Der Kinderkreuzzug. Konrad Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Konrad Falke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849628666
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mächtige Gestalt zu sehen, die ihm Weg und Aufgabe weist; und schon auch bereit, mit jugendlicher Zuversicht in Taten anszuwirken, was er wie ein Fieber in sich kochen fühlt –

      Aber wiederum sieht er keinen einzigen Menschen auf dem weiten Felde. Nur mit Staunen nimmt er wahr, daß der Nachmittag, während er vor sich hinträumte, wie ein aus Licht und Duft gewobener Rausch zerronnen ist. Golden steht die Sonne über dem dunklen Wipfelmeer des Waldes und bricht, Abschied nehmend, mit ihrem Glanz zwischen beidseitig sich türmenden weißen Wolken wie aus einer himmlischen Schlucht hervor.

      Und über seinen eingestemmten Stecken vorgebeugt, vergißt Stephan abermals alle Wirklichkeit und verliert sich mit Seele und Sinnen ganz in der Seligkeit dieses Schauspiels. Es rauscht noch einmal in jauchzenden Lichtströmen aus der ragenden Ferne herein und über die eindämmernde Erde hinweg! Und jetzt – gleißt nicht hoch droben auf dem Wolkengebirge, unter dem bleichen All, mit seinen Mauern und Zinnen das himmlische Jerusalem? Und siehe da: aus dem mächtigen Stadttor tritt mit einem großen, blutenden Herzen der Heiland hervor, geführt von Maria, seiner Mutter, die bittend mit der Hand auf die Erde niederzeigt. Und er spricht: »Wie sollte ich wiederkehren diesem Geschlechte, das mein Grab hat fallen lassen in die Hände der Heiden?« Und kaum daß diese Worte über seine Lippen geströmt sind, erlischt auch das Leuchten seines Antlitzes in Traurigkeit und verblaßt die Glut der hohen Erscheinung im Grau des Abends. Vorbei! Immer wieder vorbei! Unerreichbar . . .

      Stephan ist, an dem groben Hirtenstabe niedergleitend, in die Knie gestürzt und schluchzt, von einem Hauch aus der Ewigkeit geschüttelt, in Elend und Verzweiflung vor sich hin. Er sieht nicht, wie unten am Hügel zusammengedrängt die Herde der Schafe auf ihn wartet, daß er sie heimtreibe; er merkt nicht, daß der treue Hund, der sie bisher immerfort umkreiste, stehen bleibt und leise zu knurren beginnt, weil ein Pilger, mit einem Kreuz auf dem Mantel, quer über das Feld dahergeschritten kommt; er hört auch nicht den friedlichen Ruf des Vesperglöckleins, das in der Kapelle drüben am Walde von einer frommen Hand geläutet wird – er spürt bloß, wie die einzelnen Töne, gleich glühenden Tränentropfen aus des Heilands Antlitz, in sein bewegtes Herze fallen. Er wirft sich auf sein Gesicht, krallt die Finger seiner beiden Hände in den weichen, feuchten Erdboden hinein und ist nichts anderes mehr als das willenlose Werkzeug, das eine höhere Macht sich zum Gebrauche schmiedet.

      ». . . Gruß dir im Namen unseres Herrn Jesus Christus! – Du bist es, den ich suche.«

       Laut und feierlich klingt es neben ihm, über ihm. Stephan prallt, noch auf den Knien, in wahnsinnigem Entsetzen zurück. Tritt jetzt an ihn heran, was er schon so lange vorausgefühlt hat? Darf er es wagen, den Blick zu erheben und sein Schicksal zu schauen?

      Vor ihm steht ein Pilger. In der einen Hand hebt er eine Rolle hoch, von welcher ein blutrotes Siegel herabhängt; die andere, die den Wanderstab umfaßt hält, leckt ihm demütig der Hund. Im Kreise umstehen ihn, wie einen neuen Hirten, unbeweglich, mit lauschenden Ohren, die Schafe, welche ihm den Hügel hinauf gefolgt sind und nun alle nach Stephan äugen, was er tun werde.

      »Dir ist bestimmt, zu erfüllen, was Größere nicht erfüllten!« spricht der Fremde auf ihn ein. »Dir ist beschieden, das heilige Grab den Heiden zu entreißen und auf ihm das Reich des ewigen Friedens zu errichten!«

      »Mir?«

      Stephan krampft sich beide Hände in ungeheurer Beklemmung in die Brust. Muß er sich gewaltsam zurückhalten, zu glauben, was er nur zu gerne glaubt; oder möchte er den übermächtigen Zwang der auf ihn niedersinkenden Berufung noch im allerletzten Augenblick sprengen und sich in die Freiheit seines bescheidenen Hirtenlebens zurückretten, die er bisher so gering achtete? Vergebens versucht er, in dem bärtigen Antlitz des Pilgers zu lesen: die Dunkelheit verwischt seine Züge bis zur Undeutlichkeit; und er hört nur aufs neue die tiefe, wohllautende Stimme –

      »Du sollst das Kreuz nehmen und alle Jugend des Landes, Knaben und Mädchen, um dich scharen. Ja, selbst die kleinen Kindlein – ›denn ihrer ist das Himmelreich‹, spricht der Herr . . . Willst du das tun und ausziehen gen Jerusalem?«

       »Will? Will?« stößt Stephan schluchzend hervor und streckt die Hände aus. »Aber woher kommt mir diese Sendung? Und wer wird mir Armen Glauben schenken? Bin ich nicht der Elendeste unter den Elenden?«

      »Nimm!« tönt es da von den Lippen des Pilgers, weich und gütig wie Glockenklang. Und er hält ihm die Pergamentrolle hin – »In diesem Briefe gebietet Unser Herr dem König von Frankreich, dir den Weg zu ebnen, den er selber nicht zu Ende ging . . .«

      Und kaum daß er die hohe Beglaubigung entgegengenommen hat, wendet der Fremde sich von ihm ab. Weichen nicht die Schafe vor seinen Schritten auseinander? Schaut nicht der Hund leise schnuppernd ihm nach? Ein Schatten unter Schatten: so verschwindet er in der Dämmerung.

      »Wer bist denn du,« ruft zurückbleibend Stephan, »daß ich dir glauben soll?«

      Das Pergament brennt ihn in den Händen. Ein Argwohn durchzuckt ihn, er möchte unwissend den Ränken des Teufels anheimgefallen sein. Wie viele sind nicht schon so versucht worden?

      »Ungläubiger!« hallt es mit lautloser Geisterstimme vom Firmament herab, in dessen erwachender Sternenherrlichkeit sein Blick sich verliert. »Und wenn es der Herr selber gewesen wäre, der zu dir gesprochen hat? Erkennst du ihn nicht?«

      Stephan treten die Augen aus den Höhlen; der Puls stockt ihm in furchtbarer Spannung. Er lauscht. Er schaut sich um. Er greift mit den Händen in die Luft wie nach etwas Festem. Aber er sieht nichts als über sich die silbernen Sternfunken; und dort, wo der Fremde gestanden hat – ist es Wirklichkeit? – eine reine, ruhige Flamme . . .

       Da springt er auf, voll tödlicher Sehnsucht, ihr entgegen. Wankt, ein in der Seele Geblendeter, ein paar Schritte unter die erschreckten Tiere hinein. Und fällt, krampfhaft das Pergament festhaltend, mit vergehenden Sinnen zwischen ihren weichen Fellen zu Boden.

      4. Der Aufbruch

      Die Schafe trippeln durch den Abend. Stallwärts, heimwärts. Den ersten Sternen entgegen.

      Lautlos umkreist der Hund die Tiere. Sie kennen ihren Weg! So werden sie ihn auch allein finden.

      Naht dort hinten nicht Lukas mit seiner Herde? Hallo! Zu zweit wandert sich's besser . . .

      »Guten Abend, Markus. Schön, daß du auf mich gewartet hast! Dachte schon, ich werde dich nicht mehr einholen.«

      Markus streckt ihm die magere Hand hin.

      »Wollen zusammenhalten diesen Sommer, nicht? Er wird lang genug dauern, wo der Frühling so zeitig anfängt! Noch nicht Ende März: und schon sind wir mit den Tieren auf der Weide . . .«

      Und die Schafe des Lukas trotten vorbei. Stallwärts, heimwärts. Dem flimmernden Himmel entgegen.

      Der Hund hält die Hüpfenden in der Reihe. Sie kennen alle ihren Weg! Sie werden ihn auch ohne Hirten finden.

      Müde ziehen Markus und Lukas hintendrein. So einen Frühlingstag spürt man in den Knochen! Aber gleichwohl denken sie beide an den noch fehlenden Kameraden –

       »Wo nur der Stephan bleiben mag? Dort drüben sollte er herkommen.«

      Vergebens sucht Lukas mit dem Blick die Dunkelheit zu durchdringen.

      »Gehen wir und sehen nach, warum er so spät ist! – Der hat noch weniger zu beißen als wir, und das ist nicht viel.«

      Da hält ihn Markus am Arm zurück, damit