Das kalte Licht. Ludger Bollen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludger Bollen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863935436
Скачать книгу
geendet hatte.

      „Bei Gott Hesenius“, flüsterte Rinck für sich und war dabei doch laut genug, dass alle es hörten, „ich glaube fast, Ihr habt in allem recht. Unser guter Heinrich, wenn wir doch nur wüssten, …“ Er beendete den Satz nicht, doch allen war es gewiss, dass er nach denen fragte, die ein solches Verbrechen begangen hätten.

      „Ein Letztes noch, ihr Herren“, nahm Ulrich seine Rede noch einmal auf, „es mag einigen hier schwerfallen, das Geschehen so zu betrachten, wie ich es tue, denn es hieße, wir hätten einen abscheulichen Mord aufzuklären anstatt dass wir einfach nur ein Unglück betrauern, wie anfangs ein jeder – ich selbst eingeschlossen – dachte. Der Ablauf der Dinge, so wie ich ihn eben zu schildern und zu zeigen versuchte, erklärt aber nicht nur vieles, was sonst unverständlich bliebe, es erübrigt auch ganz und gar eine Frage, die sonst unvermeidlich zu stellen wäre: Welchen Grund hätte Heinrich von Brempt gehabt, nächtlich diese abgelegene Brücke aufzusuchen? Dahinter sind bestenfalls verschneite Felder oder weiter östlich das große Alsterfleet zu finden.“

      Nicht jeder schien sich bislang diese Frage gestellt zu haben, aber nun, da Ulrich sie offen ausgesprochen hatte, grübelten sie vergeblich, und die Lösung, so wie Ulrich sie vorgegeben hatte, stand ihnen nur umso deutlicher vor Augen.

      „Nun gut“, verkündete Schilling und blickte sich bedächtig um, „wenn von den Anwesenden niemand eine weitere Frage hat …?“

      Er blickte nacheinander alle an, doch niemandem wollte neuerlich etwas einfallen. Selbst Haich, der sonst nicht um Einwände gegen Ulrichs Rede verlegen war, biss sich schweigend auf die Lippen.

      Schilling brach das allgemeine Schweigen: „Die Versammlung bittet den jungen Hesenius jetzt, uns einige Minuten allein zu lassen, damit wir weiter in vertraulicher Runde beraten können. Ihr werdet anschließend unseren Beschluss in dieser Sache vernehmen.“

      Lengsdorp, der während der langen Befragung das eine oder andere Mal versteckt geschmunzelt hatte, wenn Ulrich die Fragen anderer parierte, schien überaus zufrieden mit dem Verlauf der ganzen Unterredung. Er führte Hesenius zur Tür, bat ihn um etwas Geduld und setzte verschwörerisch flüsternd hinzu, er möge, falls er von den Herren um einen weiteren Dienst gebeten werde, einfach nur mit einem vernehmlichen „Ja“ antworten.

      Und so wartete Ulrich vor der Amtsstube, zog sich dabei aber soweit zurück, dass seine Ohren nicht weiter hören konnten, was drinnen gesprochen wurde. Wohl vernahm er noch, wenn jemand laut genug die Stimme erhob, und so war ihm einmal, als würden Haich und Lengs-dorp Worte wechseln, oder die dunklen Bassstimmen von Schilling oder Bruwer fielen ein und schallten herüber zu ihm.

      Er wünschte sich bald eine der guten Taschenuhren, wie sie vermutlich ein jeder dieser Herren bei sich trug, um seine Ungeduld in Minuten abzumessen, aber nachdem solcherart die Zeit für ihn zäh dahin geflossen war, wurde er schließlich doch, wie angekündigt, hereingebeten, und nun gingen die Dinge auf einmal so rasch vonstatten, dass er das Gefühl bekam, er müsse nur gleichsam auf einen Wagen aufspringen, der längst begonnen hatte zu rollen.

      Nybur war aufgestanden und trug ihm den Beschluss der Runde vor. Der Ausschuss sehe sich verpflichtet, sprach er, wegen der ungeklärten Umstände, welche den Tod Heinrich von Brempts überschatteten, weitere umfassende Aufklärung anzugehen, nach Schuldigen eines möglichen Verbrechens zu suchen und diese, wenn möglich, einer gerechten Bestrafung zuzuführen.

      „So ergeht unsere Bitte an den hier anwesenden Ulrich Hesenius“, schloss er seine kurze Rede, „welcher durch seine Vorarbeit wesentlich zu unseren Erkenntnissen beigetragen hat, sich weiterer Ermittlungen anzunehmen. Und daher frage ich Euch: Wäret Ihr gewillt, diese Aufgabe als die eure anzunehmen und dem Rat der Stadt Hamburg hierin mit eurem Wissen und euren Fähigkeiten zu dienen?“

      Wenn Ulrich anfangs während der Befragung Aufregung verspürt hatte, so war sie doch rasch gewichen, da er in jedem Moment zu antworten vermochte, wie es ihm Klugheit und Wissen eingaben. Doch nun, da man im Begriff stand, eine Verantwortung auf seine Schultern zu laden, wie er sie zuvor nie getragen hatte, wollten die Worte nicht recht über seine Lippen kommen. Er blickte unschlüssig zu Lengsdorp hinüber, der unmerklich nickte, und hörte sich endlich sagen: „Ihr Herren, wenn es dem Wunsch des Rates entspricht, so bin ich bereit!“

      Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich daraufhin in der Runde. Abgesehen von Haich, der seine Stimmung nicht nach außen kehrte, schien ein jeder über diesen Ausgang der Sitzung erleichtert. Borsfeld machte ein überaus zufriedenes Gesicht, und Moritz Rinck wollte ihm sogleich die Hand schütteln.

      „Wenn die Herren erlauben“, meldete sich van’t Hok, der zuvor so stille Protokollführer, zu Wort, „und bevor wir die Versammlung auflösen, gebe ich Folgendes zu bedenken: Sofern der junge Hesenius tatsächlich recht haben sollte mit seinen Vermutungen, hätten wir es mit einem abscheulichen Verbrechen zu tun und die Suche nach den Schuldigen könnte am Ende für ihn zu einer allzu gefährlichen Unternehmung geraten. Daher sollte er, ehe wir uns allzu rasch seiner Dienste versichern, noch einmal Gelegenheit haben, sich zu bedenken!“

      Ulrich war, nachdem er einmal soweit gekommen war, entschlossen, den neuen Einwand abzuwehren, aber Lengsdorp, der nachdenklich dreinschaute, wusste die Sache anders anzugehen.

      „Mir scheint, unser Schreiber hat vollkommen recht. Wenn wir auch nach unserem Willen einen Ermittler bekommen haben, so mag es bei dieser Aufgabe am Ende gar bedrohlich zugehen, was wir nicht ausreichend bedacht haben. So wie ich den jungen Hesenius einschätze, wird er freilich von der einmal übertragenen Aufgabe nicht zurücktreten wollen, und doch stehen wir alle hier auch in der Verantwortung für seine Sicherheit. Ich schlage daher vor, ihm jemanden zur Seite zu stellen, der unerschrocken und erfahren ist und auf dessen Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit wir bauen können. Borsfeld, Ihr habt doch gewiss einen Wächter in euren Reihen, der geduldig zu folgen versteht, aber im Notfalle ebenso hart zuschlagen kann, wie?“

      „Meine Leute stehen alle im Dienst. Ich habe kaum genug, die vielen Märkte und des nachts alle Rundgänge zu beschicken“, antwortete der Weddeherr, „aber unter den ausgemusterten Veteranen wiederum würde sich mancher über solch ein kleines Zubrot freuen. Ihr bekommt also euren Mann, wenn alle hier dies wünschen.“

      Niemand erhob Einwände. Auch Hesenius, der noch ein wenig betäubt schien von der Plötzlichkeit, mit der sich die Aufgaben in seinem Leben verändert hatten, nahm den Beschluss hin, ohne recht zu wissen, ob ihm dieser nun gefiel oder nicht.

      Nachdem Schilling die Versammlung für beendet erklärt hatte, verabschiedeten sich nach und nach alle und verließen die Ratsstube. Rinck, Mölln und Kerkring, die unter den Letzten waren, die gingen, beglückwünschten Ulrich allesamt mit warmen Worten zu seiner neuen Aufgabe und wünschten ihm ein gutes Gelingen.

      Als er mit Lengsdorp allein war, sah Ulrich den Moment für eine Aussprache zwischen ihnen beiden gekommen.

      „Ihr hattet alles geplant, nicht wahr?“, begann er, „meine Vorladung für den heutigen Tag, der Beschluss, den die Versammlung fasste, das war alles euer Werk!“

      „Soweit es in meiner Macht lag, ja“, antwortete Lengsdorp ehrlich, „aber ohne Euch und euer Geschick wäre es vergeblich gewesen. Ich bin ein guter Menschenkenner, Hesenius. Ich wusste spätestens, als Ihr bei unserer ersten Begegnung diesen unwirklichen, fahlen Lichtschimmer entdeckt hattet, dass ich mich nicht in Euch getäuscht hatte. In unseren Kreisen gibt es viele kluge Köpfe, aber wir haben unsere Augen und Ohren geschärft für den Handel. Wir sind klug darin, dass wir den Nutzen eines Geschäfts abmessen können, und wir haben es stets verstanden, unsere Rechte zu verbriefen gegenüber anderen, die Gleiches wollen.

      Euer Scharfsinn aber kommt aus einer anderen Welt. Ihr betrachtet die Rätsel vor Euch mit den Augen der Wissenschaft, weshalb Ihr Dinge aufspürt, die anderen verborgen bleiben – und das ist es, was uns vielleicht helfen wird, den Tod meines Freundes aufzuklären.“

      „Haich denkt nicht so, und wer weiß, am Ende könnte er sogar recht behalten. Was wird sein, wenn ich keinen Hinweis auf die Mörder unseres Ratsherrn finden kann? Wie, wenn ich gar die bisherigen Spuren falsch gedeutet hätte, und