30. Kaiser Friedrich in Jerusalem
Der Kinderkreuzzug, K. Falke
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849628666
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Der Kinderkreuzzug
Historische Notiz
Zwischen dem vierten und fünften der von der Geschichte verzeichneten sieben großen Kreuzzüge, im Jahre 1212, brachen in Frankreich und Deutschland Tausende von Knaben und Mädchen auf, um nach dem heiligen Lande zu fahren und das Grab Christi den Ungläubigen zu entreißen. Von diesem aus der Not der Zeit heraus entstandenen Zuge religiöser Begeisterung und Opferwilligkeit, dem überall das ehrfürchtige Staunen der Guten und die dunkle Gier der Bösen nachfolgte, kamen die deutschen Kinder, welche die Alpen überstiegen, nicht viel weiter als bis nach Rom, wo ihnen der Papst für die Erfüllung ihres Gelübdes Aufschub gewährte; die französischen dagegen gerieten in der Provence in die furchtbaren Greuel der Albigenserkriege hinein und fielen in Marseille Sklavenhändlern in die Hände, die sie auf ihren Schiffen statt nach Syrien nach Nordafrika hinüberschafften und dort verkauften. So geschah es, daß diese gläubige Jugend niemals an das Ziel ihrer Sehnsucht gelangte, unterwegs aber alle die Leiden der Seele und des Körpers erfuhr, welche eine große Idee denen auferlegt, die sie in Wirklichkeit umsetzen wollen: nur der Hauptanführer, der Hirtenknabe Stephan, soll später auf abenteuerliche Weise nach Jerusalem gekommen sein und auch zu den Wenigen gehört haben, die zuletzt wieder nach dem Norden zurückkehrten.
Erstes Buch: Frankreich
1. Die Chronik des Priors
Gelobt sei Jesus Christus, in Ewigkeit, Amen!
Es geschehen rätselhafte Dinge auf Erden; und niemand kann wissen, zu welchem Endziel Gottes Hände die Fäden menschlicher Schicksale miteinander verknüpfen. Darum will ich aufschreiben, was sich Wunderbares in diesem Kloster frommer Brüder zugetragen hat, dem ich seit mehr denn vierzig Jahren als Prior vorstehe und das zu leiten mich Gott auch fürderhin mit seiner Gnade erleuchten möge.
Vor einiger Zeit trat Bruder Hieronymus früh morgens in mein stilles Gemach und berichtete mir, im Traume sei ihm Unser Herr erschienen. »Erhebe dich, mein Sohn,« habe er zu ihm gesprochen, »und kleide dich wie ein Pilgrim, der nach dem heiligen Lande auszieht! Aber nicht mich und mein Grab sollst du aufsuchen; sondern ihn, der mich aufsuchen und mein Grab aus der Gewalt der Heiden befreien wird. Spürst du denn nicht, wieviel tausend junge Herzen in Verborgenheit glühen und nur darauf warten, daß der Geist zu ihnen rede und ihre noch unverbrauchten Kräfte entbinde? Und wenn du ihn, von dem ich spreche, gefunden hast – indem eine innere Stimme dir sagt: Der ist es! –, so gib ihm, was ich dir jetzt gebe.« Und Bruder Hieronymus zeigte mir eine rot versiegelte Pergamentrolle, die er beim Erwachen zu seinem eigenen Erstaunen will in der Hand gehalten haben; und noch jetzt sehe ich das tiefe Leuchten in seinem bärtigen Antlitz.
Nach diesem Geständnis fragte mich der Bruder, was er tun solle; ich aber konnte nicht anders als ihn ermuntern, der himmlischen Eingebung zu folgen. Denn oft bedient sich Gott des geringsten seiner Knechte, um seinen unerforschlichen Willen in dieser Welt zur Geltung zu bringen – und wahrlich! manchmal, wenn ich des Nachts so schlaflos daliege und in die Stille der Felder hinauslausche, will es mich bedünken, als sei dieser Frühling nicht wie ein anderer Frühling und als wachse heuer auf Erden ein besonderer Seelenwein! Wohl glauben meine stumpfgewordenen Sinne seine Blüte zu ahnen; aber erst von den kommenden Geschlechtern wird er gekeltert und von noch spätern mit tiefem, rückschauendem Verständnis getrunken werden. Diese mögen dann auch begreifen, was ich nicht begreife und wozu ich nur in Demut meinen Segen gegeben habe.
Nun sind es schon acht Tage her, seit Bruder Hieronymus aus unsern Mauern in die Welt hinausgetreten ist. Ich weiß nicht, ob er in Tat umsetzen wird, wozu er sich berufen fühlt; und ob ich ihn je wieder diesem Frieden werde zurückkehren sehen, wo er Gott so treu diente, als er ihm wohl auch jetzt zu dienen glaubt. Ich stelle ihn der Gnade desjenigen anheim, der ihn zu solcher Sendung ausersehen hat und der ihn selbst dort, wo unser blödes Auge keine Möglichkeiten mehr wahrnimmt, der Verwirklichung seines innern Dranges entgegenführen kann.
Darf ich es sagen? Mich selber befällt bisweilen der Zweifel, ob wir Mönche rechttun, indem wir uns hier in der Einsamkeit vor dem Leben verschließen und ganz nur auf unsere Studien bedacht sind. Das irdische Dasein ist eine einzige Pilgerfahrt von der Wiege zum Grabe; ein schwerer Kriegsdienst im alten Kampfe gegen die Versuchungen des Bösen. Sollte da nicht der Pilger am gottgefälligsten sein Leben verbringen?
Im Jahre des Heils 1212, am 7. Tage des Monats März.
2. Der Bote Gottes
Im Muschelhut und dem Pilgermantel mit dem Kreuz schreitet die große, hagere Gestalt des Bruders Hieronymus über Land. Unter dem Mantel trägt er die strickumgürtete Kutte, deren Saum unten vorschaut und verrät, was die Gewandung verbergen möchte. Er gehört zu den Einsamen im Leben, die des Geistes voll sind.
Sein bleiches, starkknochiges Gesicht ist fast