Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Dany Laferriere. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dany Laferriere
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783884236291
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       Der magische Moment

       Bist du eine Nutte, Haruki?

       Das Hotelzimmer

       Der Tätowierte

       Cowboystiefel

       Hinter geschlossenen Lidern

       Ein vergessenes Geheimnis

       Die Gier nach Gold

       Ich bin nicht Borges und Herr Tanizaki ist nicht der Richtige

       Landschaft

       Die letzte Reise

      Der Schnellste

      Ich war ausgegangen, um frischen Lachs zu kaufen, in der Zwischenzeit hatte mein Verleger angerufen. Er wollte wissen, wie weit ich mit diesem verflixten Buch bin. Reden wir lieber von dem Lachs. Früher habe ich ihn nicht vertragen. Wenn ich Lachs aß, erbrach ich ihn zehn Minuten später wieder. Das letzte Mal ist es mir bei einer Freundin passiert. Ich verfehlte die Kloschüssel, putzte ihr Badezimmer und wusch mein Gesicht, bevor ich wieder ins Wohnzimmer ging. Da schwor ich mir endgültig, nie mehr Lachs zu essen. Na schön, dies ist nicht mein erstes gebrochenes Versprechen. Versprechen, die ich mir selbst gebe, verpflichten mich zu nichts – außer vielleicht, dieses Buch zu schreiben. Die Stimme des Verlegers auf Band klang ziemlich sauer, trotz aller Wärme, die er hineinlegen wollte. Ich kann ihn sogar verstehen. Er hatte keine Gewalt anwenden müssen, um mich zu diesem Buch zu überreden. Ich hatte sofort heftig genickt, als er sagte, ich müsste unbedingt ein neues Buch schreiben. Das Wort „neu“ ängstigt mich immer ein wenig. Warum muss es ein neues sein? Es dürfte sich in der Zwischenzeit herumgesprochen haben, dass es nichts Neues mehr gibt. Aber man hält daran fest. Der Kunde will immer etwas Neues. Ich werde diese Debatte nicht wieder aufnehmen, mein Verleger kennt sie zur Genüge. Wir diskutieren jedes Mal darüber, wenn wir uns treffen. Das findet in seinem winzigen Büro statt (eines Tages wird man ihn unter seinen bunt angestrichenen Manuskripten und roten Schmökern herausziehen müssen), manchmal auch in einem Café um die Ecke. Er ist ein großgewachsener junger Mann mit weltverträumten Augen und einem entwaffnenden Lächeln. Ab und zu fährt er sich mit beiden Händen durch die Haare, wie um die Wolken zu vertreiben, die darin hängen. Wir hatten das Café noch nicht erreicht, da hatte ich schon den Titel. Im Titeln bin ich gut. Kurt Vonnegut jr. hat angeblich zu seiner Frau über mich gesagt, und sie hat es mir erzählt (jetzt rede ich wie ein Journalist), ich sei der schnellste „Titler“ von Amerika. Der Schnellste im Titeln, einverstanden, aber ich wüsste gerne, in welchem Zusammenhang er das gesagt hat. Vonnegut redete immer zusammenhanglos, das war überhaupt seine Spezialität. Aber wer braucht schon einen Zusammenhang, um bei einem Essen der Beste zu sein? Billy the Kid: der Schnellste im Schießen. Da fehlt nichts, der Satz ist vollständig und steht für sich. Doch bleibt der Ton. Hat er es in ironischem Ton gesagt? Seine Frau schwieg sich darüber aus. Vielleicht meinte er, ich wäre nur gut im Titeln, so dass man nicht weiterlesen muss. Immer noch besser als ein schlechter Titel, bei dem man nicht weiterlesen will. Unvorstellbar viele gute Bücher werden wegen eines schlechten Titels zu Ladenhütern. Die wenigen Kommentare zu meinen Büchern, die ich in Buchhandlungen höre, beziehen sich zu 90 % auf den Titel. Die Leser fragen mich oft, wie mir so ein Titel einfallen konnte. Ich kann es nicht sagen. Ich sitze eine Weile und plötzlich ist er da. Es hat keine zehn Sekunden gedauert, aber er ist fix und fertig. Als hätte er an der Ecke auf mich gewartet. Suchst du einen Titel? Ihnen kann man auch nichts verheimlichen. Er springt mir an die Gurgel und gleich darauf steht er fett auf dem weißen Blatt. Ich sollte ihn lange betrachten, in alle Richtungen drehen und wenden. Jedes Wort, was sage ich, jede Silbe, jeder Buchstabe muss am richtigen Platz sein. Unabhängig davon, was für ein Buch es werden soll, die paar Wörter müssen es vertreten. Es sind die Wörter, die man am häufigsten sieht. Für die übrigen muss man das Buch aufschlagen, doch sie hat man immer vor Augen. Sie enthalten alle Wörter des Buchs. Nicht nötig, den Roman von García Márquez nochmal zu lesen, es reicht, Hundert Jahre Einsamkeit zu sagen, oder Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Proust (muss man Proust überhaupt noch erwähnen? Kennt nicht jeder den Titel?) und alle Bilder aus dem Buch ziehen vor unseren staunenden Augen vorbei, wie ein erleuchteter Vorhang, der uns von der unerfreulichen Wirklichkeit trennt. Sogleich kommt jene Zeit (die Tage im Café, die Nächte unter der Lampe) aus den Falten unseres Gedächtnisses wieder herauf, und in ihrem Gefolge die vielen neuen Eindrücke bei der Lektüre. Ein guter Titel, was für ein großartiges Passwort! Wenn man einen Titel vorschlägt, der einem gefällt, tut man das am besten mit Vorsicht. Gewöhnlich will der Verleger etwas über den Inhalt wissen. Worum geht es? Heute werden solche idiotischen Fragen tatsächlich noch gestellt. Bei meinem Verleger ist das anders. Er lehnt sich, weiterhin lächelnd, ein wenig an seinem Schreibtisch zurück. Ich nutze die Gelegenheit, mir ein paar Titel in der Umgebung anzuschauen. Nichts Gutes dabei. Also werfe ich ihm den meinigen lässig über den Manuskripteberg hinweg zu. Was? Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Kurze Stille. Breites Lächeln. Gekauft! Wir unterschreiben den Vertrag: 10 000 Euro für fünf kleine Wörter. In meiner Begeisterung erzähle ich dem Verleger die Geschichte mit Vonnegut jr. Wir planen schon eine Banderole „Der Schnellste im Titeln“. Aus Scham lassen wir es gleich wieder fallen. Das ist in Europa das Problem: Man fürchtet nichts so sehr wie die Lächerlichkeit. Aber nicht die Lächerlichkeit wird uns töten, sondern die Angst vor ihr. Wir haben die Banderole auch weggelassen, weil das französische Wort titreur für „im Titeln“ leicht missverständlich ist. Die meisten Leser würden wahrscheinlich tireur, „im Schießen“ lesen (schlecht, wenn man sich hier im Deutschen verliest) oder noch schlimmer, tueur „im Töten“. Eigentlich waren wir nur zu feige. Aber zurück zum Titel. Mein Verleger hat ihn in die Hand genommen wie ein Feuerzeug im Rauchverbot. Er hat ihn in alle Richtungen gedreht und gewendet. Mein Titel war immer gleich stark. Plötzlich schrieb er ihn auf das Tischtuch. Im Grunde ziemlich banal – bis auf das Wort „japanisch“. In meinem Fall nicht einmal ein Scherz, denn ich halte mich wirklich für einen japanischen Schriftsteller.

      Beim Fischhändler

      Ist der Titel gefunden, hat man das Schwerste hinter sich. Aber man muss immer noch das Buch schreiben. Darum kommt man nicht herum. Ich schwimme noch zwischen dem Titel und dem Buch. Befinde mich noch im Ungewissen. Jetzt kommt es darauf an, den Weg, der vor mir liegt, genau zu berechnen. Nicht zu schnell ins Innere des Themas vorzudringen. Du drehst und wendest die Bilder, die du in dem Buch sehen willst, in deinem Kopf hin und her. Du möchtest vor allem, dass sie dir ins Fleisch übergehen, sich mit deinem Blut vermischen, damit du mit Lust schreiben kannst, ohne viel nachzudenken. Es ist nicht leicht, einen Gedanken in eine Emotion zu verwandeln. Man ist ungeduldig, dabei vollzieht sich diese Wandlung nur langsam. Die Zeit kennt deine Ungeduld nicht. Daraus folgt eine diffuse Panik, die dich überallhin begleitet, sogar ins Fischgeschäft. Das Problem ist, du weißt nicht, wovon sich das Monster ernährt. Du gehst spazieren. Du setzt dich auf eine Parkbank und schaust zu, wie die Wolken ziehen. Du kuckst amüsiert einem kleinen Mädchen zu, das mit seinem Hund spielt. Du betrachtest den Himmel mit seinem tief hängenden Bauch voll schwerer schwarzer Gewitterwolken. Du ertappst dich dabei, selbst deinen Bauch öffnen zu wollen, um nachzuschauen, ob sich das Tier von Ängsten oder von Bildern ernährt. Du sitzt benommen da. Offen. Alles kann hereinkommen. Eine kurze Erholung. Du atmest die frische Luft. Du staunst