Der Kinderkreuzzug. Konrad Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Konrad Falke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849628666
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Sonne einen mutigen roten Schein auf ihre Gesichter. Was will Stephan, unser König? Kommt, kommt, laßt uns hören! Und schon umstehen ihn alle im Kreise und harren seiner Rede, als wäre er die Sonne und käme von ihm das Licht, das sie erleuchtet.

      »Ihr Brüder und Schwestern! Unser Weg ist schmal; aber die Welt ist breit. Darum, wer beschwingt ist in der Seele und hurtig auf den Füßen, der schwärme uns rechts und links voraus und jauchze es hell in die dunklen Täler hinein: Gekommen ist der Tag, wo die Jugend auszieht nach dem heiligen Land! Sprach nicht unser Herr: Wer nicht verläßt Vater und Mutter, wie könnte der mich gewinnen? Ich aber sage euch noch mehr: Wer nicht läßt Haus und Hof, Scholle und Scheune, der wird nicht selig werden! Was dürfen wir einst mit uns nehmen, wenn Gott uns ruft? So laßt uns schon heute ihm mit leeren Händen entgegengehen; desto mehr die Seele von dem Glück erfüllt, seine Diener zu sein! Auf, ihr Boten: ruft alle Trübseligen vor die Türe ihres Leidwesens, auf daß sie sehen, wie licht Gottes verjüngte Welt ist, und die Wunder derer erfahren, die auf seine Güte vertrauen! Du, Lukas, führe die Schar zur Linken; und du, Markus, die zur Rechten! Ich bedarf euer nicht mehr in meiner Nähe; aber unser Unternehmen bedarf euer in der Ferne. Voran denn! Mit Wagen und Karren kommen wir euch nachgerollt und lesen die Ernte zusammen, die euer Wort geschnitten hat. Der Segen des Herrn sei mit euch, so wie mein Segen mit euch ist!«

       O, wie sie da jubelnd auseinanderstieben! Wie der Freund die Freundin, die Freundin den Freund sich wählt, mit denen sie die Welt umarmen und in der Umarmung alles Leid und alle irdische Not ersticken wollen! Aus ihren morgenklaren Augensternen strahlt die hohe Mahnung: »Glaube!« Was willst du dich sorgen, wo doch ein Stärkerer alles lenkt? Leuchten nicht neben der einen, dunklen Wirklichkeit hundert Möglichkeiten, die nur auf den Mutigen warten, um schönere Wirklichkeit zu werden? Und ihre Brust weitet sich in der Kühle des jungen Tages und trägt unwiderstehlich den Entschluß ihrer Seele dahin: »Wage!« Mit jeder neuen Sonne taucht die Erde tiefer und herrlicher in ein Blütenmeer. Was willst nicht du auch blühen, wo du doch jung bist?

      Stephan sieht sie im Morgengold vorauswandern, auf Fußwegen sich zerstreuen, in Wäldchen verschwinden oder auf Hügeln sich abzeichnen, während der Bauer Christian die Ochsen vor seinen Wagen spannt, die andern Treiber für die hintern Wagen sorgen und die kräftigsten Knaben sich vor die vielen übrigen Karren stellen, die sich ihnen in täglich größerer Zahl angeschlossen haben. Ihm ist das alles wie eine einzige Gebärde, mit welcher er von der Erde immer umfassender Besitz ergreift, indem er in einem hundertfältig anschwellenden Echo die Seelen der Kinder, die noch eine Hoffnung kennen, an sich zieht und aus ihrer bisherigen Trauer und Trostlosigkeit herausreißt. Und eine innere Stimme sagt ihm, daß er nicht der einzige ist, dessen Sehnsucht die Jugend aus dem dunklen Banne dieses Lebens weg und nach dem heiligen Lande aufruft, wo Er wandelte, der den Menschen die Pforten zu einem himmlischen Dasein eröffnete. Gott ist mit ihnen!

      Die Sonne steht über den Tannwipfeln. Die Wagen rollen, die Füße treten, die Augen schauen in den neuen Tag hinein. Was könnte die Ferne für Geheimnisse bergen, die ein gläubiger Wille ihr nicht früher oder später entrisse? Wo schmachtete eine junge Seele, die sie nicht aus ihrem Schlupfwinkel hervorlockten und mit frischem Mute erfüllten? Und ihre Herzen harren beseligt der neuen Brüder und Schwestern, die wieder, noch ehe die Sonne sinkt, sich ihnen beigesellt haben werden . . .

      14 Isa die Wäscherin.

      Aus bemooster Holzröhre murmelt das Quellwasser in das große, dunkle Faß hinein. Aufsteigende Luftbläschen durchquirlen das besonnte Spiegelbild des süßblauen Frühlingshimmels: weiße Schäfchenwolken schwimmen so tief in ihm, als sie hoch oben am Himmel fahren. Und der frische Wind, der sie treibt, fegt auch über die Erde hinweg.

      Nasse Wäsche flattert und knattert auf der grünen Wiese, daß die Stangen sich biegen und die Seile sich dehnen. Emporgreifende nackte Arme schlagen sich mit ihr herum. Gehört zu ihnen das zornige Mädchengesicht, das jetzt zwischen den weißen Linnen sichtbar wird? Klatsch, deckt das Geflatter wie mit einem Flügelschlag die purpurnen Wangen zu. Aber daneben leuchtet noch das rote Haar; und jetzt brechen auch die zwei weißen Arme wieder hervor, machen das ungebärdige Stück fest und nehmen ein anderes aus dem Korb.

      Die aufgeregte Luft verschlingt das Geräusch von Schritten, die um die nahe Hausecke herumkommen. Aber Isa bemerkt gleichwohl zwischen dem Blähen der Wäsche hindurch den stechenden Blick der Stiefmutter, welche mit einem Bündel Reisig unter dem Arm die knarrende Stiege zur Laube hinaufzusteigen beginnt. Seit der Vater gestorben ist, kann sie's ihr nicht mehr recht machen und hat sie's nicht mehr schön – Himmel, wenn sie nur nichts gemerkt hat!

      »Hast wieder mit dem jungen Grafen geliebelt?« keift es von der dritten Stufe aus. »Dort läuft der saubere Jäger!«

      »Hab' ihn mit einem nassen Schnurrbart heimgeschickt!« schreit Isa durch den Wind hindurch. Sie schlägt mit einem letzten Wäschestück, das sie der Leine entnimmt, drohend um sich und befestigt es dann mit den Holzklammern am Seil, wo es sofort im Winde zu klappen und flappen beginnt.

      »Kann mir's denken, daß deine Lippen nicht trocken sind!« tönt es von der fünften Stufe herunter. »Das ist der gottlose Übermut der heutigen Jugend! – Man sieht schon, daß du nicht mein Blut bist, sonst würdest du dich anders aufführen . . .«

      »Der gottlose Übermut ist euch noch immer recht gewesen, wenn es galt, schwere Arbeit zu tun für euch und euer Blut, das keinen Finger rühren kann und dem ihr noch die Stube einheizen müßt, wenn unsereinem im Freien der Schweiß von der Stirne läuft!« Und Isa trägt mit straff vor sich hingestreckten Armen eine neue schwere Last Wäsche vom Wasserfaß her auf die Wiese.

      »Halt dein Schandmaul und wisch es nicht an einer Kranken ab!« kreischt das böse Weib von der siebenten Stufe herab durch den harschen Wind. »Auch dein glattes Fell wird der Herrgott noch einmal gerben! Wart nur ein Weilchen: und du sitzest so still, als wärst du so lahm auf die Welt gekommen wie mein Kind.«

      Da wirft Isa den Korb hin, daß sein Geflecht ächzt, und macht mit geballter Faust ein paar Schritte gegen das Haus. Sich jede Lebensfreude versagen müssen und dazu noch immer ausgescholten werden, das ist zu viel! Vor Anstrengung und Empörung schlägt ihr das Herz an die Rippen, als müßte es eine Fessel zersprengen.

      »Wenn ich Euch nicht mehr gut genug bin, so sagt's! Ich möchte bald lieber Mohren weiß waschen, als mich hier um des Teufels Dank von früh bis spät für Euren Geiz abschinden!«

      Droben hat die Stiefmutter mit dem Reisig unter dem Arm die Haustüre geöffnet. In einem hämischen Lächeln treten ihr Verdruß und Ekel am eigenen Witwenleben auf die verwelkten Lippen; und ihre haßerfüllten Blicke begeifern das aus zwei blitzenden Blauaugen zu ihr aufschauende Mädchen, dem der Wind Haar und Röcke verweht. Wenn man nur selber noch so jung wäre –

      »So zieh doch mit den Buben ins heilige Land!« keucht sie. »Dann bist du recht unter deinesgleichen und kannst die Mohrenwäsche versuchen . . .« Und sie kehrt ihr den hageren Rücken zu, um einzutreten.

      Das hatte noch gefehlt! Isa stürmt hinter ihr die Stiege hinauf, wie ein Gewitter an der sich eben schließenden Stubentüre vorbei und in ihre eigene, dürftige Mädchenkammer hinein.

      Was tut sie drinnen? Die verbitterte Frau legt im Ofen Feuer an und schaut sich dazwischen nach ihrer elenden Tochter um. Aber schon poltert Isa, mit einem Bündelchen in der Hand, wieder auf die Laube hinaus und mit fliegenden Röcken die Holztreppe hinunter.

      »Ich gehe!« tönt ihr Ruf zu den kleinen Fensterscheiben empor, hinter denen die lahme Stiefschwester in ihrem Stuhle sitzt und friert. »Zu den Mohren!«

       Und der klingende Wind und die weißen Schäfchenwolken sind mit ihr und über ihr, während sie mit kochendem Blut über die grünen Wiesen und in die silberne Ferne