Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Dany Laferriere. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dany Laferriere
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783884236291
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Du bist anderswo, weißt nur nicht wo. Du nimmst jedes Detail viel zu wichtig. Wenn alles mit diesem Detail anfinge? Du ziehst eine Nummer und stellst dich im Fischgeschäft in die Schlange. Seit einer Weile hörst du nicht mehr, was man dir sagt, beobachtest aber die Leute genau, die nicht mit dir reden. Du bereitest dich darauf vor, alle anderen zu werden.

      Der Fischhändler, ein Grieche, berührte mich am Oberarm, während er mir, in braunem Papier gut verschnürt, den Lachs reicht.

      „Schreiben Sie gerade ein zweites Buch?“

      Ich habe vierzehn Bücher geschrieben, aber er ist beim ersten stehen geblieben. Seit zwanzig Jahren stellt er mir die gleiche Frage. Die Antwort interessierte ihn nicht. Er war schon beim nächsten Kunden. Nur um seine Reaktion zu prüfen, warf ich ihm beim Hinausgehen zu:

      „Ich bin ein japanischer Schriftsteller.“

      Jetzt schaute er mich wieder an.

      „Was heißt das? Haben Sie die Nationalität gewechselt?“

      „Nein, das ist der Titel meines neuen Buchs.“

      Er warf seinem Gehilfen einen leicht verunsicherten Blick zu, der junge Mann war damit beschäftigt, die verkaufte Ware zu verpacken. Mein Fischhändler schaut den, mit dem er spricht, nie direkt an.

      „Dürfen Sie das überhaupt?“

      „Das Buch schreiben?“

      „Nein, behaupten, Sie seien Japaner.“

      „Das weiß ich nicht.“

      „Haben Sie denn die Absicht, Ihre Nationalität zu wechseln?“

      „Auf keinen Fall. Das habe ich einmal gemacht, das reicht …“

      „Sie sollten sich informieren.“

      „Wo?“

      „Ich weiß nicht, bei der japanischen Botschaft. Oder können Sie sich vorstellen, dass ich eines Morgens aufstehe und meinen Kunden sage, ich sei über Nacht ein polnischer Metzger geworden?“

      „Wohl eher ein polnischer Fischhändler, da Sie doch in der Fischbranche sind.“

      „Schon gar kein polnischer Fischhändler“, sagte er, während er sich dem nächsten Kunden zuwendete.

      Einem Typen, der zu allem seine Meinung abgibt, gelingt es am Ende immer, dir einen Floh ins Ohr zu setzen. Ich werde dennoch meinen Verleger anrufen und ihn fragen. Es dürfte kein Problem geben.

      Ein Lachs in Panik

      Ich bereite den Lachs auf eine spezielle Art zu. Das hat mit dem Lachs nichts zu tun, das Problem bin ich. Ich gebe sehr wenig Wasser in einen Topf, mit etwas Zitronensaft, dünnen Zwiebelscheiben, frischem Knoblauch, Salz, Pfeffer, Chili und einer dicken roten Tomate, die ich später zerdrücke, damit nur der Saft bleibt. Das alles lasse ich nicht länger als drei Minuten kochen. Dann drehe ich die Flamme fast ganz runter und lege den Lachs vorsichtig in seiner ganzen Länge in die Sauce. Normalerweise würde ich die Küche verlassen und etwa zwanzig Minuten später zurückkommen, um den Reis und das Gemüse zuzubereiten. Aber jetzt bleibe ich wie angewachsen stehen und schaue zu, wie der Lachs bibbert. Und ohne jeden Grund mache ich mir Sorgen. Worüber? Über alles. Warum? Ich kann es nicht sagen. Man darf meine Fragen nicht zu ernst nehmen. Ich stelle andauernd Fragen und gebe die Antworten selbst, um zu vergessen, dass ich alleine bin. Sonst schweige ich. Fürchterlich, was man alles machen muss, nur um sich am Leben zu halten. Im Moment überrollt mich die Unruhe in solchen Wellen, dass ich darin ertrinken könnte. Schwitzend vor Angst. Ich beginne mir Sorgen um meine Mutter dort drüben zu machen. Ihre Stimme hat mir gar nicht gefallen, als wir das letzte Mal miteinander telefoniert haben. Eine kleine, brüchige Stimme. Ich weiß, meine Mutter hat nie eine kräftige Stimme besessen, aber diesmal hat sie besorgniserregend geklungen. Das ist schon gut einen Monat her, aber erst jetzt kommt die Wirkung. Ich hatte viel zu tun, das stimmt. Womit? Ich weiß es nicht mehr. Im Moment habe ich nichts anderes vor, als zuzusehen, wie mein Lachs köchelt. Eines betrübt mich besonders: Sie hätte es so gerne gehabt, wenn ich einen anderen, sicheren Beruf gewählt hätte. Und jetzt, mit über fünfzig, weiß ich noch nicht einmal, welche Sorte Schriftsteller ich bin. Daran hatte ich auch noch nicht gedacht: Wie werden sie es dort drüben aufnehmen, dass ich ein japanischer Schriftsteller geworden bin? Ich sehe zu, wie der Lachs langsam fest wird. Am Ende übertrage ich ihm immer meine Panik. Und dann muss ich wieder einen panickenden Lachs essen. Ich weiß nicht einmal, was mir Angst bereitet, ob es der Plan ist, ein neues Buch zu schreiben oder ein japanischer Schriftsteller zu werden. Daher die Grundsatzfrage: Was ist ein japanischer Schriftsteller? Ist es einer, der in Japan lebt und schreibt? Oder einer, der in Japan geboren ist und trotzdem schreibt (es gibt Völker, die sind glücklich, ohne die Schrift zu kennen)? Oder jemand, der nicht in Japan geboren ist, die Sprache nicht kennt, und plötzlich ein japanischer Schriftsteller werden will? Wie in meinem Fall? Ich muss es mir einfach einbläuen: Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Sonst bin ich dieser nackte Schriftsteller, der sich, nur mit einem Küchenmesser bewaffnet, in den Dschungel der Sätze wagt.

      Asien im Taschenformat

      Ich kenne niemanden aus Asien. Ich würde mit jedem Mädchen mitgehen, das Asie heißt, denn es klingt wie Seide. Bei Asien denke ich auch an eine blanke Waffe. Der Hals, schnell durchtrennt, eine Kette aus roten Blutstropfen. Wenn der Tod so rasch eintritt, ist das beruhigend. Ich denke an den asiatischen Kontinent wie ein Entdecker aus dem 19. Jahrhundert. Ich sitze in meinem Zimmer und stelle mir alles nur vor. Aber ich kenne diesen Typen, der immer im Square Saint-Louis herumhängt. Ich weiß nicht, wo er herkommt. Asien ist so riesig. Weiß er selbst es denn noch? Wenn einer so lange nicht in sein Land zurückgekehrt ist, verliert die Herkunft ihre Bedeutung. Was nützt es, wenn du aus einem Land bist, aber nicht einmal mehr dessen Sprache sprichst?

      „Du bist nicht zufällig Japaner?“

      „Korea. Ich bin Koreaner.“

      „Japan, Korea, ist das nicht das Gleiche?“

      Er wirft mir einen wütenden Blick zu.

      „Dabei hatte ich immer den Eindruck“, bemerke ich, „dass ihr was gemeinsam habt.“

      „Was denn?“

      „Asien.“

      Ich liebe einfach dieses Wort. Der Kontinent, der Amerika am nächsten liegt. Der eine ist zu alt, der andere zu neu. Beide beginnen mit dem Buchstaben A.

      Ich hatte einen Menschen aus Fleisch und Blut vor mir, aber ich kümmerte mich nur um Bezeichnungen. Das ist meine europäische Seite.

      „Was willst du eigentlich?“

      „Ich möchte eine japanische Erfahrung machen …“

      Der Koreaner war nicht sicher, ob ich scherze. Ich blieb ernst: Für mich ist einfach alles ernst und nichts ist es wirklich. So nehme ich das Leben. Nicht einmal bei mir selbst kann ich unterscheiden, was wahr und was falsch ist. Ich mache dazwischen keinen Unterschied mehr. Im Grunde langweilen mich diese Geschichten um Authentizität zu Tode. Echt. Wenn man in meiner Anwesenheit von Herkunft spricht, bleibt mir buchstäblich die Luft weg. Man wird an einem Ort geboren, danach wählt man aus, wo man herkommt. Plötzlich schien der Typ zu verstehen, was ich suche.

      „Kamasutra.“

      „Das ist Indien.“

      „Ich weiß, aber alle Welt denkt, es sei japanisch.“

      „Ich bin nicht alle Welt.“

      „Was willst du also?“

      „Wissen, wie es dort ist … Die Gerüche, die Farben, die Berührungen …“

      „Ich kenne einen jungen Transvestiten.“

      „Ein Mädchen wäre besser.“

      „Chinesische Zwillinge?“

      „Von China war nicht die Rede.“