»Dann haben wir den gleichen Weg. – Fürchte dich nicht vor mir! Ich will dein Ritter sein.«
Die Straße steigt immer schärfer. Isa hat Mühe, mit dem Pferd Schritt zu halten. Wohin pilgern sie miteinander? In den flimmernden Sternenhimmel hinein?
Gerold zügelt sein Tier, so sehr er kann, um der jungen Kreuzfahrerin das Folgen zu erleichtern. Aber immer wieder will ihm ihr roter Haarschopf nach rückwärts in die Dunkelheit entschwinden! Dann läuft sie ihm eilends nach; und er sieht aufs neue ihr helles Gesicht, das wie von innen heraus leuchtet.
»Du bist müde. – Halte dich am Steigbügel fest!«
Isa faßt mit der rechten Hand hinter seinem linken Fuß den Riemen. Wer ist der Jüngling, der so ruhig und mild zu ihr spricht? So ganz anders als der junge Graf, der meinte, jede Blume sei nur für ihn gewachsen! Und sie schaut dann und wann heimlich zu ihm auf, ob sie nicht in seinem Antlitz lesen könne.
Wer ist dieses Mädchen? fragt sich Gerold. Und wovor ist das arme Ding geflohen, das ihn aus dunklen Augen so forschend anblickt? Gleichviel! Was er an diesem Kinde tut, das tut er an ihr, die ihm ihre Liebe schenkte und nun allein auf ihrem traurigen Lager seiner gedenkt. Schon die dritte Nacht . . .
»Du stolperst ja. Du tust dir an den Steinen weh. – Komm zu mir herauf! – Da! Tritt mit dem Fuß auf meine Fußspitze und reich mir die Hand – so – hup!«
Sie schwingt sich mit geschickter Drehung vor ihn hin, hält sich mit der einen Hand an der wallenden Pferdemähne fest und legt zitternd den andern Arm um seinen Hals. Hat sie keine Furcht vor ihm, den sie nicht kennt? Nein, sie hat keine Furcht. Und sie staunt selber darüber.
Gerold fühlt sich durchschauert und durchstrafft in einem. Wie kühl ist der Arm, der sich um seinen Nacken schlingt! Wie jugendlich hart der Leib, den er selber umfängt! Wahrlich, schön ist es, ein angehender Ritter zu sein und die Welt zu durchfahren . . .
Über ihre Knie hinweg ergreift er die Zügel; und weiter geht es, den Bergrücken hinauf, wo sie an einigen kahlgeschlagenen Stellen noch einmal den fliehenden Tag einzuholen scheinen. Da sieht er denn, daß ihre Haut weißer leuchtet als jede andere Haut; und daß ihre Kehle allenthalben von roten Pünktchen wie von Goldstaub übersät ist, welcher in der Höhlung zwischen ihren Brüsten, in die ihn das aufgebauschte Wams blicken läßt, lautlos als in einer verschwiegenen Schatzgrube zusammenrieselt. Aber weil er das Weib kennt, so schweigt die Neugier seiner jungen Sinne und hält er das aufgelesene Mädchen wie eine nachgeborene unglückliche Schwester der geliebten Frau im Arm.
». . . Hast du noch nie auf einem Roß gesessen?«
Sie schüttelt verneinend das Haupt, das sie an seine rechte Brust und Schulter gelehnt hat. Dann liegt sie ihm wieder voll kindlichen Vertrauens regungslos im umfangenden Arm; und nach einer Weile zeigen ihm ihre regelmäßigen Atemzüge, daß sie, erschöpft von der schweren Tagesarbeit und dem langen Marsche, sanft eingeschlafen ist. Er aber hält sie wie ein wunderbares Abenteuer fest, trinkt mit dem Hauch der feuchten Walderde den kräftigen, säuerlich-frischen Duft ihres Körpers in sich ein und sendet über sie hinweg den erstaunten Blick zu den immer zahlreicher funkelnden Sternen des Himmels hinauf und in das jenseitige Tal hinab.
Wie Isa sich ihm, so überläßt er sie beide dem Pferde seiner gütigen Herrin. Ihm ist, als habe sie ihm das schlummernde Mädchen an die Brust gelegt: nicht nur als ihre, sondern immer mehr auch als seine Schwester! Er staunt über sich selbst, daß er für dieses junge, süße Blut wie ein zärtlicher Bruder fühlt, und ahnt dunkel, daß sie beide diesen Frieden ihrer Seelen ihr verdanken, die jetzt in ihre Kissen weint und ihm mit ihrem Gebet und ihrer Sehnsucht in die unbekannte Zukunft nachfolgt.
Da hört er aus dem Tale herauf, durch das Rauschen des Baches hindurch, das Rollen und Rattern von Wagen; und jetzt sieht er etliche Lichter sich vorwärts bewegen. Sind das die Kinder, die in heißer Sehnsucht aufgebrochen sind und nach dem heiligen Lande ziehen? Hallt jetzt nicht ein ferner Gesang durch die Nacht, der als ein »Erbarme dich unser« sich zu Gott aufschwingt?
Erbarmt euch untereinander! klingt es wie ein tiefes, ruhiges Echo in Gerolds Blut. Seine Herrin hatte sich seiner fordernden Jugendkraft erbarmt und ihn in Schönheit und Reinheit erleben lassen, was mancher mit häßlicher List sich zum erstenmal erobert; und eben deshalb erbarmt ihn auch der unbeschirmten Jugend, die ihm das Schicksal in diesem schlafenden Mädchen in die Hand gegeben hat, und ist es sein ehrlicher Wille, ihr wachsamer Ritter zu sein. Und auf einmal empfindet er, der die Liebe des Weibes von einer mütterlich überlegenen Frau erfahren durfte, für die kindliche Magd, die ihm so ruhig schlummernd am Halse hängt, eine fast väterliche Besorgtheit.
Vorsichtig steigt das Pferd, immer im selben steten Schritt dem wieder in den knospenden Wald eintauchenden Sträßchen folgend, die jenseitige Berglehne hinunter. Sein Herz aber schwillt von Dank für die ferne Geliebte; und wie er plötzlich finster ein Bauernhaus vor sich ragen sieht – gerade dort, wo die Straße den Buchenhain wieder verläßt – und er auf sein Pochen nach anfänglichem Zögern von den Leuten gastfreundlich empfangen wird, ist es ihm, als lege er das fortschlummernde Mädchen nicht der alten, runzeligen Bäuerin in die dürren Arme, sondern ihr, die ihn nicht nur glücklich, sondern auch gütig gemacht hat, an die liebende Brust. Die Frau reißt ungläubig die Augen auf, wie er zwar für das Mädchen ein Lager erbittet, für sich selber aber mit dem Heustock vorlieb zu nehmen erklärt; und der Bauer, der neben ihm neugierig die Laterne hochhielt, führt ihm sein treues Tier mit deutlichen Zeichen der Ehrerbietung in den Stall und läßt es an Pflege und Fütterung nicht fehlen.
Auf dem Heuboden sinkt Gerold in einen tiefen Schlaf. Wenn seine Liebe als eine Heimlichkeit auf ihm gelastet und ihn bisher wie eine Sünde verfolgt hatte: jetzt löst sich ihm aller Seelenkampf in dem Bewußtsein, daß er anfange, sie zu sühnen. Im Traum kniet er vor dem Pfühl, auf welchem er die einsam gewordene Herrin liegen weiß, und blickt mit der stummen Frage zu ihr auf, ob er es recht gemacht habe; und deutlich spürt er ihre Hand, die sich ihm auf das Haupt legt und, wie so oft, liebkosend über Schulter und Arm niedergleitet . . .
Aber es ist nur der Bauer, der nach Geheiß seinen Gast aufweckt. Wie Gerold schlaftrunken die Augen öffnet, wirft ihm die Sonne ihre jungen Strahlen ins Antlitz. Er springt empor, erinnert sich an das Erlebte und fragt nach dem Mädchen –
»Das ist mit seinem Bündelchen schon vor zwei Stunden auf und davon gegangen. Es wolle dem vornehmen Herrn nicht länger zur Last fallen!«
17. Das Kreuzfahrerlied
Wie wogt dieses Heer der Jugend dahin!
Immer breiter und länger wird der Strom von Knaben- und Mädchenleibern, in welchem die Köpfe wellengleich auf- und untertauchen, während unter den übrigen Fahrzeugen Stephans großer, überdachter Wagen, gleich dem Admiralsschiff einer Flotte, stetig in der Mitte schwimmt.
Jeder Tag wird begonnen und beschlossen mit einem frommen Lied, das ihnen das Ziel ihrer Reise vor Augen und Seele stellt. Dazwischen – in den langen Stunden von Morgen bis Abend – bricht die kindliche Wanderfreude an Himmel und Erde ungetrübt von Sehnsucht und Ahnung hervor und wird jeder neue Zuzug mit Jubelgeschrei empfangen.
Was aber ist das für ein Zug, der dort links drüben auf einer Straße steht, welche unweit vor ihnen in spitzem Winkel in ihre eigene einmündet? Wohl ein Dutzend schwerer, hochbepackter, mit zwei und mehr starken Rossen bespannter Wagen warten da, begleitet von reisigen Männern, die alle bis an die Zähne bewaffnet sind und stumm zu ihnen herüberstarren, deren leichter bewegliche Schar sie offenbar vorauslassen wollen. Eine Handelskarawane, welche die Güter der Erde verteilt, wo sie nach dem Gute des Himmels ausschwärmen!