12. Frau Adelheid
Sie schrecken aus dem leichten, nur obenhin geschlürften Schlummer auf. Wo sind die seligen Stunden der Nacht hingeschwunden? In den Augen des Jünglings flackert die Furcht; auf den Lippen des Weibes liegt bleich die von gesenkten Lidern behütete Schuld.
Das Gemach ist von grausamer Dämmerhelle erfüllt. Über ihren Häuptern, in entrückter Höhe, singt die Männerstimme, die sie geweckt hat: der Turmwart begrüßt den Tag. Sie haben sich auf dem Lager aufgesetzt und lauschen dem Lied, bis ihre Blicke sich begegnen und einander die Qual ihrer Herzen eingestehen.
»Ich ertrage es nicht länger!« stöhnt der Jüngling und wirft sich an ihren Busen zurück. »Immer wie ein Dieb von euch fortschleichen zu müssen . . .« Und er schlingt noch einmal die Arme um ihren reifen und doch so schlanken Leib und bedeckt ihre Kehle, ihre Brust mit Küssen. Aber es ist nur ein schwacher Nachklang jener Besitzergreifung, in welcher sie beide so selig waren, bevor sie miteinander in Schlaf sanken.
Während Frau Adelheid, halb aufgestützt, seine verzweifelten Liebkosungen empfängt und ihm wie einem Sohn beschwichtigend die Hand um den Nacken legt, schaut sie nachdenklich über ihn hinweg, durch das eingenischte offene Fenster hinaus. Es faßt wie in einem Rahmen dunkelblaue Bergzüge, über welchen ein goldig gleißendes Gewölk die nahende Sonnenherrlichkeit ankündigt, und läßt mit ihrem Bilde einen Klang der weiten Welt herein. Wahrlich, ihre verbotene und verborgene Liebe schlägt in diesen Mauern wie das Herz im Panzer, und muß sie beide früher oder später verraten!
»Ja, es ist besser, Gerold, du ziehst weit weg von hier! Vielleicht, daß du mich vergessen kannst . . .« Und indem sie ihm gütig über die Haare streicht, tritt allmählich ein inneres Leuchten in ihre Augen und flüstert sie ihm plötzlich als Rat und Bitte zu: »Fahre mit den Kindern ins heilige Land! Und am Grabe unseres Heilands sprich auch für meine arme Seele ein Gebet! Ich bin sündig geworden vor Gott und den Menschen, um dich vor der Sünde zu bewahren . . .«
Aber im Herzen denkt sie anders, als ihr Mund spricht. Wie, Sünde sollte es sein, wenn sie sich dort schenkt, wo ihre Liebe noch als Geschenk gewertet wird? Warum sollte sie nur ihrem Manne gehören, der seit Jahren sein Leben im Krieg und auf der Jagd verbringt und sie jeweilen mit derselben Gedankenlosigkeit an sich nimmt, mit der man einen bereitstehenden Becher leert? Und ihre Nasenflügel fangen wieder an, sich heimlich zu heben und zu senken, wie sie es tun, wenn die Gewalt der Liebe ihre Seele ergreift.
Da spürt sie, wie Gerold die straffen Schenkel über den Pfühl niedergleiten läßt und, während seine Füße langsam den Boden finden, Wange an Wange ihrem Blick durch das offene Fenster folgt. »Ich will alles tun, Herrin« – redet sein Mund neben ihren Lippen –, »nur eines nicht: Euch vergessen!« Und dann kleidet er sich vor ihren Augen an, schweigend, mit einem natürlichen Anstand, bis er wieder als der Knappe vor ihr steht, als den auch die Welt ihn in ihrer Nähe sehen darf.
Eben will er vor ihr niederknien, um den Reisesegen zu empfangen. Da steigt draußen über den fernen Bergen die Sonne hoch, wirft ihre goldene Lichtflut über die Erde hinweg und in das Turmgemach hinein – und zwingt ihn nicht zum Abschied, sondern in alter Andacht und Bewunderung vor der geliebten Frau in die Knie, deren weißen Leib und schwarzwallendes Haar ein warmer Lebenszauber umduftet. Und während sie beide die Stunde der Entscheidung vergessen, spricht er noch einmal, und hört sie in Seligkeit, die Worte zeitloser Verzückung –
»Herrin, jetzt weiß ich, wie wahr der Dichter von einer Himmlischen sagt:
Und durch der Augen hochgeschwungnes Doppeltor
Strömt ein der Sonne Glanz, der Liebe Glanz hervor!
Und mit Recht nennt Ihr euch Adelaide; denn Adelaide ist weiß und schwarz. Ich aber nenne euch so, wie euer Name in meiner Heimat ausgesprochen wird: Frau Adelheid . . .«
Sie sitzt in demütiger Nacktheit auf ihrem Lager. Was gibt es Süßeres, als die Göttin eines anbetenden Jünglings zu sein? Einem Sehnsüchtigen Erfüllung? Und sie neigt sich herab und zieht mit beiden Händen seine Stirn zum Kusse an ihre Brust. Es ist eine Bewegung, als wollte sie alles das an sich nehmen, was ihr das Leben versagt hat – um dann darauf zu verzichten . . .
»Geh denn! Schütze irgendeine Botschaft vor! – Nimm mein Lieblingspferd: ich schenke es dir! Und dich werde ich vor meinem Eheherrn, wenn er heimkehrt, schon zu entschuldigen wissen! – Leide für Christus, wie er für uns elende Menschen gelitten hat . . .«
Er spürt ihre Lippen über seinen Augen. Sie sind sanft wie die einer Mutter; und ihm ist, als begriffe er jetzt erst ihre ganze Liebe – Wie anders ist doch das Plaudern und Tändeln der
Mädchen auf dem Tanz! Als ein schmerzlich Begnadeter stammelt er wirre Dankesworte vor sich hin, erhebt sich und eilt in gewaltsamem Abschied nach der Türe.
Da hat sie ihn, ihrer Regung unbewußt, wieder erreicht und schlingt ein allerletztes Mal die Arme um seinen Nacken. Ihre Wange liegt an seiner Wange; ihr Mund an seinem Ohr. Was möchte ihr heißes Blut ihm anvertrauen? Er kann sie nicht sehen, nur hören.
»Und wenn – und wenn ein Weib dir begegnet und deine Liebe heischt, Gerold: sei gut zu ihm! Liebe es, wie ich dich geliebt habe – um seiner selbst willen . . .«
Er will sprechen, beteuern, noch einmal danken. Sie aber öffnet ihm die Türe; und drängt ihn stumm hinaus; und riegelt hinter ihm wieder zu. Dann schlägt sie die leeren Hände aufweinend vor ihr Antlitz, mit versagenden Kräften sich an die kalte Wand lehnend: die steile Wendeltreppe hinab verhallen Tritte . . .
Nach einer Weile sitzt Frau Adelheid in ihrem weichen, dunkelblauen Morgengewand auf dem Bänklein der engen Fensternische und wartet, bis sie Gerold auf ihrem Pferd den Burghügel hinunterreiten sieht. Dort ragt er im Sattel, ein junger Held! Ein paarmal wendet er den Kopf zurück; sie aber wagt nicht, den zarten, weißen Arm, mit dem sie ihn so oft in ihre Liebesglut hereinzog, winkend zur Maueröffnung hinauszustrecken. Nur mit den brennenden Augen folgt sie ihm in ihrem Schatten, während er sich durch die sonnige Weite der Felder dahinbewegt – bis ihn ein dunkles Wäldchen für immer ihrem tränentrüben Blicke entzieht.
13. Die Morgenpredigt
An der Glut seines Herzens zerschmilzt die Fessel des Schlafes. Plötzlich starren seine Augen wach in den bleich dämmernden Himmel hinauf; und es ist wiederum wie Gottes Stimme, was ihn ruft und sich von der Erde erheben läßt. »Stephan! – Stephan!«
Als der erste überschaut er das Heer junger Kreuzfahrer und Kreuzfahrerinnen. Sie liegen in ihren Decken an tauiger Halde; auf der Straße stehen leer die Wagen und Karren. Am östlichen Horizont aber greifen wie blasse und doch in ihrem Schusse sieghafte Finger die tagkündenden Sonnenstrahlen in diese Erdenwelt herein.
Schickt nicht auch das Licht seine Boten voraus, ehe es zuletzt in goldener Fülle erscheint? Stephan, tue ein Gleiches! Immer schwerer, immer langsamer wird dein Gewalthaufe. Sende Boten vor dir her, daß sie die hoffende Jugend umfangen, wie diese Strahlenhand das Firmament!
Da sieht er, wie aus den vielen Hingestreckten ein Knabe sich erhebt; »Gelobt sei Jesus Christus!« hallt es mit lautem, aufweckendem Klange über das Lager hin. Und überall drehen sich junge Leiber, recken sich Arme in die Luft, zwingen sich Beine in die Höhe; und als regellos vielstimmiges Echo antwortet es über der Schar der Erwachenden: »– in Ewigkeit, Amen!« Stephan selber erhebt jetzt mächtig seine Stimme und ruft: »Auf, auf, ihr Ritter des heiligen Grabes! Höret an, was ich, euer Führer, euch tun heiße!«
Und die Halde wird lebendig von hundert dunklen Larven, aus denen der helle