Das kalte Licht. Ludger Bollen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludger Bollen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863935436
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flüsterte ihm einige Dinge ins Ohr, die ihren Eindruck auch nicht verfehlten, denn er blieb für diesmal stumm.

      „Bei alledem“, fuhr Ulrich fort, „war es einfach mein Bestreben, über gewisse Dinge, die mir bei der Untersuchung aufgefallen waren, Klarheit zu erlangen. Wenn ich auch das meiste nicht enträtseln konnte, so fand ich umgekehrt doch Hinweise darauf, dass die Art der Verletzung und der weitere Zustand des Leichnams nicht recht mit dem angenommenen Unfallhergang übereinstimmen wollten, und ich hielt es für meine Pflicht, dies in Ausführung meiner Aufgabe mitzuteilen.“

      „Nun, für mein Teil schien mir die Vermutung, von Brempt sei einfach nur von dieser Brücke gestürzt, durchaus einleuchtend. Bedenkt doch nur die Eisglätte und den kräftigen Wind in jener Nacht“, ließ sich Ratsherr Bruwer vernehmen, „Wollt Ihr, für uns alle verständlich, noch einmal erklären, warum Ihr diese allgemein verbreitete Sicht der Dinge nicht teilen wollt?“

      „Da wäre zum einen die Schädelverletzung, welche den Tod herbeiführte und die ich mir nicht durch einen Sturz erklären kann“, begann Ulrich. „Wohl wurde der Schädelknochen durch einen schweren Schlag zertrümmert, die Wunde lag jedoch recht weit unten am Hinterhaupt. Wollten wir annehmen, sie sei bei einem Sturz kopfüber entstanden, wobei der Schädel als Erstes auf der Eisdecke aufprallte, so hätte dies meiner Ansicht nach einen Genickbruch zur Folge haben müssen. Der Hals war aber ganz unversehrt!“

      „Könnte der Hinterkopf nicht unglücklich auf der Kante einer Eisscholle oder auf einem anderen Hindernis aufgeschlagen sein?“, wandte Schilling ein.

      „Eben dieser Gedanke verfolgte mich auch, weshalb ich in Begleitung des Soldaten Krayenbrink – einem der Männer, die in der Nacht zuvor den Leichnam fanden – den Schauplatz unter der Fleetbrücke untersuchte. Er konnte sich gut erinnern, wie der Körper gerade vor der Brückenmitte auf dem Rücken gelegen hatte, und da wir an dieser Stelle das Eis vom Schnee befreiten, entdeckten wir, wie es eben dort tatsächlich von einem Riss durchzogen war. Dieser Sprung im Eis muss entstanden sein, als der fallende Körper aufprallte! Wir wissen also um die genaue Lage des Toten. Das Fleeteis dort war bis auf ein einziges Hindernis, welches herausragte, völlig glatt. Auf diesem Grat jedoch kann der Hinterkopf wiederum nicht aufgeschlagen sein, da er von Schnee bedeckt und unberührt da lag!“

      Alle schwiegen hierauf und er spürte, wie sie in Gedanken den Widerspruch erwogen, den er vorgebracht hatte.

      „Ihr räumt aber nach eurer Schilderung ein, dass der Ratsherr von der Mitte der Fleetbrücke stürzte?“, fragte Haich schließlich.

      „Sein Körper fiel von dort oben, doch denke ich nicht, dass er unglücklich gestürzt ist!“

      „Wie?“

      „Als ich an jenem Abend mit dem alten Soldaten die Brücke aufsuchte, war es in der Tat mühsam, sie zu betreten, denn die Bohlen waren rutschig und …“

      „Nun, Ihr sagt es doch selbst!“, fuhr Haich dazwischen, aber Ulrich ließ sich nicht beirren und fuhr fort, „ … und ich drohte beim Begehen der Brücke ebenso auszugleiten, wie es mir Stunden vorher auf der Hohen Brücke vom Hafenkai zum Schaarmarkt passiert war. Sie ist nun freilich viel länger und breiter, aber doch auf gleiche Weise bogenförmig ausgeführt, so dass ein jeder, der sie überquert, hier wie dort, erst ein Stück Weg aufwärts zu gehen hat, wohingegen man zum anderen Ufer hin auf die gleiche Weise wieder abwärts schreiten wird.“

      „Ich denke, ein jeder hier im Raum weiß eine Brücke zu überqueren“, spottete Haich.

      „Oh, ganz zweifellos. Ich merkte mir aber an jenem Tag besonders folgende Begebenheit: Nur so lange ich aufwärts oder mehr noch auf der anderen Seite wieder hinunter schritt, lief ich tatsächlich Gefahr zu stürzen. Nahe dem Scheitelpunkt des Brückenbogens, also auf meines Weges Mitte, konnte ich ohne Steigung oder Gefälle sicher und geschwind ausschreiten. Deshalb“, erklärte Ulrich und richtete dabei seinen Blick auf den hartnäckigsten Fragesteller im Raum, „deshalb will es mir nicht einleuchten, dass der Ratsherr ausgerechnet auf der Brückenmitte das Gleichgewicht verloren haben soll!“

      „Aber der Hut“, warf Ratsherr Harderust ein, „sein Hut wurde an der gegenüberliegenden Böschung gefunden. Er wurde ihm vielleicht durch einen heftigen Windstoß vom Kopf gerissen, und als er sich vorbeugte, ihn wieder zu ergreifen …“

      „Nein, das ist nicht gut möglich!“

      Alle starrten ihn an und in ihren Blicken las er den drängenden Wunsch, dass sie erfuhren warum.

      „Die Hutkrone trug an ihrer Innenseite eine Blutspur, die ohne Zweifel von der blutenden Kopfwunde herrührte. Wäre der Hut unmittelbar vor dem Sturz davon geweht, wie Ihr vorschlagt, hätte er aber völlig unbefleckt sein müssen. Er kann also erst hinterher in die Böschung geraten sein!“

      Er blickte in die Gesichter der Elf, und ihre Mienen wirkten jetzt unsicher und schwankend, wenn nicht ratlos.

      „Da ist noch etwas Merkwürdiges, junger Mann“, ergriff Nybur das Wort. „Wenn wir das Rätsel dieses Huts und der tödlichen Schädelwunde einmal außer Acht lassen, so schreibt Ihr in eurem Bericht, das Fehlen weiterer Wundmale am Körper spräche gegen einen tödlichen Sturz!“

      „Richtig“, fiel Haich triumphierend ein, „und vorhin gerade sagtet Ihr, er sei von dort oben gefallen – wollt Ihr uns diesen Widerspruch vielleicht erklären?“

      „Es ist dies nur dann ein Widerspruch, wenn wir annehmen, dass ein Lebender von dieser Brücke stürzte, ich aber denke, dass von Brempt bereits tot war, als er fiel und dass jemand anderer seinen Leichnam von der Brücke auf das Fleeteis warf!“

      Es war ein unerhörter Satz, den er gesprochen hatte. War es bis hierhin noch weitgehend ruhig und gesittet zugegangen im Ausschuss, so riefen nun alle wild durcheinander. Die einen bestürmten ihn sogleich mit weiteren Fragen, ohne achtzugeben auf die Nachbarn am Tisch, die gleichfalls mehr wissen wollten. Andere aus der Versammlung mussten einfach nur ihrer Überraschung Ausdruck geben und riefen diese laut heraus. Schilling hatte Mühe, die Gemüter soweit zu beruhigen, dass Hesenius fortfahren konnte in seiner Antwort.

      „Ich schrieb, es sei ausgeschlossen, dass ein solcher Sturz, gut zwei Klafter tief auf harten Grund, nicht auch an anderer Stelle, sei es an Armen, Beinen oder am Rumpf, weitere Male hinterlassen hätte. Ein jeder von Euch Herren kennt dies: Wer einen wahrhaft schweren Stoß erleidet, wird alsbald auch eine schmerzhafte Beule an der betroffenen Stelle fühlen! Das Blut ergießt sich aus geplatzten Äderchen und tritt in das umliegende Gewebe aus, welches erkennbar anschwillt. Die Körpersäfte im Gewebe eines Toten jedoch verhalten sich nicht länger so: Einige Zeit nach dem Ableben wird man feststellen, dass die Haut des Toten kaum noch sichtbare Wundmale annimmt, selbst wenn sie übel misshandelt wird. Da der Sturz zweifelsfrei erfolgt ist, die dazugehörigen Prellungen und Abschürfungen der Haut jedoch fehlen, glaube ich, die einzig mögliche Erklärung für alles liegt darin, dass von Brempt zum Zeitpunkt, da sein Körper auf die Eisdecke prallte, bereits tot war!“

      Auch hierauf sprachen wieder alle durcheinander, aber es war mehr ein allgemeines Gemurmel oder gar ein Geflüster, bei dem die Herren die Köpfe zusammensteckten, sich untereinander austauschten und ihre Ansichten und Meinungen verglichen.

      Moritz rinck, der Ulrichs Ausführungen bis hierhin wohlwollend zugehört, dabei aber mehr geschwiegen hatte als die meisten, reckte sein fülliges Haupt aus dem Kreis der anderen empor und richtete endlich auch das Wort an Ulrich.

      „Junger Hesenius, Ihr habt uns manches vor Augen geführt, was nicht recht zusammenpassen will, und soeben einen ganz unerhörten Ablauf der Dinge angedeutet. Wenn Ihr in dieser Begebenheit, über die wir heute beraten, alles zusammennehmt und eure Schlussfolgerung zieht – was glaubt Ihr, könnte Heinrich von Brempt an jenem Abend tatsächlich zugestoßen sein?“

      Bruwer, Mölln und andere fielen ein und bald verlangten alle, dass Hesenius offenbarte, wie die düstere Begebenheit vonstattengegangen wäre.

      Ulrich sammelte seine Gedanken. Es war wichtig, dass er auch jetzt die richtigen Worte fand.

      „Ehe