Der Kinderkreuzzug. Konrad Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Konrad Falke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849628666
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eigenen Manne den Tod, nur um sich an ihm und ihr rächen zu können.

      »Öffnet das Tor! – Gebt Obdach den jungen Rittern des Kreuzes, die nach dem heiligen Lande ziehen! – Öffnet im Namen unseres Herrn Jesus Christus, öffnet!«

      Helle Jünglingsstimmen dringen durch die kühl vor dem offenen Fenster hauchende Nacht. O, wie da die Magd sich emporrafft, in der Herdglut eine Kienfackel in Brand steckt und hinausrennt! . . . »Bleib!« herrscht die Bäuerin, welche merkt, daß sie auf Hilfe hofft – aber schon sieht sie die Fackel als feurigen Streifen durch den Hof fahren und hört, wie der Riegel zurückgeschoben wird.

      In den Schein der still auflohenden Flamme treten drei magere, hochgewachsene Knaben herein, wie Hirten in Felle gekleidet. Auf der schmächtigen Brust eines jeden spricht ein weißes Kreuz seine stumme Sprache. Sie kommen, von dem Frieden einer andern Welt umstrahlt.

      »Gehört ihr zu der frommen Schar, die ein Knabe Stephan wirbt, um Jerusalem den Heiden zu entreißen?«

      »Das hier ist er selber, unser Führer!« rufen zwei der Knaben fast gleichzeitig und zeigen auf den dritten in ihrer Mitte. »Christus ist ihm erschienen! Seit acht Tagen tragen wir seine Botschaft durch die Welt.«

      »Dann tu ein Wunder, guter Jüngling!« wirft sich die Magd vor ihm auf die Knie und küßt aufweinend sein Gewand. Und mit ihren vollen Armen umfaßt sie seine Lenden, als könnte ihnen auch diese Bitte nicht versagt bleiben. »Drinnen liegt einer im Sterben . . . Mach, daß er lebt! Mach, daß er lebt!«

      Mit zusammengekniffenen Lippen sieht vom Fenster aus die Bäuerin, wie sie die Knaben über den Hof führt, ins Haus hereinzerrt und gleich darauf durch die Türe in die Stube hineinstößt. Dabei entgeht ihr nicht – und auch die wieder eintretende Magd bemerkt es –, daß der Kranke in seiner finstern Ecke auf einmal weniger hörbar röchelt. Ist es die Stille des Todes, die sich breiter und breiter zwischen die letzten Laute des Lebens einschiebt?

      Stephan bleibt mitten in dem Gemach stehen, von einem noch nie gekannten Gefühl befangen: unlösbar verknäuelt schweben Qual, Haß und Gier in der Luft und wagen sich mit ihren dunklen Forderungen an ihn heran. Er blickt zuerst dem ausgestreckt auf dem Rücken liegenden Manne ins bleiche, vom Fackellicht unruhig überhuschte Antlitz; dann auf die beiden Frauen, in deren ihm zugekehrten erhitzten Gesichtern eine übergroße innere Spannung die jungen wie die alten Züge gleicherweise verhärtet hat. Und im Drange zu helfen und doch nicht wissend wie, preßt er beide Hände auf die Brust, spürt die Pergamentrolle, die er im Wams trägt, zieht sie hervor und berührt mit ihr den sterbend Geglaubten in der Herzgegend.

      ». . . Das ist der Brief, den ihm der Heiland gegeben hat,« flüstert Lukas der Bäuerin zu. –»Als Pilger hat er ihn heimgesucht, als er die Schafe hütete,« bestätigt Markus.

      »Nicht unser Wille geschehe, sondern der Wille des Herrn!« betet Stephan mit gefalteten Händen. Und auch die beiden Frauen, über den Abgrund ihrer Leidenschaften hinweg, falten unwillkürlich wie er die Hände: aber jede ergibt sich in einen andern Willen Gottes! Tiefe Stille herrscht in der Stube, wie in einem keimenden Erdreich.

      Da bewegt sich der Bauer. Er schlägt die Augen auf, stützt und stemmt sich erwachend mit den Armen empor; schiebt die Beine vom Lager herab und starrt sie plötzlich alle an, wie unter einem nachklingenden Entsetzen, das in ihm lange vergebens nach Worten ringt. Und während den andern jede Rede auf den Lippen gefriert über dem unfaßbaren Geschehen, stößt er es ihnen langsam keuchend ins Gesicht: »Gräßlich! Gräßlich! Gräßlich!«

      »Meister!« schreit die Magd und tritt von ihm zurück. Ihr ahnt etwas Furchtbares.

      Aber schon schüttelt ein wilder Schauer ihm Glieder und Zähne. Es ist, als ob er erst jetzt zum vollen Bewußtsein des Erlebten gelangte. Er ringt immer mehr nach Luft – »Hölle . . . In der Hölle war ich! – Wer hat mich herausgerissen?«

      »Hier dieser Jüngling, der die Kinder dem heiligen Grabe zuführt. Gepriesen sei Gott!« Und die Magd nähert sich ihm wieder, voller Zweifel. Und bittend hebt sie die Hände auf.

      »Fort, du!« brüllt der Bauer und stößt sie mit zurückkehrender Kraft von sich. »Nimm du nicht Gott in den Mund!«

      »Mann!« tritt jetzt die Bäuerin fast höhnisch an ihn heran, ihm derb auf die Schulter klopfend. »Dich hat der Schreck, nicht der Baum gefällt.«

      »Weg auch mit dir!« Er schleudert sie, aufstehend, beiseite. »Du bist nicht minder schuld daran!«

      Er steht mitten in der Stube, als besänne er sich auf etwas. Wie hat er so lange vergessen können, was drüben einen erwartet! Er schlägt sich mehrmals mit der Faust vor die Stirn.

      »Ich Sünder! Ich elendester aller Sünder! . . . Nimm mich mit, Knabe; nimm alles, was mein ist!« Und seine Augen stieren noch einmal hinter sich. »Entsetzlich, diese Qualen! Nur niemals mehr dorthin zurück!« Und ganz leise fügt er hinzu, ein verwandelter Mensch: »Auf, nach Jerusalem!«

      »Ein Wunder! – Ein Wunder! – Gott hat ein Wunder getan!«

      Die Knaben rufen es; und alle schauen ihm wie gebannt zu. Gleich einem Schlafwandelnden schreitet er zur Türe hinaus; über den Hof zum Tenn, wo er den Leiterwagen hervorzieht; zum Stall, wo er die beiden mächtigen Ochsen anschirrt. Und jetzt, wahrhaftig, spannt er sie ein –

      »Was willst du tun?« Im Fenster die Stimme der Bäuerin überschnappt beinahe. Aber er hört sie nicht. Er ist von einem höheren Schicksal umwittert.

      »Sitzt auf, ihr frommen Kreuzpilger!« redet er milde die Knaben an, die ihm staunend gefolgt sind. »Ich will euch dienen, gleich wie ihr Gott dient . . .«

      Sie gehorchen und besteigen das Fuhrwerk. Ist auch das eine höhere Fügung?

      »Christian?« Die Magd schreit es unter der Haustüre.

      »Mich seht ihr niemals wieder . . .«

      Und er tritt zu den Ochsen. Führt sie, samt dem Wagen mit den Knaben, langsam zu dem noch offenstehenden Tor hinaus. Und verschwindet mit ihnen unter dem hohen, dunkeln Glitzergewölbe der Nacht, von welchem wieder, eine geheimnisvolle himmlische Fackel, der Stern der Liebe herabstrahlt . . .

      7. Auf dem Wagen

      Der Bauer Christian schreitet immer noch neben den beiden Ochsen durch die hochhinflimmernde Nacht.

      Er wagt nicht, wie es sonst seine Gewohnheit ist, sich auf den Wagen zu setzen. Auf dem Wagen schläft Stephan, der fromme Knabe, der ihn aus der Hölle gerettet hat, und sitzen, in die Ferne träumend, seine beiden Begleiter.

       Noch einmal spürt er den wilden Schreck, wie die Tanne in anderer Richtung fiel, als sie dachten. Noch einmal hört er das durch die Luft herabzischende Geäst, das ihn erfaßte und – er glaubte: in den Tod! – darniederriß. Ihn, mit seinen Sünden!

      Nun liegt dort, unter dem gefällten Baum, sein bisheriges, nicht aber sein künftiges Leben; nur seine Verworfenheit, nicht seine gläubige Zuversicht. Und gleichwie seine Seele aus der dunklen Verdammnis wunderbar zurückgerufen wurde, so wandert jetzt sein Körper, keine Ermüdung kennend, aus der allmählich verbleichenden Sternenhalle einem neuen Lichte entgegen. Größere Hoffnung, als jemals ein Tag in sich barg, scheint ihm der nahende Tag in sich zu bergen.

      Führt er doch den neuen Retter der Menschheit mit sich, Stephan! Schon oft hat er sich heimlich umgeschaut: endlich ist es hell genug, daß er zwischen den Sparren des Wagens