleben gegriffen. Außerdem ein apokalyptisches Triptychon: Hölle, Fegefeuer und Paradies. Etwas später schloss sich ein magerer, agiler, ernster Mann mit einem Strohhut der Gruppe an: Salnave Philippe-Auguste war Richter in Saint-Marc. Er malt nur den Dschungel. Er eifert dem Zöllner Rousseau nach. Heute sitzen sie also in einem Zimmer des Ritz-Carlton. Sie haben alle ihren Pass in der Innentasche des Jacketts – und das Rückflugticket. Sie essen nichts. Sie warten darauf, abgeholt und zum Flughafen gebracht zu werden. Der Kurator erscheint, begleitet von einem kleinen Mädchen an seiner Hand. Das ist Björk, sagt er. Björk setzt sich auf das Bett. Der Kurator geht und schließt leise die Tür hinter sich. In dem Raum verändert mindestens zehn Minuten lang keiner seine Position. Dann steht Björk vom Bett auf. Sie sagt: „Ich möchte etwas für Sie singen.“ Schweigen. Und Björk singt eine Ballade. Danach einen Rocksong. Dann ein drittes Lied, diesmal in akzentfreiem Créole. Sie winkt. Ein Voodoo-Püppchen. Hector Hyppolite hebt sie hoch und steckt sie in die Innentasche seines Jacketts. Ein kleines schwarzes Püppchen mit leichten Schlitzaugen. Ein Paar kommt, um die Künstler abzuholen. Sie müssen sofort aufbrechen. Ein weißer Kleinbus wartet vor dem Hotel. Sie erreichen den Flughafen, gehen am Einwanderungsbeamten vorbei und gelangen in die Sicherheitszone. Die Koffer werden kontrolliert. Durchleuchtet. Am Ende findet man bei Hector Hyppolite eine Björk als kleine Schnitzerei aus Ebenholz. Diese Figur erhält später ihren Platz in einem Houmfourt von Croix-de-Bouquets. Midori plant schon, ein Voodoo-Püppchen zu werden wie Björk. Die einzige Möglichkeit, ein Star zu sein, ohne zu sterben.

      Objekte

      Kleine, schön geformte Objekte, hergestellt, um dem Auge und der Hand zu schmeicheln, findet man heute