Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
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die er hat. Steht da im Shirt, im März, in der Sonne und sieht aus, als hätte die Welt immer die richtige Temperatur für ihn. Wollte er mich mit dem Miley-Vergleich verarschen oder war das ein Kompliment? Hat er das ernst gemeint, dass die Frisur gut aussieht? Und was hat er wohl gedacht, als er gesehen hat, dass ich gehe? Er hat mir nicht hinterhergerufen.

      Ich hab’s verkackt, und zwar so richtig. Monatelang hab ich gewartet, so viele graue Montage und Dienstage, nicht enden wollende Donnerstage, nicht ein einziges Mal hat Maja geschwänzt, nie war er allein, und dann das. Ich fühle mich, wie wenn man eigentlich weinen muss, es aber nicht geht.

      »Was ist los?«, fragt Spin und stößt mir seinen Ellbogen in die Rippen.

      »Nichts.«

      »Bist du grantig, weil wir zum Alten müssen?«

      Ich zucke mit den Achseln und gebe keine Antwort. Ich kann nichts sagen, sonst kommen die Tränen wirklich. Mitten im Bus, zwischen den anderen Schülern. Wahrscheinlich würden mich gleich drei Leute filmen und ein Meme aus mir machen. When you want to enjoy your weekend but you have no fresh underwear, und darunter ich, wie ich heule.

      Spin wendet sich wieder seinem Handy zu. Ich könnte schauen, mit wem er chattet, könnte alles lesen, er sitzt direkt neben mir, aber ich hab keinen Platz dafür in meinem Kopf. Außerdem geht es mich nichts an.

      Vielleicht mag Jonathan mich doch noch.

      Vielleicht hätte ich nicht weglaufen sollen.

      Ich lege meinen Kopf an die Scheibe, draußen zieht der Wochenendverkehr vorbei. Am Montag ist Maja bestimmt wieder da.

      Als Reto bei uns einzog, bekam Mama dieses Glitzern in den Augen. In den ersten Tagen dachte ich ständig, sie weint gleich. Mein Körper spannte sich an, wegen des Pflichtgefühls, sie in den Arm zu nehmen, aber da waren gar keine Tränen. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass ich sie nur noch nie verliebt gesehen hatte.

      Sie fing mich an der Badezimmertür ab, zwei Wochen nachdem er mit Sack und Pack vor unserer Tür gestanden hatte, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

      »Weißt du, Chloé«, raunte sie, »ich muss das jetzt einfach tun, für mich.«

      »Wovon redest du?«, fragte ich, ich wollte ins Bett.

      Ich hatte nicht gewusst, dass man nicht nur von körperlicher Anstrengung, sondern auch vor lauter Gefühlen müde sein kann.

      »Er ist gut zu mir, und ich …«

      »Der Fitnessfuzzi?«

      »Reto. Er heißt Reto.«

      »Ich weiß doch, wie er heißt. Auch wenn ich sonst so gut wie nichts über ihn weiß.«

      »Ihr werdet euch sicher noch besser kennenlernen. Er mag euch ja total gern und ist da auch sehr offen.«

      »Ja, schön, Mama.«

      Sie schaute mich an, sie war noch geschminkt, obwohl es fast Mitternacht war. Vielleicht ging sie mit Mascara und Rouge schlafen, seit Reto neben ihr im Bett lag, wie die Frauen in den Filmen, die man nie so sieht, wie echte Frauen nachts nun mal ausschauen, nämlich scheiße. Ich wich ihrem Blick aus und starrte auf meine Zehen.

      »Ich weiß, ich hab euch ein bisschen überrumpelt«, sagte sie, »das war auch alles nicht so geplant. Manchmal muss man eben … also wenn einen die Liebe …«

      Sie hob mein Kinn an, sodass ich ihr in die Augen sehen musste. Sie lächelte, und das mit dem Glitzern wurde schlimmer. Aber da hatte mein Körper schon gelernt, dass sie nicht traurig war und keine Zuwendung brauchte.

      Nur meinen Segen, den brauchte sie, das begriff ich.

      »Ihr seid sowieso bald fort, ihr seid ja jetzt schon kaum zuhause«, sagte sie, »und wenn ihr auszieht, bin ich …«

      Sie hob die Schultern, ließ sie wieder sinken. Sie trug eins dieser seidenen, schimmernden Ensembles in hellrosa mit weißer Spitze, darüber einen kurzen Kimono in derselben Farbe. Ich hatte ein ausgewaschenes Nirvana-Shirt an und Boxershorts. Sie ließ mein Kinn los, ich hielt still.

      »Ist doch gut, Mama«, sagte ich, und sie sah tatsächlich erleichtert aus.

      »Ach, Chloé, ich bin total verli–«

      »Wenigstens trinkst du jetzt abends nicht mehr so viel«, sagte ich, duckte mich unter ihrem Arm hindurch und ging ins Bett.

      Papas Wohnung ist ein Saustall. Das kann nicht einmal Tante Lisi ändern. Er macht alles schneller dreckig, als sie ihm hinterherputzen kann. Und ich glaube, er macht das absichtlich. Früher war Papa nämlich nicht so eine Sau. Er war auf Sauberkeit und Ordnung bedacht, manchmal hat er mich wahnsinnig gemacht mit seinen ständigen Befehlen, mein Zimmer aufzuräumen, den leer gegessenen Teller in den Geschirrspüler zu stellen, die Couchkissen aufzuschütteln.

      »Das hat mit Respekt zu tun«, sagte er stets, »Respekt vor dir selbst. Wie in deinem Umfeld sieht es auch in dir drin aus.«

      Nice, Papa. In dir drin ist also pure Verwahrlosung.

      »Was wollt ihr essen?«, fragt Papa und zieht die beschrifteten Tupperdosen von Tante Lisi aus dem Kühlschrank.

      Für jedes zweite Wochenende bereitet sie Gerichte vor, die Spin und ich mögen. Fleisch! Knödel mit Speck, Rindsrouladen, Schnitzel. Gebraten in Butter. Alles, was es zuhause nicht mehr gibt, seit Reto bei uns wohnt. Mama hat auch vorher auf die Ernährung geachtet, auf ihre und unsere, es gab wenig Fett und Zucker, dafür Vollkornbrot und Dinkelnudeln, viel Gemüse. Aber Reto hat die Eier von unserem Speiseplan gestrichen, Spiegelei, Rührei, die Milch für mein Müsli, die Butter von meinem Brot, Palatschinken, Topfencreme, Schafskäse. Mama ist selig, dass sie jetzt zur Community gehört, dass sie den Hashtag #vegan benutzen kann auf Instragram, zusammen mit #foodporn #ohsoyummy #eathealthy. Der einzige Hashtag, der mir dazu einfällt, ist #fuckyou.

      Es ist schlimm genug, dass meine Freunde diesen Social-Media-Limbo mitmachen. Aber bei der eigenen Mutter ist es eine virtuelle Apokalypse. Sie ist mit meinen Schulkameradinnen connected, die finden Mama cool. Die folgen ihr und liken jeden Schmarrn, den Mama postet. Dadurch wissen alle in meiner Klasse Bescheid. Dass sie einen Avocado-Toast gegessen hat. Wo sie trainiert. Was sie dabei anhat.

      Und zuhause essen wir Tofu. Sojajoghurt, Zucchinispiralen, Salat mit Blumen, pürierte Himbeeren mit Reissirup. Mama und Reto kochen gemeinsam, wenn man das Raspeln von Gemüse kochen nennen kann, kichern dabei und greifen sich gegenseitig an den Hintern. Dann stellen sie das Grünzeug auf den Tisch, inszenieren und fotografieren es. Sie posten die Bilder und kauen betont genießerisch, mit lautem »Mmmh« bei jedem Bissen. Das hat was mit Achtsamkeit zu tun, man muss sich dabei benehmen, als hätte man noch nie was im Mund gehabt, als hätte man die Fähigkeit zu essen und zu schmecken gerade erst entdeckt, was den Mandelmilchpudding auf der Zunge zum Höhepunkt des Tages macht, zu einem Orgasmus der Geschmacksknospen. Kaum sind sie fertig, schnappen sie ihre Handys, checken Retos Fitness-Page und Mamas Lifegoals-Achieved-Account, ob es schon Likes gibt und wie viele, sie tragen die Kalorien in ihre Apps ein und verziehen sich nach oben. Kurze Zeit später hört man Poltern und Stöhnen. Bei uns zuhause sind die Erwachsenen die smartphonesüchtigen, triebgesteuerten Teenager. Spin und ich räumen die Teller ab, sehen zu, dass wir außer Hörweite kommen, und ich fantasiere von einem saftigen Cordon Bleu, aus dem dicker Käse quillt.

      Papa dagegen wird immer fetter. Er hat sich gehen lassen, seit er ausgezogen ist, und das Essen von Tante Lisi tut das Übrige. Er macht keinen Sport mehr, er achtet nicht auf sein Äußeres, dabei war es ihm früher so wichtig. Papa war einer, der lachsfarbene und türkisfarbene Hosen anzog und diese ledernen Slipper, dazu Polohemden, die Haare trug er einen Tick zu lang, in fedrigen Wellen, die Haut stets leicht gebräunt. Typ Segler und Golfer, gediegen, fesch. Und es sah gut aus an ihm. Sonntagmorgen ging er laufen, egal, bei welchem Wetter, und egal, ob wir gern einen Familienausflug gemacht hätten. Er aß ein weiches Ei zum Frühstück, danach zog er sich die Turnschuhe an.

      »Das ist wichtig für mich«, sagte er, als müssten wir das verstehen, wenn wir doch in Wahrheit nur verstanden,