Der Kinderkreuzzug. Konrad Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Konrad Falke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849628666
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sondern wackere Bürger und Bürgersfrauen, die mit wohlüberdachter Fürsorge das mit Blitzesklarheit erschaute große Unternehmen seines neuen Propheten fördern möchten.

      Die Stadt ist wie von einem Rausche erfaßt. Die Knaben schnitzen Kreuze; Kreuzeszeichen werden allen auf die Gewänder geheftet; eine Kreuzesfahne flattert bereits von einer Stange herab und wird auf dem Marktplatz herumgetragen. Dazwischen umarmen die Mädchen die Mutter und versprechen unter Tränen, am heiligen Grabe für sie zu beten; und der Vater schnallt seinem Buben eigenhändig für alle Fälle einen leichten Degen um und beschaut hernach den jungen Glaubensstreiter mit einem streng prüfenden Blick, der ihm selber die Fassung bewahren soll. Und alle sind sie im Geiste schon in Jerusalem! Jerusalem ist ihnen so nahe; so nahe wie die Erfüllung eines Wunsches im Traum.

      Und sie erinnern sich an die Berichte ihrer Großväter, die es selber wieder von ihren Großeltern gehört hatten: wie sich vom Himmel herab eine Begeisterung auf die Menschen stürzte, als zum erstenmal ein großer Kreuzzug beschlossen wurde. »Gott will es!« riefen damals die Ritter in Helm und Harnisch; und jetzt dünkt es die Staunenden, als gleiße das Sonnenlicht von den steilen Dächern abermals die Himmelsbotschaft »Gott will es!« in die von barhäuptigen Kindern durchwimmelten schattigen Gassen hinunter. Und selbst dem zuhinterst in dunkler Werkstatt in seine Arbeit Verbissenen ahnt etwas davon, es möchte die harte Welt für einmal wieder von der Wärme eines nahenden Wunders erweicht und die Grenze zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit über Nacht verschoben worden sein.

      Beim Mittagessen sitzen sie alle, Erwachsene und Kinder, wie auf Kohlen. Bereits geht die Kunde um, daß zwei weitere Fuhrwerke ausgerüstet werden, so viele Knaben und Mädchen »haben das Kreuz genommen«; und unaufhörlich hört man von der Gasse herauf das Getrippel wanderlustiger Füße. Jetzt zieht Stephans Wagen durch die Stadt hindurch; die andern schließen sich ihm der Reihe nach an; und im Laufe des Nachmittags kommen am entgegengesetzten Tor alle Bürger zusammen, um die jungen Pilger abfahren zu sehen.

      Schon sind sie zum Aufbruch bereit, da nähert sich der Stadtälteste mit der Kirchenfahne in der Hand, auf welcher die allerheiligste Jungfrau das Jesuskindlein auf dem Schoße trägt. Er kniet mit steifen, zitterigen Knien vor Stephan nieder, streckt sie ihm auf den Wagen hinauf entgegen und flüstert mit zahnlos bebendem Munde: »Trag du sie! Die Himmelsmutter selber mag euch zum Grabe ihres Sohnes führen!« Und Stephan nimmt das fromme Banner, schwingt es dreimal – im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes – über den Häuptern seiner Schar und ruft ein letztes Mal: »Auf, nach Jerusalem!«

      Geschrei, vielfältiges, tränenersticktes Lebewohl, Hand- und Tücherschwenken. Die Ochsen ziehen an; die Wagen knarren und holpern; die Räder rollen. Unterm Torbogen durch und über die Brücke hinweg: in das weite Land hinaus, wo Wälder und Wiesen sind. Heiliger Frühling, du lockst sie! Heilige Sehnsucht, du treibst sie! Und den Zurückbleibenden schwellen die Herzen und versagen die Worte. Das ist Jugend: den Glauben haben an etwas!

      Sie blicken ihnen nach, solange ein Auge sie erreichen kann. Die Wagen werden immer kleiner; das Banner flattert immer undeutlicher. Und in den Schleier der Tränen hinein flicht sich der Schleier der Dämmerung und zuletzt, wie die Sonne gesunken ist, das Dunkel der Nacht. Sterne glitzern auf über den Mauern und Türmen; ein Fenster nach dem andern erhellt sich.

      Kaum ein Tisch, an dem nicht ein Stuhl leer stünde. Und sie falten die Hände und beten: für den Sohn, für die Tochter; für den Bruder, für die Schwester. Mag auch morgen die Sonne wieder aufgehen, das ungewisse Dunkel der Zukunft wird trennend zwischen ihnen bestehen bleiben.

       Was für ein Schicksal ist über das Städtchen gekommen? Wie war es möglich, daß Eltern ihre Kinder hergaben und, mit der eigenen gläubigen Sehnsucht beschwert, in diese Welt hinausschickten?

      Gott hat sie gerufen. Gott schütze sie!

      9. Unterwegs

      »Wir fahren! – Ich träume nicht. Wir fahren . . .«

      Stephan sitzt vorn im Wagen unter dem runden Blahendach, das sie ihm aufgespannt haben, und schaut, während seine bleichen Lippen die Worte flüstern, in die sinkende Sonne hinein, die von rechtsher rotgolden den beginnenden Kreuzzug beleuchtet.

      »Wer hätte gedacht, daß in einer einzigen Stadt so viele deinem Rufe folgen und gleich uns das Kreuz nehmen würden!« redet jetzt Lukas in lautem Staunen vor sich hin. »Und hast du bemerkt, wie sie von unserm Kommen bereits Kunde erhalten hatten?«

      »Gewiß läuft uns auch jetzt wieder das Gerücht voraus und weckt noch in manchem Herzen die große Sehnsucht, die du in den unsern entzündet hast!« fügt voller Zuversicht Markus auf der andern Seite hinzu. »Wer weiß, in wievielen von den Burgen, die da von den Bergen niedergrüßen, vereinsamte oder verlorene Brüder und Schwestern am Fenster stehen und nur auf deinen Ruf warten, um sich uns anzuschließen!«

      Und so fahren und schauen sie in den Abend hinein. Alle drei Wagen sind überdacht und fast wie Wohnungen eingerichtet, so daß man zur Not auch in ihnen schlafen kann; und manche der Neulinge, besonders die kleineren Kinder, werden bereits eines nach dem andern vom Schlummer überwältigt. Nur Stephan hat sich von seiner tiefen Erschöpfung völlig erholt und sitzt, die schmalen Schultern leise von der Muttergottesfahne umwallt, hellwach aufrecht da: er hat die gefalteten Hände in den Schoß gelegt und hält mit der Sonne, welche vor ihnen am wasserhellen Himmel als goldene Kugel untergeht, wie mit dem Auge Gottes halblaute Zwiesprache.

      »Sieh, Herr, dein Werkzeug! Du hast mich gerufen; und ich bin aufgestanden und habe die frommen Knaben und Mädchen um mich versammelt. Ein Wind kann uns auseinanderblasen, wenn du es willst; aber keine Macht der Welt uns vernichten, wenn du es nicht willst! Wäre der Mensch nur dazu auf die Welt gekommen, um wie das Vieh zu weiden und wie das Laub der Bäume im Herbst verweht zu werden? Ist uns, daß wir dich erkennen, nicht tief im Herzen Gewähr dafür, daß du uns nach deinem Bilde geschaffen hast und daß wir uns selber diesem deinem Bilde ähnlich machen sollen? Und müssen wir nicht in diesem Erdenleben dir so weit entgegenzugehen trachten, als du selber in ihm uns deinen Sohn Jesus Christus als guten Hirten entgegengesandt hast? Darum so sieh uns denn nach seinem heiligen Grabe unterwegs, damit wir dort von ihm mit solchem Feuer der Liebe getauft werden, daß wir sie nachher für alle unsere Brüder unauslöschlich im Busen tragen und dem Bösen dieser Welt obzusiegen vermögen! Mach, daß wir alle Herzen, die sich noch ihrer göttlichen Heimat erinnern, aufwecken aus dem dunklen Traum der Sünde und sie einreihen in unser Heer, auf daß sie uns beistehen in unserm Kampfe für das Licht und gegen die Dunkelheit. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen . : .«

       Während Stephan so betet, wird es auf den dahinrollenden Wagen immer stiller und ist in der Ferne die Sonne, nur mit sich selbst beschäftigt, hinter die dunkelblaue Horizontlinie hinabgesunken. Aber er verschließt sich hartnäckig der Erkenntnis, die er aus dem erhabenen Schauspiel schöpfen könnte: daß nämlich in dieser Welt Tag und Nacht unaufhörlich miteinander abwechseln müssen und nichts ewig sich auf einem Gipfel des Lichts ansiedeln, nichts aber auch für immer zum Talgrund der Finsternis verdammt bleiben kann. Zu tief brennt in ihm die Überzeugung, daß Gott eine andere, bessere Welt im Busen trägt, als sie ihm, bei seinem harten Kampfe mit dem Teufel, in der Schöpfung aus den Händen hervorgegangen ist.

      Und mit der Seele die rings niedersinkende Dämmerung durchdringend, wittert er in weitem Umkreis alle verwandte Jugend, welche, vom Sonnenstrahl der Hoffnung getroffen und am Borne des Glaubens gespeist, nicht anders ihr bisheriges Leben durchbrechen wird, als Hunderte, Tausende von Samenkörnern, die gestern noch hart und stumpf in der Erde ruhten, heute schon, vom weichen Wehen des Frühlings berührt, aufquellen, die alte Hülle sprengen und mit dem Wunder grüner Keimspitzen ins neue Dasein stoßen . . .

      10.