Stehe auf und wandle! . . . »Mutter! Mutter!« jauchzt das zuschauende Mädchen wie außer sich. »Du bist ja schon gesund!« Und der mit vorgestreckten Händen, mehr schwebend als schreitend sich vorwärts bewegenden Frau kann es gerade noch ein Tuch überwerfen, um ihre Blöße zu decken und sie vor Erkältung zu schützen.
Und schon stehen sie auf der Dorfstraße, wo die so unverhofft Genesene die warme Sonne und die weiche Frühlingsluft wie einen Segen Gottes empfindet. Und wer des Weges kommt und sie erkennt, der schlägt die Hände über dem Kopf zusammen; und alles steht still und schaut ihr nach, wie sie von ihrer Tochter mehr begleitet als geführt wird. »Es geschehen Zeichen und Wunder! Die alte Marthe ist von ihrem Siechbett auferstanden.«
Die Frau in ihrer Begnadung aber nickt allen, die ihnen begegnen, mit einem seligen Lächeln in die offenen Augen und Mäuler hinein. »Bring mich dorthin, wo der fromme Knabe durchgegangen ist!« flüstert sie geheimnisvoll der Tochter zu, als wollte sie einem himmlischen Freier entgegengehen; die Tochter aber, die es nicht weiß, fängt an, die Leute zu fragen. Und ein Wort gibt das andere; und immer mehr erstaunte und ergriffene Menschen gesellen sich ihnen bei: so daß es zuletzt ist, wie wenn die Blinden im Glauben von ihr, der wiedererstarkten Lahmen, dem Ziele der endgültigen Erleuchtung entgegengeführt werden sollten.
»Wo kann er auch anders durchgegangen sein, als hier durch die Dorfstraße!«
»Nein, nein! Die drei Knaben kamen dort vom Walde her über die Wiesen und ließen sich nur bei den äußersten Häusern etwas Speise und Trank geben. Dann zogen sie wieder weiter.«
»Seht doch! Seht doch! Dort stehen ja noch die Leute beisammen und erzählen sich, wie sich alles zugetragen hat –«
In der Tat hat sich vor dem Dorfe eine Schar Männer und Weiber zusammengerottet; und jeder Neuhinzustrebende bekommt die alte Geschichte zu hören: wie um des einen Knaben Haupt ein heiliges Leuchten zu sehen gewesen sei. Und dann schauen alle miteinander wieder die Landstraße hinauf, welche sich mit winterlich tiefen Kotgeleisen, die jetzt in der Märzensonne zu Staub zerbröckeln, über die nächste Anhöhe hinwegschwingt und aller Sehnsucht zum Sprungbrett dient. Aber dort, wo die jungen Kreuzprediger verschwunden sein sollen, tritt nur dann und wann aus dem blauen Himmel ein Bauer hervor, der seine Kuh oder sein Rind zu Markte treibt.
»Hier, sagt ihr, hat der fromme Knabe gestanden?« fragt glücklich die alte Marthe. Und sie kniet nieder und küßt den Boden; und dann erhebt sie sich wieder und lächelt unter der süßen, warmen Sonne in aller Augen hinein einen holden Schwesterngruß der Seele. Und wer von denen, die sie staunend betrachten, wollte nicht dieser eines so großen Wunders gewürdigten Kranken Bruder oder Schwester in Christo sein?
»Das ist die Kraft des heiligen Grabes! – Dieser Knabe, glaubt es, wird Jerusalem befreien! – Die Kranken stehen wieder auf wie zu der Zeit, da unser Herr auf Erden wandelte!«
Und schon sieht sich die alte Frau umringt, auf einen rasch herbeigeschafften Stuhl gesetzt und von kräftigen Fäusten hochgehoben. Das Volk jauchzt laut in den Frühlingstag hinein; und wie eine Königin tragen sie die Gebrechliche, Schwankende, die von allen Seiten gestützt werden muß und nach allen Seiten hin freundliche Dankesblicke versendet, zu ihrer Hütte zurück. Und die Bauern, die immer zahlreicher mit ihrem Vieh dem Dorfplatz zustreben, schauen erstaunt die unvermutete Festlichkeit, lassen sich nachher zwischen Markten und Feilschen die Geschichte von dem wundertätigen Hirtenknaben erzählen, welcher die sündige Welt aufwecken will, und tragen am Abend die Neuigkeit, zusammen mit den harten Talern in der Tasche, nach allen Himmelsrichtungen in ihre Weiler hinaus.
Im Dorf aber wird bis spät in der Nacht das Haus der alten Marthe besucht. Die Genesene liegt friedlich und glücklich auf ihrem Lager und spricht kein Wort; und immer mehr leuchtet eine solche Verklärtheit über ihr, daß die letzten Neugierigen, fast beschämt, schon unter der Türe wieder umkehren. Wie sie in gesunden Tagen einst jeden Abend ihre Kleider ordentlich ablegte, so ist es, als habe sie jetzt auch ihre alten, müden Glieder in eine fromm ergebene Stellung zurechtgelegt.
Am andern Morgen findet die Tochter sie noch so, wie sie sie in der Nacht hat einschlafen sehen. Auf dem Rücken liegend, die wachsbleichen Hände auf der eingefallenen Brust ineinandergefaltet; aber hinter geschlossenen Augen über die etwas spitz gewordene Nase hinweg ein höheres Ziel bedenkend. In stiller Sternenstunde ist nicht mehr an ihren vergänglichen Leib, sondern an ihre unsterbliche Seele die tröstliche Mahnung des Herrn ergangen: Stehe auf und wandle! . . .
6. Der Bauer Christian
»Hinaus mit dir!«
Auf dem niedrigen Lager, das mit seinen Lumpen in die Wand eingenischt ist, röchelt der verunglückte Bauer. Kaum erhellt das Sternendämmer der Nacht die düstere Stube, in welche mit herrischem Wort die Frau eingetreten ist. Auf dem Herde verglühen Holzscheite.
»Ich bleibe.«
Die bei dem Kranken kniende Magd stößt es als Schwur und Geständnis zugleich hervor. Ihre Augen starren wie die einer Katze im Dunkeln: bald in die fahlen Züge des vom Geäst der fallenden Tanne hingeworfenen Meisters; bald in das spitze Knochengesicht der Meisterin, welche die Liebe verflucht, weil sie selber keine mehr zu geben vermag. Auf alles gefaßt, spürt sie, wie die Alte ihr näherkommt.
»Fort, oder –«
Die betrogene Frau sieht in dem schwachen Glutschein des Herdes die roten Wangen, die prallen Brüste und die bis zum Ellenbogen nackten Arme vor sich, die ihr den Mann genommen haben. Neid und Haß erwürgen sie fast: ihr ist, als müsse sie ersticken, wenn sie nicht in einer wilden Tat sich Luft macht. Sie möchte den Brand der Jugend auslöschen und den Weltlauf umdrehen.
»Er stirbt ja!«
Aufschluchzend wirft sich das heimlich zum Weib erblühte Mädchen über den Regungslosen, die Hände um seine Schultern klammernd. Es ist dieselbe Bewegung, mit der sie noch vor kurzem den kraftstrotzend Lebenden an sich riß, um an ihm ihre Liebeslust zu ersättigen. Will sie ihm von ihrer Glut geben, nun die seine erlischt?
»Er stirbt nicht!«
Hart und höhnisch tönt es in die Selbstvergessenheit liebender Hingabe hinein. Krallend zupackende Hände reißen die Verzweifelte von dem bewußtlosen, schwer atmenden Körper empor; und schon schwebt über ihr ausholend die geballte Faust. Sie scheint nur deshalb zu zögern, um erst in den schmerzverzerrten Zügen die wundeste Stelle zu suchen.
»Euch wär's wohl gleich!« schreit die Magd.
Dem Angriff zuvorkommend greift sie der Meisterin entgegen, springt auf, packt sie um den Leib und beginnt mit ihr zu ringen. Junge Kraft mißt sich mit altem Widerstand, plötzlich von der tief angesammelten Wut beseelt, mit welcher sie so lange die Häßlichkeit vor sich sehen mußte, die dem Recht ihrer Schönheit im Wege stand. O, wenn sie doch den Geliebten von dieser giftigen Spinne befreien könnte!
Der Bauer liegt da, in seinem dunklen, struppigen Bart; mit geschlossenen Augen, die nach innen schauen; wie schon ein halb Versunkener. Über ihm verkeilen sich vier Arme, drängen sich zwei Schultern aneinander im Kampfe um den Platz an seinem Sterbebett; und leise Wutschreie schrillen aus knirschenden Zähnen, durch den immer schwerer und gepreßter keuchenden Atem hindurch, während sich die Hälse mit der Wollust der Vernichtung aneinanderlegen. Mit Händen greifen und begreifen endlich die beiden Weiber den Grund ihrer Eifersucht und Mißgunst: die eine den schwellenden, die andere den verdorrten Leib der Nebenbuhlerin . . .
Dumpfe Schläge ans Hoftor. Die Bäuerin hört sie zuerst, wehrt die Magd mit einer letzten